Tyler, The Creator Cherry Bomb

Tyler, The Creator – Cherry Bomb
ALL GOOD Punchline Unterhaltsamer Husarenritt.

Dumm für Tyler: Vor wenigen Wochen veröffentlichte Earl Sweatshirt das beste Album, das der Odd-Future-Kosmos in seinen sieben Jahren öffentlicher Schaffensphase hervorgebracht hat. Starker Tobak für den inzwischen 24-jährigen Gang-Leader, dessen Verhältnis zum kleinen Ziehbruder ohnehin nicht mehr ganz so eng ist wie noch vor ein bis zwei Jahren. Wie eine »Fader«-Titelgeschichte aus dem November und ein recht spekulativer »Complex«-Artikel vor einigen Wochen nahelegten, zerfällt Odd Future im Zuge der Erwachsenwerdung und Auseinanderentwicklung seiner einzelnen Mitglieder langsam, aber sicher.

Im Gegensatz zu Earl war Tyler immer schon mehr Produzent als Rapper, mehr Soundvisionär als talentierter Texter. Seinen Geschmack kennt man inzwischen: Er liebt den Neptunes-R&G der Nullerjahre und die Soulmusik der Siebziger, allen voran Stevie Wonder und Roy Ayers. Er liebt den kaputten Indie-Rock von Mac DeMarco oder Black Lips, aber auch härtere Kaliber wie Death Grips und Trash Talk. Das klingt reichlich disparat, doch irgendwie schafft es Tyler auf »Cherry Bomb« tatsächlich zum ersten Mal, all diese Einflüsse sinnvoll zusammenzubringen. Ganz ähnlich wie Casper für »XOXO« seine eigentlich unvereinbar scheinenden Einflüsse aus Southern Rap, Singer/Songwritertum, Black Metal und Postrock vereinte, bemüht sich Tyler hier um eine schlüssige Fusion seiner ästhetischen Ideale. Das finde ich erstmal beachtlich.

Nun war Tyler stets eine Sammlernatur, die ihre großen Helden nicht nur studiert, sondern auch als Referenz-Features auf die eigenen Platten geladen hat. Auf »Cherry Bomb« sind es Lil Wayne und Kanye West, die gemeinsam auf dem starken, aber für Tyler-Verhältnisse fast schon gewöhnlichen Rap-Track »Smuckers« gastieren, zudem Schoolboy Q, »Uncle« Charlie Wilson, Kali Uchis, Roy Ayers und der musikalische Stiefvater Pharrell. Im Ergebnis klingt das alles trotzdem vor allem nach Tyler: Die Synthies brummen, die Drums rumpeln organisch, das charakteristische Kommando-Organ wird von allerlei Pitch-Effekten verfremdet. Harte, schnelle, rockige Passagen wechseln sich mit kurzen Verschnaufpausen aus verträumten Rhodes-Linien und exotischen Lounge-Flächen ab. Gerade die entschleunigten, harmonischen Momente wie »Find Your Wings«, das epische »2Seater« und der fast siebenminütige, repetitive Closer »Okaga, CA« gehören zu den Höhepunkten der Platte.

Nach dem Abschluss der Trilogie aus »Bastard«, »Goblin« und »Wolf« wirkt »Cherry Bomb« nicht unbedingt wie ein Aufbruch zu neuen Ufern, sondern eher wie eine Quintessenz aus allem, was vorher war. Tyler ist eben nicht mehr der wütende Pubertierende, sondern auf eine seltsame Weise angekommen. Sein Vokabular ist nicht unbedingt handzahm geworden, aber er geht bewusster mit Worten um – gerade mit solchen, die potenziell verletzend wirken. Das Album klingt daher lange nicht so pubertär wie »Goblin«, aber von der musikalischen Palette her auch nicht so erwachsen wie »Wolf«, sondern als würde man beide Platten und »Fly Or Die« von N.E.R.D. gleichzeitig spielen. Wenn »Wolf« der Album gewordene Hinterland-Tagtraum war, wirkt »Cherry Bomb« wie das nächtliche Gegenstück dazu: Eine Platte, zu der man auf den Boulevards von West L.A. perfekt viel zu schnell Auto fahren kann. Es ist ein unterhaltsamer Husarenritt durch das Gehirn eines ADHS- und Asthma-geplagten, hochbegabten jungen Spinners, in dem sich alberne Witze mit genialen Ideen genau so schnell abwechseln wie dem Protagonisten bei seinen eigenen Songs langweilig wird.