Travi$ Scott Days Before Rodeo

Travis Scott_Days Before Rodeo
ALL GOOD Punchline Bombastischer Avant-Rap.

Der Name Travi$ Scott taucht in den Credits zu Kanye Wests brachialem »Yeezus«-Album an zwei Stellen auf. Neben etablierten Industrie-Größen wie Mike Dean und Noah Goldstein reiht sich Scott auf »Guilt Trip« und »New Slaves« als jüngster in die Liste Kanyes zahlreicher, handselektierter Produktions-Assistenten ein. Im Alter von 22 Jahren steht er mit zwei Grammy-Nominierungen und einem Platz im Stammkader von Very G.O.O.D. Beats besser da als die meisten Fachkollegen.

Beim Hören von Scotts neuem »Days Before Rodeo«-Mixtape lassen sich unschwer Parallelen erkennen zu Wests ausgestrecktem Mittelfinger bei gleichzeitigem Griff an die Klöten in Albumformat. Eine aggressive, paranoide Grundstimmung legt sich über die Songs wie ein pechschwarzer Film, der immer wieder von melodiöser Raffinesse, kathartischen Entladungen und musikalischen Seitwärts-Haken zersprengt wird. Das komplexe Ideennetz, das sich aus einer geballten ADHS-Ladung an unterschiedlichen Klangansätzen und Geisterschloss-Atmosphären zusammensetzt, wird von Scott im Drahtseilakt gebündelt und mit einer überwältigen Selbstsicherheit vorgetragen. Mitunter wirkt es fast, als höre man gerade einem neuen Kanye zu, befreit von dem ganzen Kanye-Sein-Schnickschnack, der Kanye-Hater schnell auf Kanyes Palme bringt.

Aber, genug ge-Kanyet. Auch wenn »Days Before Rodeo« stellenweise klar die Handschrift von Scotts Mentor trägt – im Umkehrschluss lässt sich dabei auch überlegen, ob West sich nicht vielleicht sogar mehr von seinem Schützling beeinflussen lässt, als es schwarz auf weiß vorliegt. Das Mixtape ist ein höchst eigenständiges Werk größter Ambition, ein bombastisches Avant-Rap-Meisterwerk.

Mit einem Gebet schickt Scott sein Tape auf den Weg. Bitte, Herrgott, lass mich jetzt nicht die Kontrolle verlieren. Es orgelt, es klimpert, es wummert, es kracht. Am Ende ein gequälter Jaulgesang. Der Beat, von Scott selbst in Zusammenarbeit mit WondaGurl produziert, lässt zum ersten Mal die Ausmaße erahnen, die der weitgreifende Sound von »Days Before Rodeo« anstrebt. Durchgespielte Formen werden aus dem Baukasten geschmissen. Wenn wie auf »Quintana Pt. 2« mal eine bekannte Synth-Abfolge auftaucht, tut sie das von entfremdeten Elementen flankiert. Scotts »Goon Croon« trägt dazu genauso seinen Teil bei wie seine Vorliebe für zäsierende Spurwechsel nach acht Takten. Oder es wird wie auf »Drugs You Should Try« einfach mal besser gemacht als das, was sonst in der Sparte so vorliegt – Grüße an Partynextdoor! Der sonnigste Track heißt »Grey«. So simpel, so genial.

»Yeezus« ist mit »Days Before Rodeo« zwar blutsverwandt, aber auch »Hell Hath No Fury«-Vergleiche drängen sich auf. Scotts Gewissen plagt ihn für seine Exzesse und es gelingt der Kunstgriff, diesen Zweispalt auch musikalisch zu inszenieren. Überall tun sich Abgründe auf. »I’m trapped in my conscious« heißt es etwa auf »Skyfall«. »The drugs keep on callin‘ / The sky keep on fallin’«, krächzt Young Thug auf einer Beatgrundlage, die seine sonst zur Komik neigende Delivery unheimlich wirken lässt. Scott rast Amphetamin-gesteuert der Klippe entgegen, genießt das Schlingern und bleibt mit vollem Gewicht auf dem Gaspedal. Wenn auf »Zombies« der »College Dropout«-Gassenhauer »We Don’t Care« für die digitalisierte Prä-Apokalypse neu interpretiert wird und im Anschluss Migos zu transsilvanischem Trap überleitet, macht Scott das psychosomatische Fegefeuer zwischen Comedown und Nachlegen, das er durchgehend thematisiert, klanglich greifbar.

Travi$ Scott hat als Prelude für sein Album eine der stärksten, mutigsten und eingängigsten Rap-Veröffentlichungen des Jahres veröffentlicht. Der Himmel, der sich auf dem »Days Before Rodeo«-Cover in gleißendem Blau vor Scott erstreckt, scheint für diesen jungen Mann in der Tat das einzige Limit zu sein.