Schmyt Gift
Julian Schmit war einst Sänger der Band Rakede, eine Formation, die mit Seeed und Samy Deluxe musiziert hat. Eine Formation, auf deren Spotify-Profil unter dem Reiter »Was anderen Fans gefällt« etwa das Böhmermann-Alias POL1Z1STENS0HN und die Ironie-Dauerstudenten-Band Antilopen Gang auftaucht. Die Songs handelten von Herzschmerz und der Sound machte durch eklige Dubstep-Synthies auf sich aufmerksam. Erfolgreich war das schon – wer aber heute einen Song wie »Taximann« hört, wird sich wohl fragen: Wo kam das denn jetzt her?
Eben jener Julian Schmit heißt mittlerweile einfach nur noch Schmyt, veröffentlichte im April 2020 seine erste Solo-Single »Niemand« – eine herzbrechende Ballade über eine zerbrochene Liebe – und dann zwei Features: »Monoton« mit MAJAN und Megaloh, »Taube« mit Yassin, letzteres Lied war enthalten auf dem Soundtrack zu »Taubenleben«, einem Roman von Paulina Czienskowski. Ein denkbar seltsamer Start in die Solokarriere. Und dann noch »Taximann«, eine manische Hymne für die nächtliche Höllenfahrt. Dann geschah lange nichts.
Nun setzt Schmyt auf seiner Debüt-EP »Gift« die bereits veröffentlichten Singles in einen neuen Kontext. Der Opener, gleichzeitig Titelsong, erzählt von dem Start in die Clubnacht, an der sich die Konflikte des Lebens offenlegen. Schmyt und RIN, der als Featuregast aushilft, betäuben die eigenen Sinne und treffen mit wenigen Worten immer wieder genau ins Schwarze. »Die Uhr will mir erzähl’n, dass es draußen schon Tag ist / Doch ich lasse mir von Accessoires nicht erzählen, was der Plan ist«, singt Schmyt und beweist dabei mit einem Satz sein Talent für Texte, in denen sich die Reibung zwischen Norm und Individuum glasklar zeigt. Das Instrument der Zeitmessung, das unser aller Leben Minute für Minute taktet und bestimmt, verkommt zum Accessoire. Schmyt beginnt und fährt fort mit Reflexionen aus dem Vollrausch.
RIN hingegen kündigt in seinem Part an, sein Herz werde ich heute Abend von der Seele trennen, und spricht dabei sicher auch für die Erfahrungen, die Schmyt in den nächsten Songs verarbeitet. Die gesamte Identität löst sich im Rausch auf, wenn die Ex-Freundin behauptet, Schmyt sei »Niemand«. Bedeutungsverlust führt zu Schmerz, dann vielleicht zu Gleichgültigkeit. Ob draußen Tag oder Nacht ist, spielt immer noch keine Rolle, Fakten bleiben an der Clubtür zurück, nach der Garderobe und dem ersten Glas eines eisgekühlten MDMA-haltigen Mischgetränks zählen nur noch Gefühlslagen. Der Rausch mag hier Kontrollverlust sein, aber immer noch eine angenehmere Ohnmacht als die da draußen, die Leere in den eigenen vier Wänden, wenn die Partnerin weg ist, wenn die Depressionen kommen und die Paranoia langsam unter die Haut kriecht. »Sprich mit niemand / Traue niemand / Liebe niemand / Schlaf mit niemand« ist das Mantra, das Schmyt mit gebrochenem Herzen lallt. Schmyts Ohnmacht und Frust lassen sich immer wieder auf gescheiterte Besitzansprüche zurückführen. Heute ist er »niemand«, seine ehemalige Partnerin »reitet jetzt jeden«. Das Slutshaming auf »Gift« könnte leicht in den Eindruck der Fragilität, die in jedem Wort des Sängers steckt, eingereiht werden. Zwischen Frust und Verzweiflung verlassen hin und wieder Sätze seine Lippen, die es nicht braucht. Aber in einer EP namens »Gift« steckt eben auch Toxic Masculinity.
Auf »Niemand« folgt die zweite Single, »Taximann«, und dann geht’s ab Richtung Hölle. Eine nächtliche Taxifahrt kann harmlos sein, fast bedächtig. Aber wenn der Fahrgast im Rausch an seinen Emotionen zu ersticken droht, ist der Leerlauf im dunklen Inneren eines rasenden Mercedes ein Moment, der an die Substanz geht. Der Fahrer, liebevoll »Kollege Bleifuß« genannt, soll zur Hölle fahren und seinen EC-zahlenden Gast bitte vor den Pforten absetzen. Zuhause wartet nichts, Verzweiflung macht sich breit. Der Beat lässt so lange Raum für die Stimme, bis Schmyt sich die bedeutenden Fragen stellt: Dann rauscht das Instrumental los wie die Gedanken, der Sänger muss sich die Seele aus dem Leib schreien.
Die Beats der musikalisch Verantwortlichen Bazzazian, Farhot und Alexis Troy changieren zwischen scheppernden Drums und flächigen Pianos, zwischen Klarheit und einem nervösen Klangteppich von Adlibs und Glassplittern. Über simple, aber vielschichtige Harmonien singt Schmyt vertrackte Melodiefolgen, die von Autotune, Pitches und Verzerrung immer wieder gestützt und gebrochen werden. Die Vielzahl und Rekontextualisierung von Rhythmen und Melodien legt den Vergleich mit Tua nahe, mit dem Schmyt bereits als Teil der Band Rakede gearbeitet hat. Auf Instagram deutete der Sänger bereits an, dass eine weitere Zusammenarbeit vor der Tür stehen könnte. Und auch wenn Schmyt seine Debüt-EP fast alleine stemmt, jedenfalls alleine trägt, steht sein Name für kollaborativen Geist. Mit Peter Fox, mit Haftbefehl und mit Till Lindemann hat er bereits zusammengearbeitet. Schon die Aufzählung dieser Namen macht die musikalische Bandbreite des Newcomers bewusst.
Nach der Höllenfahrt findet sich Schmyt nun doch nicht in der Hölle, nur im nächsten Club vor, oder wie er ihn nennt: »Unterwassertempel«. Dort taucht die Protagonistin des Stücks ab, füllt das Glas mit Kristall, blau-grünes Licht schimmert. Wie ins Meeresreich taucht sie ab in der Menge der Tanzenden, »ein gefluteter Raum«, in dem Engel singen. In seiner Form erinnert er fast schelmisch an »Tiefblau« von Tua. Hier taucht Tua aus dem Wasser an die Oberfläche und löst sich dabei auf, eben wie »Poseidon« wummert der Track wie Druck auf den Ohren im Tauchgang, ein transzendentales Gefühl macht sich breit, eine Ekstase in der Selbstauflösung. »Etwas neues beginnt«, so Schmyt am Ende dieses Liedes.
Er findet sich wieder in den Armen einer Dame, die ihn wie Stacheldraht auffangen. Der Schmerz ertrinkt nun in Rosé, das Herz wird im Grinder zermahlen. Sex und Intimität dominieren den weiteren Verlauf der Nacht, nur so richtig öffnen möchte sich keine:r der beiden. Wo der Taximann noch einfach nur fahren und fahren sollte, wartet Schmyt nun vergeblich auf den Befehl: »Lauf!«. Und wird ihm das bewusst, bemerkt er auch: Seine Partnerin ist nicht Jenny Curran, er ist nicht Forrest Gump, auch wenn er sich sicher manchmal fühlt wie die Filmfigur: Ein unbedachter Taugenichts, der durch die Weltgeschichte rennt. Sie hingegen ist nicht seine Significant Other, sie braucht ihn nicht. Trotzdem taucht er immer und immer wieder ab in ihre Arme, die ihm die Haut aufreißen. Wie Stacheldraht.
Beschreibt die EP mindestens in den ersten drei, vielleicht sogar in den ersten fünf Songs eine Clubnacht, die ihren Lauf nimmt, in der sich psychische Abgründe ebenso wie traumhaft schöne Momente offenbaren, steht der letzte Titel des Projekts, »100 Euro«, außerhalb dieser Erzählung, eher wie eine Erinnerung an etwas Vergangenes, die einem zwischen Kokainbahnen und Cocktails in den Kopf schießt und diesen nicht mehr verlässt. Der Song beschreibt eine dörfliche Partynacht zwischen beißenden Gerüchen von Berliner Weisse (dem Bier) und Diesel (dem Kraftstoff). Dieses Gefühl entsteht auch musikalisch, »100 Euro« wirkt mehr Indie, weniger Emo, mehr Provinz-Pop als Urbanismus. Sind diese ersten fünf Songs Ausdruck von Treiben-Lassen und Getrieben-Werden, so ist der Closer vielleicht der Versuch einer Antwort auf all die Fragen um Kontrollverlust und Ohnmacht. Die zentrale Frage »Wohin geht die Reise?« endet zwar im Autounfall, der das Projekt beendet, davor heißt es allerdings kurz: »Vielleicht ist das hier schon der Sinn«. Gemeint: Der Rausch, der Moment, den man genießt, der Roadtrip ist die eigentliche Erfahrung, nicht das Ankommen an einem Ziel, das immer enttäuschender ist als imaginiert. »Zwei Gramm und der Sonnenaufgang in der Provinz«, das ist Glück. Schade nur, dass es nur kurze Zeit halten kann – So ist es gut, dass Schmyt es schafft, dieses Gefühl musikalisch festzuhalten. Der Rausch im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit.