Prezident Limbus

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ALL GOOD Punchline Beeindruckend.

Bei all den Wrestling-Moves von Fler, Kollegah und Konsorten auf der einen und Meme-Musik der neu-neuen Reimgeneration auf der anderen Seite, habe ich nur darauf gewartet, dass endlich mal wieder so ein Album erscheint. Prezidents »Limbus« ist allerfeinste Misanthropenmusik und der optimale Soundtrack zum gepflegten Menschenhassen im Einzelspieler-Modus.

Der »Limbus« ist, soviel sei gleich zu Beginn vielleicht erklärt, kein irgendwann mal im Deutsch-LK aufgetauchtes Versmaß, sondern »stellt im expliziten Anschluss an Dante eine Jenseitsschau dar, die sich allerdings auf ein viertes Reich beschränkt, das bei Dante nur eine nebensächliche Rolle spielt, nämlich auf den Limbus als neutralen Ort fernab der Dichotomie von Himmel und Hölle«, so Prezidents eigene Erklärung auf RapGenius.

In der Theologie fungiert der Limbus als eine Art Auffangbecken für die Ungetauften. In der »Göttlichen Komödie« von Dante versammelt sich hier das sogenannte Jammervolk: Menschen, denen ihre Existenz, ihr Dasein auf Erden, das damit verbundene Wirken und auch die dadurch entstandenen oder eben nicht existenten Hinterlassenschaften herzlich egal sind.

Auf dem inoffiziellen Titeltrack des Albums »Der ewige Ikea« ergründet Prezident die Unterwelt und stößt am Ende seiner Reise auf eine dem Querschnitt unserer Gesellschaft entsprechenden Schulterzuckermenschenmasse, die sich auf den Weg in Richtung Limbus gemacht hat. Und plötzlich stellt sich die Frage, ob es überhaupt noch so einen Zwischenraum für die Seelenlosen gibt. Man fragt sich, ob man als solcher vielleicht glücklicher ist und Prezident vielleicht auch selber ein Teil davon…

Das Anprangern der seelenlosen Oberflächlichkeitsgesellschaft und Prezidents Rolle darin ist das Grundthema der 14 Songs auf »Limbus«. Der Wuppertaler setzt also die Tradition der vorangegangenen Releases fort. Prezident findet seit jeher vieles um sich herum extrem scheiße und bekämpft seinen mal mehr, mal weniger stark ausgeprägten Weltfluchtimpuls mit einem Teilzeit-Hedonismus aus Alkohol- und Drogenmissbrauch, aber eben auch mit klugen Denkansätzen. Er rückt seinen Hass auf die Welt und vor allem ein ganz aufrichtiges Unverständnis über weitverbreitete Denk- und Lebensweisen in einen viel größeren Gesamtkontext – genau das gelingt ihm auf »Limbus« so gut wie nie zuvor.

Aufstehen, arbeiten, schlafen – ein für die Wenigsten wünschenswerter Zustand, der dann aber mit Hilfe diverser Ablenkungsmanöver irgendwie trotzdem stillschweigend akzeptiert wird. Es gibt aber auch Leute, die genau diesem Rhythmus einfach nicht können, die dazu schlichtweg nicht in der Lage sind – selbst wenn sie wollten. Klar, alles nur halb so wild. Aber irgendwie halt auch nicht. Prezident ist einer von ihnen.

Das Kernstück von »Limbus« ist »Halb so wild«, auf dem die Enttäuschung über die Ausweglosigkeit des Lebens, die daraus resultierende Resignation, komplette Egalheit, das in einem Anflug von Alibi-Aktivismus angegangene Aufbäumen und all der andere Scheiß so treffend wie schon lange nicht mehr beschrieben werden.

Die anderen Stücke stehen dem in Nichts nach: »9000 Meter tief im Köhlerliesl« ist ein tieftrauriges Trinkerlied, dessen melancholischer Bläser-Loop dabei so schwer durch die Boxen tönt, als habe er sich erst an einem Geruchsgemisch aus schwerem Zigarettenqualm, schalem Bier, magensäuregeschwängertem Atem und einer feinen Note frisch Erbrochenem vorbeikämpfen müssen. »Prometheus« samplet Boonnie Becher, Prezident inszeniert sich darauf als vorausdenkender Revoluzzer, unterstützt von Absztrakkt, der die Erweckungshymne mit einem buddhistisch indoktrinierten Ganzheitlichkeits-Exkurs flankiert. »Dr. Eisenstirn / Kaffee hilft« kommt einem von Dialogfetzen aus TV-Serien wie »Bojack Horseman«, »Californication«, »Eastbound & Down« und »The Wire« zusammengehaltenen Selbstbild gleich.

Die Beats auf »Limbus« stammen von Jay Baez, den Kamikazes und Prezident und sind größtenteils tatsächlich »melancholisch wie ein fieser Speed-Kater«, wie es auf »Rosa Blume« treffend heißt. Keine x-mal gehörten Preset-Snare-Rolls und Synthie-Bänke, stattdessen im besten Sinne eigenartige Klangcollagen aus raren Sample-Fetzen und abseitigen Drumloops, die an den richtigen Stellen für sich stehen und in den übrigen Momenten Platz für Prezidents asoziale Anekdoten lassen. Wenn sich überhaupt irgendeine Zeitgeist-Adaption in die Musik verirrt, dann ist es entweder das Sarah-Jaffe-Sample auf »Läppisches Theater« oder das durch Zeitlupen-Effekt in tiefdunkle Stimmfarbenspektren gestreckte »Aaaahhhh«, das man so eher vom A$AP Mob kennt.

Prezidents Musik wird sehr wahrscheinlich nie im Mainstream ankommen. Wieso das so ist, dafür fand Prezident selbst kürzlich im »Noisey«–Interview keine wirkliche Antwort. Es liegt wohl daran, weil seine Musik die unbequeme Wahrheit, die unbequeme Wahrheit und nichts als die unbequeme Wahrheit ist – und die will man eben nicht andauernd hören. Schon gar nicht in so verdichteter und pointierter Form wie auf »Limbus«. Weil man insgeheim weiß, dass das, was man den lieben langen Tag da so tut und seltsamerweise Leben nennt, nicht ganz richtig sein kann. Beeindruckend.