MF Doom MM..FOOD (20th Anniversary Edition)
Sie verkörpern Seriosität, die ersten Wortassoziationen sind zentnerschwere Begriffe wie Progressivität oder Tiefsinn, eine glattgebügelte Einheitlichkeit ist üblich: Konzeptalben sind eine Disziplin für sich. Gerne sind sie gesellschaftskritisch und sehen sich als wertvoll, im Hip-Hop genauso wie in anderen Ecken der Popmusik. Was passiert also, wenn ein Konzeptalbum von diesen Dingen befreit wird? Wenn es zusammenhängend, aber blödsinnig ist? Wenn der letzte Song darauf »Kookies« heißt?
»MM..FOOD« ist das zweite Soloalbum von MF DOOM – und unter diesem Alias theoretisch auch sein letztes. Es ist ein Konzeptalbum über Essen, im Sinne von Lebensmittel. Oder, in den eigenen Worten von MF DOOM selbst, »about the things you find on a picnic, or at a picnic table«. Der Albumtitel – er besteht aus denselben Buchstaben wie der Name des Rappers; wer im Deutschunterricht aufgepasst hat, nennt das Anagramm – zwinkert dir bereits zu, ähnlich wie die Songtitel: »Kon Karne«, »Fillet-O-Rapper«, »Hoe Cakes«. Und dann gehst du noch eine Ebene tiefer… Hast du dir das mal angehört? Niemand, wirklich niemand sonst könnte ein qualitativ dermaßen hochwertiges Konzeptalbum über Essen hinbekommen. Ernsthaftigkeit ist für Loser. »We need food!«
Es gibt gute Rap-Artists – Künstler:innen, die innerhalb ihres Genres für herausragende Songs oder Platten sorgen, egal ob durch technisches Können oder sonst irgendwas –, während es auf der anderen Seite gute Rapper gibt: MF DOOM war schlichtweg unbesiegbar im cool klingenden Umgang mit Wörtern. Wo er die Reime setzte, wie und wie oft sie kamen, mit welcher Intensität und Finesse. Wie er den Rhythmus des Beats verließ und im nächsten Moment wieder drauf war. Wie viel Sound schon in den Worten steckt, wenn man sie auf dem Papier liest, also losgelöst von seinen Ninja-Flows und dieser legendären Stimme (sie klingt, wie eine Tankstelle riecht). MF DOOM hatte Respekt für seine Hörer:innen, er traute ihnen etwas zu. Er besaß eine aufrichtige Liebe zur englischen Sprache. Er rappte ohne Pause, meistens ohne Hook zwischen den Parts, und war innerhalb seiner Verses gleichzeitig ein Meister im Setzten von Pausen. Um den Leuten auch mal Platz zu lassen. Zum Applaudieren.
Damals, im Jahr 2004, erreichte MF DOOM das, was man etwas phrasenhaft gemeinhin den Höhepunkt eines kreativen Schaffens nennt. »MM..FOOD« erschien nur acht Monate nach »Madvillainy«, seinem legendären Kollabo-Meisterwerk mit dem Produzenten Madlib, und ist die purste Repräsentation der ultraoriginellen DOOM-Vision. Denn im Vergleich zu seinem Vorgänger ist »MM..FOOD« lockerer und weniger seriös – Adjektive, die zu selten im Zusammenhang mit diesem Künstler benutzt werden. Dies ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass DOOM die Platte größtenteils alleine produziert hat. Seine Beats sind cartoonig, wenn auch nie albern, scheinen in wenigen Minuten zusammengebastelt und kaum bearbeitet worden zu sein. Die Grundstimmung ist nie wirklich düster, vielmehr grinst das Album dich an. Durch die selbstgebauten Beats hat DOOM außerdem die Möglichkeit, innerhalb seiner Parts im Einklang mit den Samples zu rappen. Wie in »Hoe Cakes«, wo das »Super!«-Sample wiederholt den Reim beendet: »I got this girl and she wants me to duke her/I told her I’d come scoop her around eight, she said ›Super!‹‘«.
Essenzieller Teil von MF DOOM’s großartiger Kunst sind – das sollte nicht unterschätzt werden – seine humorvollen Klangcollagen, bestehend aus sprechenden Cartoon-Samples verschiedensten Ursprungs. Anders als auf seinem Solo-Debütalbum »Operation: Doomsday« tragen diese Spielereien auf »MM..FOOD« nicht mehr das Wort »Skit« im Songtitel, sondern werden als vollwertige Tracks angesehen. Dadurch, dass die Platte mit einer solche Collage beginnt und es ganze 107 Sekunden dauert, bis MF DOOM zu rappen beginnt, wird ihre Relevanz noch deutlicher; ebenso wie durch die Tatsache, dass mittendrin vier dieser Klangcollagen aufeinander folgen. Wenn man im darauffolgenden Track »Kon Karne« also wieder DOOMs Stimme hört, war sie fast sechseinhalb Minuten verschwunden. Wenn dann seine kaltblütig vorgetragenen Badass-Reime zurückkehren, kann man das nur lieben.
Und in der Sample-Collage zu Beginn des Songs »Guinnessez« taucht dann ein Satz auf, der den Kern von »MM..FOOD« einfängt. »Running desperately low on food, they were forced to turn back«. Man könnte sagen, dass sie damalige Rap-Landschaft für MF DOOM also »low on food« gewesen ist, dass HipHop sich in seinen Augen falsch entwickelt hat. »MCs sound like cheerleaders«, rappt er; sie liefern Fressen ohne Nährstoffe. DOOMs Kontrast zu den erfolgreichsten HipHop-Artists des Jahres 2004 (Eminem, Kanye West und Nelly) ist offensichtlich. Obwohl das Ziel seiner fiktiven Persona – sie basiert auf dem Marvel-Bösewichten Dr. Doom – die Beherrschung der gesamten Welt war, präsentierte MF DOOM seine Musik als etwas, für das seine Fans ihn lieben: Anti-Mainstream.
MF DOOM’s Meinung zur Rap-Welt der mittleren Nullerjahre wird vor allem in »Beef Rap« deutlich, dem überragenden Opener des Albums (»That song defines the record. […] I came up with that particular song first and everything else spawned from there.«). Wie die anderen Rapper sich präsentieren, sei ungesund und führe zu Herzkrankheiten oder Schlaganfällen, rappt DOOM. Sie würden uns ins Ohr schreien, als wären wir taub. Einfach mal die Klappe halten, empfiehlt er, und schlägt außerdem vor: »Keep a shirt on«. In diesem Sinne muss man »MM..FOOD« eher als Ernährungsplan betrachten, und eben nicht als Essensmenü. »I suggest you get a diet«, meint er in »Beef Rap«, womit wir beim »forced to turn back«-Teil des oben zitierten Satzes aus »Guinnessez« wären. DOOMs Ernährungstipp ist also, zurück zu den Wurzeln zu gehen und sich am goldenen Zeitalter des Hip-Hop zu orientieren; als es noch um die Musik, die Qualität der Reime ging. »There are different topics besides murdering everybody. That seems to be the in thing – how many people you can murder on a record. So I’m bringing it back to the old, bragging about how nice you are with the words«, erzählte DOOM damals.
Ähnlich augenöffnend sind die Interview-Schnipsel, die bei der brandneuen, posthum veröffentlichten Anniversary-Edition von »MM..FOOD« angeheftet sind. (Daneben gibt es stabile Remixes mancher Songs, von denen nur das »One Beer«-Update ans Original rankommt.) Dass es für ihn vor allem um Simplizität geht, erzählt DOOM darin. »Strip everything down to just the raw essence of rhyming«, das ist sein Ziel. »Bring the game back to how I remember it.«
Und für MF DOOM gehört Humor, der ihm in der Rap-Welt des Jahres 2004 fehlte, nun mal dazu. Wie er sich selbst mystifiziert, ist weniger ernst als Fans häufig meinen: »A rather ugly brother with flows that’s gorgeous«. I mean: Der Typ trug ’ne Maske, sprach in der dritten Person über sich, hat seine Persona auf einem Marvel-Bösewichten basiert… Und ein Album über Essen gemacht! Immer wieder schließt er den Kreis – zum Leben (»Be too nice and people take you for a dummy«), zu seinem Bösewicht-Charakter und der damaligen HipHop-Landschaft, die ihm alles andere als gefiel. MF DOOM mochte sein Essen roh und ungewürzt.