Marsimoto Ring der Nebelungen

Marsimoto-Ring-der-Nebelungen-Album-Cover
ALL GOOD Punchline Kitschig, liebevoll, atmosphärisch.

In meinem subjektiven Verhältnis zu HipHop gab es Mitte der Nuller Jahre drei Alben, die mir nach einer Phase der wahrscheinlich selbstverschuldeten Gelangweiltheit ganz nachhaltig den Spaß an deutschem Rap zurückgebracht haben. Alle drei waren respektlos, übertrieben, humorvoll und brachen inhaltlich wie musikalisch mit allen möglichen HipHop-Konventionen. Diese Alben waren »Maske« von Sido, Olli Banjos »Schizogenie« und schließlich »Halloziehnation«, das Debüt der damals völlig aus dem Nichts kommenden Quäkstimme namens Marsimoto. »Halloziehnation« war das freieste, zwangloseste dieser drei Alben, erlaubte sich die offenste Skizzenhaftigkeit, ADHS-artige Kehrtwenden und völlig entspannte Selbstreferenzialität. Ein Album, wie es nur ohne äußeren Druck, ohne eine Erwartungshaltung entstehen konnte.

Die Zeiten sind vorüber. In den neun Jahren seit »Halloziehnation« ist Marteria – wenn auch erst beim zweiten Versuch – an seinem Alter Ego vorbei zum Popstar geworden und musste sich immer wieder mehr oder weniger hörbar damit befassen, wie denn nun die Trennschärfe zwischen dem nicht nur ernsten Marteria und dem nicht nur albernen Marsimoto auszusehen hat. Beim durchwachsenen Albumdoppel »Base Ventura«/»Zu zweit allein« war diese Findung noch in vollem Gange. Erst mit dem Erfolg von »Zum Glück in die Zukunft« zeichnete sich ab, dass Marsimoto in einer Art negativem Raum zuhause sein müsste – dort nämlich, wo der Mainstream-Künstler Marteria nicht ist. Und auch das war kein klares Konzept, weil Marsi nie ein »Bad Character« sein wollte wie sein Pate Quasimoto. Vielleicht vermittelte »Grüner Samt«, Marsi-Album Nummer drei, deswegen noch einen etwas zerfaserten Eindruck, der sich sehr über grüne Weirdness definierte. Dass Marsi live immer mehr für die testosterontriefende Brostep-Abfahrt zuständig wurde (wie zuletzt bei Rock am Ring) nährte zumindest meine Angst, dass nach dem brillanten Hallenpop-Album »Zum Glück in die Zukunft II« ein nicht unanstrengendes Marsimoto-Album folgen könnte.

Jetzt also der »Ring der Nebelungen« – um Marten Lacinys kindliche Lust am Wortspiel muss man sich schon mal keine Sorgen machen. Und auch andere Befürchtungen waren ganz umsonst, denn »Ring der Nebelungen« macht auf den ersten Blick gar nicht so viel anders als »Grüner Samt«, und doch einiges besser. Dazu zählt, dass Trap und Dubstep zwar hörbare Einflüsse bleiben, aber Sicherheitsabstand zu dem breitbeinigen Festivalgesäge halten, das jede Subtilität im Keim erstickt. Statt der großen Abfahrt gibt es den einen oder anderen willkommenen Rückgriff auf die verballerte Funkyness von »Halloziehnation« und weiterhin geradlinige, moderne HipHop-Beats. Am stärksten wird das Album aber von einer ruhigen Fokussierung auf Melodien und Flächen zusammengehalten, die ein bisschen so klingt, als hätten sich grobkörnige Cloud-Cousins von »Welt der Wunder« um eine Shisha versammelt.

Der Stimmung ist das zuträglich. Der »Ring« verabschiedet sich schon nach den ersten zwei Tracks in abstrakte Sphären, die in unterschiedlichen Ausprägungen gut die Hälfte der Spielzeit ausmachen: Angefangen mit verschwitzter Outlaw-Paranoia in »Anarchie« steigert sich Marsi in eine assoziative Spiritualität zwischen Bronx, Karthago und dem Mars hinein, die im Gesamtbild so gar nicht mehr versponnen wirkt. Irgendwo zwischen dem Titeltrack, der Reinkarnations-Erzählung »7 Leben« und »Fly With Me« wird das Erlebnis viel eindringlicher, wenn man sich jenseits der allgegenwärtigen Kalauer-Punches wirklich auf das einlässt, was da passiert. Dann ist Marsimoto nämlich Erzähler einer Geschichte von Freiheit und Kontinuität, die Generationen, Kontinente und Erdzeitalter durchfliegt, ohne den Fokus zu sehr auf sich als Protagonist zu lenken. Auf jedes Detail folgt ein Herauszoomen auf mächtige Panoramen. Die mögen oft kitschig wirken, aber eben auch liebevoll und atmosphärisch. Im Kleinen versteht Marsimoto das ganz Große zu entdecken – ein Talent, das er sich gern mit Marteria teilen darf.

Natürlich sind die Basics nicht verschwunden, natürlich gibt es wieder lässiges Reimgekloppe auf »Tijuana Flow«, das Weed-Plädoyer »Illegalize It«, rapnerdige Referenzen von Haftbefehl bis Bürger Lars Dietrich und mit »Zecken raus« auch einen neuen Beleg für Martens Talent zum – und das ist als großes Kompliment gemeint – Märchenerzählen. Aber gerade weil auf Albumlänge die knalligen Slogans und Hits etwas zu kurz zu kommen scheinen, gibt es hier irre viel zu entdecken, während Marsimoto eher alterslos als erwachsen wird. Den »Ring der Nebelungen« erobert man eher unter dem Kopfhörer als im Moshpit. Zum Glück.