Main Concept 3.0
Alles wie gehabt bei Main Concept. Oder besser gesagt auf »3.0«, so der Titel des sechsten Albums des Münchner HipHop-Dreigestirns anlässlich ihres 30-jährigen (!) Bestehens. Glammerlicious und DJ Explicit streuen fleißig Sample-Schnipsel ins Sound-Beet und Frontmann David Pe übergießt mit Buchstabensuppe. Die Brühe-Note: schon recht würzig. Politischer und sozialkritischer Rap schmeckt selten mild. Schon 1993, in der allerersten Main-Concept-Single »So hat das Volk den Verstand verloren«, prangert Pe die oberflächliche Fernsehunterhaltung privater deutscher Sender an und warnt vor Nebenwirkungen wie »Volksverblödung«, weniger verächtlich, vielmehr fürsorglich. Denn als praktizierender Hausarzt liegt dem »HipHop-Dude / von Kopf bis Fuß« das Wohl der Menschen am Herzen. Helfersyndrom eben. Heißt: Nicht nur individuelle Wehwehchen behandeln, sondern auch kollektive – jene zeitgeistlichen, im Grunde genommen oft zeitlosen Themen.
Da wären zum Beispiel Argwohn, viel Meine-Seite-deine-Seite-Geblubber und wenig Austausch von Argumenten, aus welchen sich vielleicht eine Essenz ergäbe, die sich Menschlichkeit oder umfassende Liebe nennt, eine gemeinsame Lebensidee, wonach es uns allen gleich gut geht (»Touché« mit der Bonner Rapperin Die P – P mal P ist gleich P zum Quadrat und garantiert Kopfnick zu harter Kick und hoher Snare). Da wären in aller Konsequenz auch Ausbeutung und Verteilungsungerechtigkeit, inspiriert von Brecht’scher Lyrik, wonach die Reichen nur deshalb reich sind, weil sie von der Not der Armen profitieren (»Brecht Was Right«). Da wären Nationalismus- sowie Kapitalismusschellen (»Keine Zeit« mit Boshi San und Waseem) und die starke Sehnsucht nach Eindeutigkeit wegen der zunehmenden Komplexität in der Welt – ob es dabei nun um einen verengten Blick auf die Herkunft als einziges Identitätsmerkmal des Menschen geht (»Der ich bin«) oder um ultimativen Wahrheitsanspruch, der sich am Ende als subjektive Überzeugung entpuppt (»Wahrheit«): Zu leicht düsteren und verführerischen Saxophon- sowie eindringlichen Wah-Wah-Reggae-Riffen, die zögerlich durch die Lautsprecher-Membranen schwappen, zeigt sich der »Ü40er« im einen Song irritiert – »Auf Herkunft legen viele den Schwerpunkt / kann ich nicht nachvollziehen, weil jeder Mensch von irgendwo herkommt / Identität ist mehr als nur Tradition und Vererbung / seht her, ich identifiziere mich mit dem Universum« – und klärt im anderen auf: »Eine Wahrheit sei / eins und eins sind immer zwei / Und nimmt man ein Ding und noch ein Ding, dann hat man sicherlich zwei / Aber es bleibt nicht dabei / Denn sexuell gesehen, ergeben eins und eins nach neun Monaten doch mindestens drei«.
»3.0« ist aber mehr als nur Conscious-Rap und viel Liebe für den »kontemplativen Film«. Pe setzt immer wieder verbale Nadelstiche, wenn er Teile der HipHop-Szene in niveauvoller Battle-Attitüde auf ihre peinlichen Allüren aufmerksam macht (»Voll gut aus« mit der Rap-Crew Vier zu Eins) – oder zu spacigen Synthies und konspirativ anmutendem Kontrabass ihre Höher-, Schneller-, Weiter-Mentalität genauso abkanzelt wie ihren blendenden Worthülsenschwall (»Zu Fuß« und »Righteous Lyricist«). Man kann sich in der Position des Underdogs, ja, wohlfühlen. Wobei, so richtig Underdog ist man ja nicht, denn: Immer, wenn die Jungs von Main Concept zurückkehren, »ist es was Historisches«. Glammerlicious, Explicit und Pe haben Kultstatus. Sie sind echt, keineswegs derart opportunistisch, dass sie sich womöglich selbst und damit ihre eigenen Werte verraten. Sie sind hybride Künstlermenschen, sozial, liberal, progressiv – und konservativ. Da spricht die »Freestyle Live Session« (mit Samy Deluxe und Roger Reckless), ein Stückchen HipHop-Tradition, für sich, während sich gleichzeitig der Kreis zur Nostalgie im gleichnamigen »3.0«-Titelsong schließt.
In Erinnerungen schwelgen, wie schön – weil ja nichts bleibt, wie es ist, und so auch der HipHop. Die Frage, ob nun das eine ältere Subgenre besser oder schlechter ist als das andere neuere, stellt sich nicht. Nicht in der Kunst, nicht in der Musik, die vor allem eines ist und bleibt: Geschmacks-, aber auch Ansichtssache. Genauso wie das Fernsehunterhaltungsprogramm in den Privaten. Jene Formate, die Pe 1993 verpönte. Zu Recht. Denn man darf berechtigterweise über den Kunstbegriff streiten, wenn Menschen vorgeführt werden, ohne dass eine erklärende Absicht für diese Grenzüberschreitung vorliegt und/oder wenn zum x-ten Mal wiederholt wird, was hohe Klickraten, Verkaufszahlen oder Quoten verspricht. Wenn Inhalte starr und unbeweglich bleiben und damit wichtige Ziele von Kunst verfehlen: Bewusstseinserweiterung und (Selbst-)Erkenntnisgewinn.