Mac Miller Circles
Manche Künstler kommen spät zu dir – manchmal zu spät.
Ich erinnere mich wie ich 2017 in meinen Auslandssemester an der UVA an einen Kurs über den Global Reach of Rap teilnahm. Ich war damals mit 25 einer der ältesten im Kurs, vor allem an den experimentelleren Formen von Hip-Hop und dessen Abstraktion und Politisierung interessiert. Dementsprechend war ich mehr als nur leicht irritiert von der Hingabe mit der die Kids Logic, J.Cole und Mac Miller liebten und zitierten. Vor allem immer Miller.
Nicht, dass Miller komplett an mir vorbeigegangen wäre, aber es war die Art von Karriere, die ich mit einer gewissen gönnerischen Passivität verfolgte. Musikalische gab es genügend Überschneidungen, aber die inhaltlichen und biographischen Spezifika mit denen sich die anderen so stark identifizieren konnten, gab es nie. Aber ich fing an mich erneut durch seine Diskographie zu hören, um zu verstehen, was ich verpasst hatte.
Zeitsprung zu 2018 und einem sonnendurchfluteten Flughänger im fränkischen Thalmässing. Während mein Bruder darauf wartet im Fallschirm-Tandemsprung aus einen wackeligen Leichtflugzeug geschleudert zu werden, chille ich in einer Hängematte und verliebe mich in die ersten Töne von »Come Back To Earth«.
War ich anfangs in meiner Review an anderer Stelle noch etwas zynisch über die Parameter, die sich Miller auf »Swimming« für seine Katharsis schuf, verschwand diese Skepsis bald und wurde von einer tiefen, basslastigen Bewunderung ersetzt. Ich stehe immer noch dazu, dass das Album an sich eine positive Grundhaltung hat: Stasis als Basis für emotionale Arbeit und das langsame Wachsen an den eigenen Ansprüchen. Eine Interpretation, die verständlicherweise für immer durch Millers Tod überschattet wird.
Am 17. Januar kündige Millers Familie auf seinem offiziellen Instagram Account – es war der erste neue Post seit seinem Tod – mit »Circles« ein posthumes Album an, das Miller als spirituelles Begleitstück zu »Swimming« konzipierte: »Zwei unterschiedliche musikalische Stile, die sich komplimentieren und einen Kreis bilden – Swimming in Circles.« Das Album entstand eng in Zusammenarbeit mit Jon Brion, der es ebenfalls nach Millers Tod fertig produzierte und für Craig Jenkins in »Vulture« seinen Auswahlprozess vertiefte und genauen Einfluss erklärte. Ihm ist es auch zu verdanken, dass das Album musikalisch sorgfältig durchdacht und ausproduziert klingt und sich klar von den skizzenhaften posthumen Releases von XXXTentacion abgrenzt.
Die musikalische Komplementierung zu »Swimming« liegt mehr in der Mood – verträumt zurückhaltend im ewigen Balanceakt zwischen Optimismus und Fatalismus – als im Sound. Zwar bleibt dieser auf angenehm analog, aber vergebens wartet man auf die wie bei »Ladders« so punktiert eingesetzten Trompeten und Posaunen. Dafür vernimmt man einen prägnanteren Soul und Folk-Einfluss und auf »That’s On Me« bittet sogar ein Walzer zum Tanz. Die musikalische Differenzierung erfolgt auf »Circles« meistens ins Sanfte: Sachtes Strumming, gesprenkelte Pianotupfer wie Sommerregen, wollene Synthieflächen und ein warmes Vibraphon und Xylophon als Percussion.
Immer prägnant vorne im Mix ist Miller’s Stimme. Zu oft erwarten wir heute von Hip-Hop, dass er Gesangunterricht nimmt, wenn angesoulte Stimmenstripteases doch so viel mehr Emotionalität vermitteln. Wenn Miller auf »Circles« singt, singt er vorsichtig. Seine Stimme bleibt oft in einem angekrächzten Monoton, klettert sanft und langsam über die Skalen, bis sie die richtige Tonhöhe gefunden hat, bevor sie wieder in ihr Lakonie zurückgleitet. Manche Zeilen wie »Well, I’m way too young to be getting old« auf »Complicated« schmerzen dabei mehr als beabsichtigt.
Andere Songs wie »Good News« klingen wie eine Zusammenfassung seiner bisherigen Karriere. Das ständige Hadern mit den eigenen Depressionen und wie diese selbst zu einem ungewollten Trademark wurden. Besonders die dritte Strophe – ein Befreiungsschlag, der im Angesicht seines Todes nur noch trauriger wird – ist eine der Highlights des Albums. Miller sing sich frei und kehrt immer wieder zu der Phrase »It ain’t that bad« zurück, bis sie zu seinem neuen Mantra wird.
Eine der Privilegien, die man als Kritiker hat, ist Zeit: Das Wissen, dass man einen Künstler über seine komplette Laufbahn verfolgen kann, was den Druck nimmt, immer sofort korrekt liegen zu müssen und mir erlaubt zuzugeben, dass ich Miller vielleicht besonders in seinen Anfängen unterschätzt habe oder zu fordernd war. Es schmerzt dementsprechend, ihn an einer so offensichtlichen Schnittstelle zu verlieren: »Circles« ist sowohl Ergebnis Millers musikalischer Entwicklung, als Ausblick auf das, was hätte sein können. Für Miller, der sich immer dem Moment und dem Spontanen offen zeigte, muss dies als Vermächtnis reichen.