Lil B & Chance The Rapper Free (Based Freestyles Mixtape)

Mit den Worten »Ah, so I think by now you may be confused as to what we’re doing« eröffnet Chance The Rapper den zweiten Track von »Free«. Er spricht dem Zuhörer damit aus der Seele. Im Juli angekündigt und von vielen als Witz verstanden, erschien das Kollabo-Album mit Lil B ein paar Wochen später auf den Online-Portalen der HipHop-Welt. Jetzt stellen sich zwei Fragen: Was ist das? Und: Was soll man von dem Werk dieser zwei Interpreten halten, die aus oberflächlicher Sicht nicht ganz zueinander passen wollen?
Nun, es ist ein Freestyle-Mixtape zweier Rapper, die selbstbewusst einen Prototypen des Sprechgesangskünstlers im digitalen Zeitalter repräsentieren. Ein Typus Rapper, der nicht auf die finanzielle Hilfe und den Status einer Plattenfirma angewiesen sein will, sondern lieber auf das Internet und seine Vertriebswege schwört. Stets war das kostenlose Mixtape Mittel, um sich am Anfang einer Rap-Karriere Anerkennung und mögliche Deals zu verschaffen. Eine neue Generation von Rappern erkannte im Mixtape-Rapper nicht mehr nur eine Vorstufe zum Erfolg, sondern eine eigene künstlerische Existenz. Die quasi-religiös und beizeiten auch transzendental angehauchte Grinsebacke Lil B aus der Bay Area verschenkt online mehr Mixtapes als manch etablierter Rapper Songs auf iTunes anbietet. Er wurde durch seine in spirituellen Optimismus getränkte Persona zu einer Art ironischen Jesusfigur der HipHop-Memekultur.
Der Chicagoer Chance The Rapper, der aufgrund seiner Heimat und seines bunten Popverständnisses oft als Nachfolger des Kanye West der »College Dropout«-Ära stilisiert wird, pumpt ebenfalls alle seine von der Kritik gefeierten Releases kostenlos in die Venen der Blogs. Er verdient sich dazu seine Sporen mit unverkennbar flinken Featureparts an der exklusiven Seite von Lil Wayne, Jeremih und Madonna.
Für »Free« trafen sich also diese beiden Figuren in Chicago, um ein Ziel zu verfolgen: Positivität versprühen. Aus jeder Pore ihrer Texte triefen Liebesbekundungen, Selbstbehauptung und zahlreiche shout outs. Mos Def, Kendrick Lamar, Jay Electronica, Thundercat, die eigene Familie und selbst die Schulbibliotheken von Chicago sind nicht vor dem harmonischen Segen der Beiden sicher. Hier entkommt niemand dieser universellen Präsenz von Emotion. Während Lil B weiterhin seinen markanten, hingenuschelten Flow zum Besten gibt, klingt Chance hier rastloser, direkter und hungriger als noch auf dem diesjährigen Release »Surf« von Donnie Trumpet und Chances Band The Social Experiment, bei dem er sich im Bandkontext untergeordnet hat.
Zeilen wie »When God give me hella devils and is stuffin‘ me / I understand that it’s just complete as a task as a test that i gotta get through« werden am Rande der Lungenkapazität auf dem mit geschmackvollen Nujabes-Sample bestückten »First Mixtape« vorgetragen. Sie zeugen von einer immensen Dringlichkeit, die perfekt mit der liebevollen Mutter-Teresa-Haltung des Based Gods einhergeht (»Spraying for peace, man you know what I’m saying? You know that’s all we living for«). Wenn es ein Album gibt, das dafür sorgen könnte, dass der Parental-Advisory-Sticker für immer abgeschafft wird, dann wäre es dieses Mixtape.
Chance und Lil B bewegen sich stets zwischen den Polen von existenzialistischer Angst und dem von Lil B altbekannten, regenbogenfarbenen Frohsinn für die Welt. Neben Lil Bs Theorie für spirituelle Interkonnektivität (»You know we all connected«) finden auch Selbstzweifel Platz in seiner Welt (»But what if I die today? Would they remember me? Would I be history?«). Auf ihrer Mission greifen sie dabei auch auf lange Spoken-Word- und Gesangseinlagen zurück. Das neunminütige »Amen« bekommt durch die reduzierte Geräuschwand zusammen mit ihrem Stream-of-Consciousness-Singsang im Laufe des Liedes nahezu liturgischen Charakter. Generell bilden hochgepitchte Soulsamples, angejazzter Boombap und ignorant bollernder Trap die musikalische Spielfläche des Albums, agieren autark voneinander und stellen den Querschnitt des bisherigen Beat-Oeuvres beider Künstler dar.
Im Grunde wird hier klassischer Freestyle betrieben. Wir hören Outtakes, Verhaspler im Takt, gelegentliche Einwürfe und kurze Auftritte von Gästen, die beteuern, sie könnten nicht freestylen (Noname Gypsy). »Just soak it in man, cause everything real, everything authentic« beschreibt das Motto des Albums präzise. Authentizität ist hier jedoch keine Form von ausgeleierter Straßenkredibilität, sondern stellt die Echtheit der Rolle als Mensch in den Vordergrund. »Free« emanzipiert sich im Laufe des Albums von der Suche nach der einfallsreichsten Punchline hin zur verbalisierten Selbstfindung. Oder wie es der Based God persönlich am Ende von »Do the Dance« formuliert: »But all we can do is be ourself«.