LGoony Grape Tape
Schon das Betrachten des Covers von LGoonys »Grape Tape« ist ein Hochgenuss: Graphizzle Novizzle hat seine mitunter sehr geistreichen Deutschrap-Karikaturen und das eher unnötige Zeigefingerschwingen sein lassen und LGoony für dessen zweite, kostenlos erhältliche Veröffentlichung eine Titelseite angefertigt, die ihresgleichen sucht. Es ist – natürlich – eine Hommage an das Cover des legendären Azad-Albums »Leben« aus dem Jahr 2000. Damals entwarf der Münchener Writer WON ein kleinteiliges Kunstwerk, welches en detail all jene Personen und Erlebnisse abbildete und miteinander verband, auf denen Azads Existenz und somit auch die Themen seines Debüts gründeten.
Auf dem Cover des »Grape Tape« sieht man LGoony, wie er vor der Skyline seiner Heimatstadt Köln auf einem Hartgeldhaufen in der klassischen Pose der Gopniki, der Slav Squat, verweilt. Auf dem Kopf ein Designerhalstuch tragend, formt er ein Gangzeichen, um den Hals hängt eine Kette samt tennisballgroßem Diamanten, an seine Seite schmiegt sich eine Raubkatze, zu seinen Füßen stehen Eistee mit Eis, der obligatorische Double Cup und eine Dose Lipton Sparkling. Außerdem auf dem Cover zu sehen, bzw. zu erahnen: Die Antlitze von Gucci Mane, Young Thug und Lil B, eine malträtierte Genetikk-Voodoopuppe, ein klobiger PC-Tower mit Aufklebern von MZEE und der Glo Up Dinero Gang, eine brennende Deutschrap-Premium-Box samt Maskulin-Motivationsarmband und einem zerknüllten Sweatshop-T-Shirt mit schlechtem Logodruck.
Im Vergleich zu den Dramen, die sich auf dem Cover von Azads »Leben« abspielten, ist die, gemäß dem Titel des Tapes lila gefärbte, Hommage von Graphizzle Novizzle eine vermeintlich spaßige und oberflächliche Angelegenheit. Aber sie zeigt eben auch, was in LGoonys ganz eigener Realität relevant und dementsprechend Gegenstand seiner Raps ist: Der betäubte Dada-Rap aus New Orleans und Atlanta ebenso so wie illusorisch große Mengen Geld, sehr hell scheinender Schmuck, sündhaft teure Designerklamotten, mit verschreibungspflichtiger Medizin versetzte Softdrinks und ein ziemlicher Hals auf den Zustand des deutschen Rap.
Das Intro läuft gerade mal eine Minute und 20 Sekunden, da heißt es schon: »Swagger on maximum / wie KKS in jung«. Tatsächlich steckt in diesen Zeilen eine ganze Menge Wahrheit. Denn wie einst Kool Savas, dessen schüchternes Auftreten so gar nicht zu seinen drastischen Ficktexten über Brotaufstrich aus menschlichem Kot oder die anatomischen Ähnlichkeiten zwischen Koteletts und dem postkoitalen Zustand eines weiblichen Geschlechtsorgans passten, wirkt auch LGoony im ersten Moment mitnichten so, als sei dieser unscheinbare Dude zu solchen Großtaten wie jenem Tape imstande.
Aber falsch gedacht: Angezogen, so wie ich anno 2003 auf dem Skateplatz meines Heimatstädtchens rumgerollt bin, hat LGoony mit Schlafzimmerblick und schiefem Grinsen nicht nur das meist erwartete, sondern auch beste Mixtape des Jahres abgeliefert. Warum? Das ist kaum verwunderlich. Denn der Kölner ist ein guter Rapper und man fragt sich bei ihm – ganz im Gegensatz zu ein paar seiner Kollegen aus dem GUDG-Umfeld – nicht alle anderthalb Tweets, ob der Typ noch alle Latten am Zaun hat. Zumal LGoony es irgendwie auch hinbekommt, auf Songs wie »Keine Euros« die unterschiedlichsten Cloud-Rap-Ausformungen aus der Zukunft mittels kurz hinter der Adamsapfelbildung stehengebliebener Stimmlage mit bretthartem Battlerap der alten Berliner Schule zu verbinden. Migos meets M.O.R., sozusagen – oder wie ich schon vor längerer Zeit in meiner Kolumne »STOP / LOOK / LISTEN« schrieb: Irgendwo zwischen Lil B und Taktloss.
Und dann erst diese Beats! LGoony hat mit holy rain, $SOUNDS$, W?ZZY, Jvxt, No Tricks, $heWon’t, Rato, Lorenz & Urbach, cight, Abaz (!) und insbesondere dem extrem talentierten Dj Heroin ein paar Produzenten mit genau den richtigen Instrumentals rekrutiert. Sie allesamt machen Beats, die in etwa so klingen wie es schmeckt, wenn man sich morgens um 4 Uhr mit sieben Moskau Mule intus und offenen Mund vor die Nebelmaschine hockt: Oben und unten schön watteweich, in der Mitte knallhart. An den richtigen Stellen ergänzen sie ausserdem Zitate aus zeitgeistigem Vaporwave, retromantischen Videospiel-Soundtracks und Anime-Theme-Anleihen.
Das beste Beispiel ist wohl die Vorab-Single »Wasser«, für die Dj Heroin aus ratternden Hi-Hat-Rasslern, spitzen Kickdrums und dämonisch grollenden Slow-Mo-Chören eine gleichermaßen crispy und cloudy anmutende Klangkomposition geschaffen hat – und damit die beste Vorrausetzung für LGoony liefert, ein wenig über seine shiny Schmuckkollektion zu fachsimpeln. »Diamanten schein’ wie Wasser / ich kann damit umgehn’, Bitch, nenn mich Katara.« Von solch geistreichen Punchlines hat LGoony ohnehin eine Menge: Mal läuft alles im Loop wie ein Mantra (»Grape«), dann lässt er es regnen wie Frau Holle (»Geborn damit«) und man fragt sich, warum um alles in der Welt eigentlich vorher noch niemand darauf gekommen ist.
Ebenfalls erwähnenswert: »Sosa« mit Harry Quintana, den manche noch als Prinz Harry von Kollegahs »Hoodtape Vol. 1« kennen dürften. Der Gooner und Harry verteilen hier keine Erziehungsschellen, sondern übereffektive und sämtliche Schadensklassen inkludierende Pokémon-Attacken und Harry Quintana zieht Parallelen zwischen ihm, Yoda und Lothar Matthäus – groß. Apropos Features: Mit Young Kira werden in der »Lobby« lila Scheine geschmissen, an der Seite von Casper preist LGoony auf »Geborn damit« seine rosafarbenen, schwarzen und weißen Koi-Karpfen an und verwüstet gemeinsam mit Money Boy im »Lambo Gallardo« ein paar Vorgärten.
Mit einem Händchen für Hooks, mehr Rapper-Referenzen und Quote-Querverweisen (u.a. auf Flers legendäre »Ich schlaf‘ aus bis 13 Uhr«-Line) als der »Jetzt kommen wir auf die Sachen«-Eko, mit mehr Hunger und Unbeschwertheit als Casper auf »Die Welt hört mich«, dem Auto-Tune-Plug-In auf Anschlag, das Adlib-Game strong af und dabei doch so eigen und anders wie lange nichts mehr, vereint LGoony auf dem »Grape Tape« all das, was man bei einigen vielversprechenden Newcomern der letzten Jahre vermisst hat.
Mag sein, dass diese Art zu rappen in der nächsten Saison schon wieder keinen mehr interessiert und auch in Sachen Beats ein neuer state of the art an der Tagesordnung ist. Aber so tight, wie LGoony über naturtrüben Apfelsaft oder arabische Sponsoringdeals rappt, bekommt man eine leise Ahnung davon, wie gut die ganze Angelegenheit auch dann noch klingen dürfte, wenn die ganzen Filter, Effekte und Adlibs mal außen vor gelassen werden. Wer’s nicht glaubt, hört sich halt mal »Ultraviolett« an.