Lee Bannon Main/Flex

Lee Bannon_Main Flex
ALL GOOD Punchline Krönung der Diskografie.

Grundsätzlich sollte man keine Platten hören, die auf Labels mit Namen wie »Chillectro« erscheinen. Grundsätzlich sollte man auch keinen Amerikanern zuhören, die britische Clubmusik produzieren. Lee Bannon bildet allerdings eine Ausnahme für so einige Regeln: Der Producer aus Sacramento, der mittlerweile in New York lebt, zückt längst nicht mehr nur die zarte Retro-Rap-Palette für Pro Era, sondern reanimierte mit seinem Ninja-Tune-Debüt »Alternate/Endings« vor knapp einem Jahr gleich das komplette Jungle-Genre für eine neue Generation.

Wenn man sich Bannons kurze Schaffensperiode seit 2012 anschaut, so kommt man nicht umher festzustellen, dass hier ein Musikproduzent im Begriff ist, sich einen Katalog aufzubauen und dabei seine Vielseitigkeit zu beweisen. Er hat ein Underground-HipHop-Producer-Album veröffentlicht (»Fantastic Plastic«), aber auch eine Industrial- und Ambient-EP (»Place/Crusher«) und mehrere Mixtapes, die tief in die der IDM-Geschichte wühlen. Die neun durchnummerierten Miniaturen auf »Main/Flex« referenzieren Drum & Bass, UK Garage, Ambient, Breakcore, TripHop, Juke und noch tausend andere Stile. Bannon hat sie alle studiert: Aphex Twin und Goldie, Photek und Burial, RZA und Squarepusher, DJ Shadow und DJ Rashad.

Wie breit die Einflüsse des selbstbewussten Produzenten sind, zeigt schon die Auswahl der Feature-Gäste: Charlie Benante, der Drummer der legendären Thrash-Metal-Kombo Anthrax, aber auch die New Yorker Avant-Rapper von Ratking oder der Teklife-Affiliate Deejay Earl tragen zu Songs bei, ohne in deren Mittelpunkt zu rücken. Bannon setzt sie ein wie Samples, um seine eigene Vision mit Leben zu füllen. Er geht mit einer HipHop-Sensibilität an die Produktion elektronischer Musik, er orchestriert ein Mosaik aus Stimmungen und Emotionen, aus Klangsignaturen und -referenzen. Im Gegensatz zu »Alternate/Endings« ist die neue EP weniger kohärent, dafür aber abwechslungsreicher geraten. »Main/Flex« ist Kopfhörermusik, die den Hörer allein durch ihre Intensität aus der Realität entführt.

Bannon bedient sich altbekannter formaler Mittel, doch die transportierten Inhalte sind neu – hier geht er ähnlich vor wie sein Vorbild Madlib, der aus Bewunderung für die Westlondoner Szene um die Jahrtausendwende einmal unter dem Pseudonym DJ Rels ein LoFi-Broken-Beat-Album aufnahm. Die Songs von »Main/Flex« werden nicht für die großen Momente auf den Parties der eingefleischten Drum & Bass-Szene sorgen. Aber sie offenbaren einen tiefen Respekt vor den namenlosen Helden der Underground-Kultur, vor nordenglischen Automechanikern, die in den frühen Neunzigern auf Heimcomputern kleine Rave-Bomben bastelten oder Garage-Edits auf Dubplates pressen ließen und nach ein paar aufregenden Partyjahren schließlich doch in die Bürgerlichkeit entschwanden.

In »Main/Flex« steckt jede Menge solcher Dance-Romantik, aber vor allem auch das Hier und Jetzt. Junge Bands wie Ratking haben die Rhythmik von Jungle und Drum & Bass als Stilmittel wiederentdeckt, spätestens im Verbund mit Juke und Footwork aus Chicago, der im selben Tempo von 160 BPM funktioniert. Einige werden es schade finden, dass Bannon dem wohligen Sample-Boombap von Joey Bada$$ und seinen »Summer Knights« vorerst den Rücken gekehrt hat. Ich hingegen finde seine Entwicklung als Produzent mehr als beeindruckend, und »Main/Flex« ist die Krönung seiner bisherigen Diskografie.