Kollegah King
»King«, so viel gleich vorweg, bietet wenig Neues: Hochgradig komplexe Vieldeutigkeiten, bestehend aus nicht enden wollenden Substantivreimketten, beeindruckend präzisen Doubletime-Passagen und einem maximal wettbewerbsfähigen Wortschatz, ausgebreitet auf synthetischen Beats von abwechslungsreicher Qualität. Der Unterschied zu bisher? »King« wird in Kürze Gold gehen – mindestens. Die »legendärste Promophase aller Zeiten« trug freilich ihren Anteil dazu bei, der eigentliche Grund findet sich aber abseits der Werbetrommel.
Kollegah bringt es, irgendwo zwischen all den Hundertwasser-Satzbauten der siebenminütigen Punchline-Machtdemonstration »Königsaura« selbst präzise auf den Punkt: »Talent plus Disziplin ergibt Erfolg.« So banal diese Rechnung klingt, so korrekt spiegelt sie »King« wider: In jeder Silbe, jedem Adlib, jeder Pause, Pointe und Betonung spürt man die zehn Jahre Erfahrung, die F. A. Blume auf dem bosstransformierten Buckel hat. Übertriebenes Waffen-, Weiber- und Bizepsgelaber nach dem immer gleichen, recht eindimensionalen Schema – aber eben auch immer weiter perfektioniert und es dabei im Wesentlichen mit Adenauer haltend: Keine Experimente.
»King« vereint dabei die Stärken seiner drei offiziellen Vorgänger: Die seinerzeit unverfrorene Andersartigkeit von »Alphagene«, die großartige Ambitioniertheit des Zweitlings »Kollegah« und das manierierte Selbstbewusstsein des teilweise scharf verurteilten »Bossaura«, ergänzt um die bis dato ausfallärmste Beat-Auswahl – im Kollegah-Œuvre, wohlgemerkt. So gesehen ist »King« ein klarer Arbeitssieg: Nicht gegen andere Rapper natürlich – in seinem Metier ist Kollegah seit Tag Eins konkurrenzlos. Sondern im Ringen um die entsprechende Aufmerksamkeit, die andere HipHop-Künstler mit ungleich weniger Skills, aber entsprechend mehr Pop dieser Tage häufig direkt zugeschustert bekommen.
Die im Vorfeld veröffentlichten Titel »AKs im Wandschrank«, »Schwarzer Benz«, »Du bist Boss« und »King« zäunen das Betriebsgelände des Albums gut ein. Das Gros der Songs, das der »alleinige Weltmonarch« im Alleingang bestreitet, spielt sich irgendwo zwischen diesen vier Eckpfosten ab. Sowohl inhaltlich, wie auch qualitativ. Am weitesten davon entfernt sich das »Universalgenie«, indem es via eindringlich monotonem Flow und Beat sowie mit – und das ist eine irritierende Weltneuheit in Kollegah-Hooks – gescratchten Ami-Samples auf seine detaillierten Literatur-, Geschichts- und Mystik-Kenntnisse sowie, natürlich, auf sich selbst im Zentrum all dessen eingeht. (Warum es das, der Akustik nach zu urteilen, vermittels eines Telefonhörers tut, bleibt jedoch im Verborgenen.)
Schwer haben es, wie immer, geladene Gäste neben dem Alleinunterhalter: Die Features der Label-Kollegen Favorite und Genetikk gehen erwartungsgemäß klar, mehr aber auch nicht. Selbes gilt für »Cohibas, blauer Dunst« mit Farid Bang, der neben Kollegah bemerkenswerterweise immer seltener stört – wohl ein Gewöhnungseffekt. (Wobei ich den »steten Tropfen« im Falle Bang durchaus im Waterboarding-Kontext sähe.)
Der Versuch, die beiden Parallel-Universen US- und Deutschrap zu fusionieren, gelingt dann aber auch dem Kanada-Germanen nicht: The Game mag ein von ihm geschätzter Künstler und ein, seinen ersten Platten sei Dank, keineswegs egaler Rapper sein. Aber die gemeinsame Nummer »Rolex Daytona« weist beim Versuch, sie zu überbrücken, nur um so deutlicher auf die Kluft zwischen Westcoast und Westfalen hin. Der Kollabo-Pokal geht folglich mit weitem Abstand an »Karate«: Es ist Kollegah nicht hoch genug anzurechnen, dass er Indie-Ausreißer Casper für einen so unverkopften und gerade deswegen überragend guten Rap-Part zurück ans Selfmade-Mikro holt. Ganz klar eine der geilsten Nummern auf »King«.
Souverän ist ferner, dass Kollegah es im Rahmen des Albums unterlässt, andere Rapper explizit anzufeinden. Und wenn in »Lamborghini Kickdown« dann doch ein gewisser »Herr Yurderi« der Fanpost bezichtigt wird, kann man das als Referenz auf’s eigene Frühwerk durchwinken. Freunde seines zweiten Studioalbums holt er dann ganz zum Schluss mit »Omega« noch mal ab: in einer Hommage an das legendäre Outro von 2008 verabschiedet sich der Boss sieben unterhaltsame Minuten lang von der Bühne – »der braucht’n bisschen.«
Ergo: rap-mathematisch, also gerechnet in Skills + Entertainment × zu erwartende Verkaufszahlen, positioniert sich Kollegah als bester deutscher Rapper™ zur Zeit. »King« unterhält auf weiten Strecken erstklassig. In Momenten, wo das auf so gravitätischen und für Kollegah maßgeschneiderten Beats wie denen von »Flightmode« und »Morgengrauen« passiert, befinden wir uns dann exakt dort, wo man als jemand, der gerne mit Messlatten hantiert, ein Paar neue Löcher bohren wollen würde.