Kendrick Lamar To Pimp A Butterfly

KendrickLamarToPimpAButterfly
ALL GOOD Punchline Audio-Akupunktur.

Das neue Kendrick-Lamar-Album macht keinen Spaß. Von Beginn an wird der Hörer schnurstracks in einen Schwall der Konflikte hineingezogen, der sich sowohl musikalisch, als auch formal und inhaltlich entfaltet. Wenn du »To Pimp A Butterfly« hörst, um unterhalten zu werden, reißt es dich unter Wasser. Es regt auf, strengt an, und fordert – und dort liegt seine Stärke.

Während »good kid, m.A.A.d city« sich dadurch auszeichnete, dass auf dichte Erzählstränge immer wieder leichter verdauliche Hit-Elemente folgten, lebt der Nachfolger von seiner konsequenten Konfrontation mit den angestammten Hörgewohnheiten. Das Album ist derart mit Inhalten und Konzepten, die Verarbeitung erfordern, aufgeladen, dass es sich lohnt, ihnen 79 Minuten lang volle Aufmerksamkeit zu schenken. Immer und immer wieder, auch wenn es pikst.

Es pikst, von einer geloopten Wiederholung des N-Worts begrüßt zu werden. Es pikst, wenn sich der aufgeregte Thundercat-Bass gegenüber Kendricks Silbenflut auf »Wesley’s Theory« immer wieder in den Vordergrund drängelt. Es pikst, wenn Kendrick im Free-Jazz-Flow über seinen Penis rappt. Es pikst, wenn sich auf »These Walls« Bedeutungsebenen von Vaginalwänden und Gefängniswänden übereinander schieben. Es pikst, wenn in der letzten »Momma«-Minute ein hektischer Halbsong angestimmt wird. »Boo Boo« laut auszusprechen, pikst ein bisschen. Der heliumgefüllte Heul-Flow pikt. Es pikst, wenn ein Obdachloser abgewiesen wird und sich dann als Gott in Person entpuppt. »Resentment«, »depression«, »evils«, »self destruct«: piksende Worte, die immer wieder in piksenden Spoken-Word-Epilogen aufgegriffen werden.

Es sind bewusst gesäte Nadelstiche, die Kendrick austeilt, um sich Stück für Stück tief ins Fleisch seiner Zuhörer zu bohren. »To Pimp A Butterfly« ist Audio-Akupunktur auf höchstem Niveau. Es ist ein angestrengter, aufgeregter Fiebertraum, ein karnevaleskes musikalisches Großchaos. Der warme, kraftvolle Soul-Funk im Sinne von D’Angelos »Black Messiah« – eine Verwandtschaft, die auch im Hinblick auf die ähnliche Covergestaltung ins Auge fällt – trifft auf die grenzenverwischende HipHop-Definition des Outkast’schen Spätwerks. Sein Spiel mit Flows und Sprachmelodien führt Kendrick zu einem Extrem, das bewusste Anlehnung an Avantgarde-Jazz-Größen wie Coltrane und Coleman vermuten lässt. Funk? Poetry Slam? G-Jazz? Math Rap? Alles geht – nur »schön« im klassischen Sinne bleibt es nie lange. Musikalische Strukturen werden wie in einem gezinkten Kartenspiel vermischt. Dadurch werden die inhaltlichen Konflikte der geplagten Persönlichkeiten auf dem Album aufgegriffen und gespiegelt. Oder, wie Kendrick es am Ende in einer Frage an 2Pacs Geist im Bezug auf die politische Situation ausdrückt: »It’s nothing but turmoil going on.«

Inhaltlich werden politischer und persönlicher Struggle überlagert. Es werden Anspielungen an den aus Gambia entrissenen und versklavten Kunta Kinte mit Selbsthass-Tiraden verbunden. »Hood Politics« treffen auf Liebeserklärungen an die Zulu-Königin als metaphorischer Archetyp, die selbst von Antebellum-Terminologie durchzogen sind. Mit jedem Stich reißt Kendrick Lamar die Wunde auf, die in einer weiß regierten Welt bis heute tief klafft und die die Menschheit martert. Institutioneller Rassismus ist real und präsent, was der Rapper uns mit seinem Großwerk vor Augen führt, sodass es schmerzt. Er zieht dafür seine eigene Geschichte heran, aber auch viele andere, die seiner ähneln oder ähneln könnten, und bettet sie ein in eine lyrisch-musikalische Geschichtsschreibung der Unterdrückung und des Widerstands.

Das Ende des Albums scheint Erlösung zu bringen. Die angestaute und eine Stunde lang aufgebaute Anspannung entlädt sich in triumphaler, lebensbejahender Selbstermächtigung. »i« endet mit poetischer Black-Power-Rhetorik, die als Antwort auf den Anfang zu verstehen ist: »Every N**** is a star«, denn ›Negus‹ beschreibt Kaiser und Könige. Der sechsminütige Dialog, der das Album abschließt, bringt Kendrick auf Augenhöhe mit dem Geiste 2Pacs. Im Gipfeltreffen der Propheten spricht Kendrick mit dem Titelgedicht »To Pimp A Butterfly« das letzte Wort. Es macht keinen Spaß, das Gedicht wieder und wieder zu hören, denn es pikst. Mit einer Parabel schickt Kendrick Lamar seine Zuhörer und sich selbst auf den Weg, im Anschluss an einen aufwühlenden, konfrontativen, herausfordernden, phänomenalen Ritt. Denk mal drüber nach.