Kanye West Yeezus
Die ersten Sekunden von »Yeezus« tun weh. Ein atonaler Lärm schlägt um sich und klaubt erst nach und nach Versatzstücke zusammen, um so etwas wie ein Rhythmus zu werden. Die ersten Sekunden von Kanyes sechstem Album sind damit so Kanye wie es nur geht. »My Beautiful Dark Twisted Fantasy« war perfekt. »Yeezus« sollte es nie werden. In einem der wenigen – und in den meisten Fällen genialen – Interviews zur Albumveröffentlichung sagte Kanye, er wolle mit »Yeezus« Risse im Boden hinterlassen. Und das tut es – in den ersten zehn Sekunden von »On Sight« und an etlichen anderen Stellen dieses Machtwerks: »Yeezy season approaching / Fuck whatever y’all been hearing« Aber was sollte man auch von einem Album erwarten, das in erster Linie von einer Le-Corbusier-Lampe inspiriert wurde?
»Yeezus« ist ein Sammelsurium aus Reiz-Momenten – den erregend schönen und den abstoßend hässlichen. Dabei sind sie nie bewusst und provozierend gesetzt, sondern eine Folge des letzten Schliffs von Rick Rubin. Er reduzierte noch wenige Wochen vor Produktionsschluss alles Überflüssige von Kanyes »Yeezus«-Version – speckte es ab und kratzte den restlichen Schmalz von den Sound-Gerüsten. So kommen die Versatzstücke noch direkter zum Vorschein: Die treibenden Drums auf »Black Skinhead« – ironischerweise basiert der Song auf einem Sample von Gary Glitter mit dem Titel »Rock’n’Roll Pt. 2« (Wir erinnern uns an Kanyes Ausführungen über Rap als den neuen Rock’n’Roll!) –, die süßen Strings zum Ende von »Guilt Trip«, die gescrewten Backup-Vocals auf »I’m In It«, Frank Oceans Version des Samples der ungarischen Band Omega (»Gyöngyhajú lány«) auf »New Slaves«, das Air Horn – meistens das Pawlowsche Signal für, ähm, Scheiße – im Zusammenspiel mit dem Beenie-Man-Gassenhauer auf »Send It Up« und schließlich dieses großartige Kapitalverbrechen, die heilige Nina Simone auf »Blood On The Leaves« von einem Trap-Drop ablösen zu lassen – »Yeezus« wimmelt von diesen akustischen Dumm-aber-schlau-Momenten. Von Kanyes Lyrics mal ganz zu schweigen.
Eine ganze Reihe von Textern soll Kanye bei den Aufnahmen über die Schulter geschaut haben. Malik Yusef half bei acht, CyHi The Prynce sogar bei neun von zehn Tracks auf dem Album. Ein gewisser Lupe Fiasco taucht in den Credits für »Black Skinhead« auf. Interessant, dass trotz dieser Dichte von Textern insbesondere die Lyrics auf »Yeezus« moniert wurden. Nun, Kanye macht es einem nicht einfach, wenn er zeigt, was er auf seinen zahlreichen Europa-Reisen gelernt hat (»In a French-ass restaurant / Hurry up with my damn croissants«), seine Tumblr-Sprüche (»One good girl is worth a thousand bitches.«), die vermaledeite Line, in der er die 300 Spartaner mit den Trojanern verwechselt und natürlich die folgende Hook: »You see there’s leaders and there’s followers / But I’d rather be a dick than a swallower«. An vielen Stellen schmerzt die Genialität von »Yeezus«.
Im ersten Track brechen die dunklen Wolken der dunkelsten Kanye-West-Platte kurz auf und helle Sonnenstrahlen stoßen hervor. Für wenige Sekunden singt ein Kinderchor in simpelster Schönheit: »He give us what we need / It might not be what we want.« Es ist der wahrste Satz auf »Yeezus«.