Kamasi Washington The Epic

Kamasi Washington
ALL GOOD Punchline Episch!

Die Feuilletons überschlagen sich in Begeisterung, »Spiegel Online« packt die Höchstwertung aus, der Kollege Borcholte spricht sogar vom »relevantesten, radikalsten Album des Jahres«. Umso verwunderlicher, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Kamasi Washington ein Jazz-Saxophonist aus South Central Los Angeles ist, der auf Wunsch seines Labelchefs Flying Lotus ein knapp dreistündiges Opus Magnum mit einem 32-köpfigen Orchester und einem 20-köpfigen Chor eingespielt hat.

Natürlich begünstigt die Positionierung dieser schon durch ihren Umfang sehr sperrigen Platte, dass »The Epic« über FlyLos hippes Post-HipHop-Label Brainfeeder erscheint. Andererseits ist es eben kein typisches Brainfeeder-Album, keine dieser Platten zwischen verstolperten HipHop-Beats und Electronica-Texturen, wie sie in regelmäßigen Abständen der Blase entspringen, die sich vor einigen Jahren im Umfeld der »Low End Theory«-Parties entwickelt hat. Nein, es ist ein ziemlich lupenreines Jazz-Album. Eines, das Miles Davis und John Coltrane musikalisch deutlich mehr schuldet als J Dilla und Aphex Twin.

Nun weiß man schon länger, dass FlyLo und Thundercat (übrigens ein Sandkastenkumpel von Washington) eine tiefe Verbundenheit zu den Fusion-Pionieren der Siebziger verspüren: Verbrieft ist die Anekdote, nach der die beiden das George-Duke-Album »The Aura Will Prevail« im Auto so laut pumpen wie andere Juicy J. Und auch »You’re Dead!« war in seiner Essenz ein Fusion-Album, umgesetzt mit den Mitteln des HipHop. Auf »The Epic« hingegen ist Fusion eine von vielen gleichberechtigten Ideen, die Washington nimmt und verbindet: Die Streicher der Big-Band-Ära, den modalen Jazz der sechziger Jahre, den spirituellen Free Jazz von Albert Ayler und Pharoah Sanders, alle Coltrane-Phasen, Blues, Gospel und die Revolution — alles findet seinen Platz in der Epik Washingtons.

Wie FlyLo und Thundercat hat auch Washington, der knapp über 30 ist und schon mit Lauryn Hill und Snoop Dogg tourte, einen nicht unerheblichen Teil zu Kendrick Lamars »To Pimp a Butterfly« beigetragen. Er spielte Saxophon auf »U« und schrieb alle Streicher-Arrangements. Auch den Songs von »The Epic« fügte er im Nachhinein noch Streicher hinzu. Und genau wie »Butterfly« ist »The Epic« ein schwer verdaulicher Klotz von einem Album, der vom Hörer erobert werden will. Doch die Arbeit lohnt sich. Weil diese drei Stunden aus einem deutlich größeren Fundus an Material herausdestilliert wurden und es nur die besten Stücke aus den vierwöchigen Studiosessions in Silver Lake auf das Album geschafft haben.

Wenn Washington eine große Chance in seiner Karriere hat, dann diejenige, den Jazz für eine neue Generation cool zu machen, nachdem Robert Glasper bereits einige Vorarbeit geleistet hat. Schon der Opener »Change Of The Guard« transportiert mehr lebendige Jazz-Geschichte als der komplette Katalog mancher Neoklassik-Streber. Und wenn am Ende, nach gut zweieinhalb Stunden intensiver, irritierender, intellektueller, kurzum: wahnsinnig aufregender Musik die Black-Power-Hymne »Malcolm’s Theme« ertönt, dann stellt sich jedes einzelne Armhaar auf und die Tränen schießen einem in die Augen, so tieftraurig, wunderschön und kämpferisch klingt das gleichzeitig.

Wenn man all die Geschichten über Washington und die Brainfeeder-Blase aus der amerikanischen Presse liest, dann kommt man nicht umher zu glauben, dass sich in Los Angeles eine künstlerische Bohème gebildet hat, deren Protagonisten häufig aus Vierteln wie Compton oder Inglewood stammen. Als HipHop-Fan fühlt man sich an die frühen Neunziger erinnert, an das Project Blowed, die erste Souls of Mischief und The Pharcyde. An den Moment, als junge Nerds eine Kunstform von der Straßenecke in die Jazz-Clubs brachten. In einem Gespräch vor Ort sagt Washington zur »taz«-Kollegin Fatma Aydemir, für ihn klangen N.W.A. »schon immer wie Art Blakey«. Boom.

Kamasi Washington denkt und erfindet Jazz auf »The Epic« nicht neu, indem er ihn mit HipHop-Einflüssen kreuzt. Vielmehr spricht der Geist seiner Generation, der HipHop-Generation, aus seinen Melodien und Motiven, seiner Spielweise und seinen Arrangements. Das stellt eine tiefere Verbindung her, als es ein paar gesamplete Drums oder ein Gastpart von irgendeinem abgehalfterten Project-Blowed-Rapper jemals könnten. »The Epic« schließt mit einem Stück namens »The Message«. Das ist kein Zufall.