Kalim Thronfolger

Kalim Thronfolger
ALL GOOD Punchline Pointiert, nicht plump.

Wie überlebensfähig ist deutscher Straßenrap? Die Frage stellt sich immer wieder. Und Künstler antworten aus dem Nichts mit Innovation. Als Aggro Berlin dichtmachte und Bushido gefühlsduseligen Befindlichkeits-Rap veröffentlichte, sah es fast so aus, als wäre es das gewesen. Dann kam Haftbefehls »Azzlack Stereotyp«. Dann kam Celo & Abdis »Mietwagentape«. Dann: »Russisch Roulette«, »Palmen aus Plastik«, »Kokaina«. Und jetzt, während Malle-Touristen zu Dancehall-Grooves mit deutschen Texten Sangria-Eimer leerschlürfen und Banlieue-Sounds das Maß aller Dinge sind, da kommt Kalim mit seinem zweiten Album.

Kalim spuckt von Whisky und Smog schwarz gefärbte Plörre auf deutschen Straßenrap – und das ist gut. Denn er bringt die Dissonanz zurück, nachdem Sounds so glatt gebügelt wurden, dass sie nach Strandurlaub klangen, aber nicht nach Hochhaussiedlung. Die größte Stärke des bisher unpopulärsten Rappers aus dem AON-Camp ist die Fähigkeit Dreck nicht nur mit Worten zu umschreiben, sondern ihn auch erklingen zu lassen.

Es rauscht im Hintergrund, während Kalim rotzt und kläfft und abkotzt. Adlibs dringen aus Kehlen, aber wirken wie verzerrte Schreie aus der Unterwelt. Die Melodien sind oft ein einfaches Klirren, das mit dem Stampfen der Kicks verschmilzt. Sie scheinen einen bis in Hamburger Ecken zu verfolgen, die vom Laternenlicht ignoriert werden, in denen dafür aber die »brandneue 38er«-Pistole glänzt. Dadurch entsteht ein Grollen, dass den Rahmen des Albums bildet.

Das Grollen wird auch getragen durch Luciano, Gzuz, Xatar oder Gringo. Sie alle sind auf »Thronfolger« vertreten, reden mit der Gang, aber sicher nicht mit irgendeinem Milchbubi. Außer er will Koks kaufen. Denn: Sie alle wollen Bares.

Und das hätte es gewesen sein können: Brachialer LoFi-Sound, eine Art Post-Trap, der hypnotisch wirkt und ziemlich beklemmend noch dazu. Außerdem: ein ausgeprägter Waffenfetisch und bildhafte Erzählungen von den Geschäften in Hamburg-Billstedt, in denen Kalim Scheiße und Sumpf auch als Scheiße und Sumpf beschreibt. Glorifiziert wird schon mal gar nichts. Im Subtext schwimmt mit: »Ich will da raus!«

Aber dann beginnt der andere Part von »Thronfolger« – der zärtliche. Kalim beschwört doch noch seine Liebe für HipHop-Sounds der 90er-Jahre herauf, die er vorher doch aussortiert hatte. Zusammen mit Ace Tee stürzt er sich in eine samtweiche Hood-Liason, mit Bausa drückt er sich vorm Heimgehen, weil zu Hause doch nur der Dreck wartet. Es wird klar: Kalim ist hart, aber auch ein Träumer. »Auf dem ältesten Sohn lastet Druck/Ich kann mir nicht leisten, Schwäche zu zeigen«, sagt er und offenbart doch seine Gebrechlichkeit. Spätestens dann, wenn überdosierte Opiate dem Körper und dem Geist auf »Lila Regen Interlude« alle Kräfte entzogen haben. Das ist keine Realitätsflucht mehr, die Spaß macht. Aber eine Alternative scheint es auch nicht zu geben.

Kalim erzählt all das pointiert, nicht plump. Da werden ohne viele Worte Gefühle transportiert, die über Aggressionen hinausgehen. Der beschriebene Dreck und Kalims ganz persönlichen Überlebensdruck werden von oben beleuchtet. Man ist Zuschauer hinter einer Glaskuppel. Denn: »Sorge für großes Kino/Hamburg Ost Hochhaussiedlung«.

Dabei ist »Thronfolger« gar kein Blockbuster, sondern eher die (Kurz)-Film Noir-Version von Straßenrap – mit vielen Details und vertrackten Zwischentönen in schwarz-grau. Kalim hat die harte Schale und den weichen Kern dramaturgisch angeordnet, neue Sounds erforscht und Straßenrap eine nötige Adrenalinspritze verpasst. Dass er kein weiteres Westcoast-Mixtape aufgenommen hat, ist das Beste, was passieren konnte.