Joey Bada$$ B4.Da.$$

Joey Badass - B4DA$$
ALL GOOD Punchline Konzentrierte Retro-Ästhetik.

Ich musste laut lachen, als ich die Review von Paul MacInnes im »Guardian« las, nach der die meisten Songs auf »B4.Da.$$« nach alten Fugees-B-Seiten klängen. Außerdem unterstellte der Autor Joey Bada$$, dass seine technischen Fähigkeiten nicht an die derjenigen Rapper heranreichen, die er mit seinem Sound imitiert. Natürlich kann man nicht ernsthaft bestreiten, dass der Reiz von »B4.Da.$$« im Wesentlichen aus dem Rückgriff auf eine Ära besteht, in der New Yorker HipHop seinen dritten oder vierten Höhepunkt erlebte: Die mittleren und späten Neunziger zwischen Nas und Jay-Z, zwischen Bootcamp Clik und Rawkus-Rap. Die stumpfen Drums und die Jazz-Samples, der Flow-Fetisch und die gerappten oder gescratchten Hooks — alles vorhanden, so dass sowohl die altgewordenen wie die nachgewachsenen 90s-Apologeten beim ersten Durchgang freudig aufheulen werden. Songs wie die »Scenario«-Hommage »No. 99« stellen sogar regelrechte Fingerübungen im Nachbau eines bestimmten Stils innerhalb dieses Referenzrahmens dar.

Ich fand die Bemerkung des »Guardian«-Schreibers besonders lustig, weil er natürlich einen Punkt hat, diesen aber polemisch heillos überzieht. Joey Bada$$ imitiert nämlich nicht nur, sondern er entwickelte spätestens auf seinem »Summer Knights«-Mixtape eine eigenständige Persona jenseits der reinen Retromantik. Für diese Persona spielt sein heimatlicher Bezirk Brooklyn eine mindestens so große Rolle wie die Vorbilder, die seine Kindheit und Jugend prägten. Heute klingt er wie eine idealtypische Kreuzung aus Mos Def und Talib Kweli, die sowohl die Stärken als auch die Schwächen beider Rapper unter einem Supreme-Anglerhut vereint: Den jamaikanischen Swag und die stimmliche Präsenz von Mos, die komplexen Reime und die ehrliche Nahbarkeit von Kweli. Aber eben auch die latent käsige Oberlehrer-Attitüde und die nicht immer ganz glaubwürdigen Muskelspiele, die wohl beweisen sollen, dass auch ein Bücherwurm hin und wieder mal den Mädchen nachjagt und in seiner Nachbarschaft ein paar Kollegen kennt, die schon mal eine scharfe Waffe »in echt« gesehen haben.

Es gibt also im Schaffen von Joey Bada$$ – auch auf seinem Debütalbum »B4.Da.$$« – immer wieder Momente, in denen man das kleine Arroganzbündel nicht so ganz ernst nehmen kann. Das macht er aber mit seiner enormen Musikalität, seinem extrem variablen Flow und vor allem einer klaren ästhetischen Vision wieder wett. Wie schon die Vorab-Singles eindeutig signalisierten, ist das große Debütalbum keine Abkehr von der bisherigen Marschroute aus trockenen Ostküsten-Beats, klassischer MC-Kunst und minimalen Dancehall-Anleihen. Es ist nicht mehr und nicht weniger als der konsequente Schritt in einer Ära, in der hoffnungsvolle Mixtape-Artists mit ihren Majordebüts regelmäßig hoffnungslos untergehen. Das übliche Konsens-Szenario aus unpassenden Major-Features und austauschbaren Hitproduzenten umgeht Joey weitestgehend und degradiert sogar den einzigen Song, der als ein solcher Versuch gelten kann – den Uptempo-Boombap von »Teach Me« mit Kiesza – zu einem Kuriosum für die Bonus-Track-Section.

Natürlich macht Joey Bada$$ es sich einfach, wenn er auf den 15 Songs von »B4.Da.$$« einfach nochmal genau das Gleiche macht, was er schon auf »1999« und »Summer Knights« gemacht hat. Weiterentwicklung passiert allenfalls graduell, wenn er die großteils sample-basierten Throwback-Beats aus seinem Pro-Era-Umfeld (Kirk Knight, Chuck Strangers, Lee Bannon, Statik Selektah) mit ein paar interessanten Farben aufbricht, und zwar durch die Aktivierung von Potenzialen, die sich bereits in der Vorgeschichte des Albums ankündigten: Es gibt einen unveröffentlichten Dilla-Beat, der ganz offenbar von den Roots überarbeitet bzw. nachgespielt wurde (»Like Me«) und der vermutlich aus der Delicious-Vinyl-Phase stammt. DJ Premier ist noch einmal dabei, genau so wie Freddie Joachim, der bereits das Instrumental vom großartigen »1999«-Opener »Waves« produziert hatte. Und der Hit-Boy-Beat, auf dem Dancehall-Star Chronixx singt, hätte natürlich die große Radio-Hitsingle werden können, doch am Ende ist es nicht mehr und nicht weniger ein minimalistisch-reduzierter Straßenecken-Stomper, der so klingt, als würde er am späten Abend durch die halbgeschlossene Tür einer verrauchten Brooklyner Bodega auf die Straße bollern.

Natürlich scheint Joey Bada$$ besessen von der Vergangenheit seines eigenen Genres, doch zum gegenwärtigen Zeitpunkt liefert dieser Umstand kein Argument gegen, sondern FÜR seine Größe: Manche der größten Jazz-Musiker aller Zeiten wollen den Jazz nicht unbedingt voranbringen, sondern hatten einfach nur die Ikonen studiert, die vor ihnen gelebt hatten. Analog zur Forderung einer Postwachstumsökonomie in der neuen Linken kann man auf künstlerischer Ebene genau so darauf verweisen, dass es im HipHop der 2010er Jahre nicht mehr nur ums »Höha, Schnella, Weida« gehen kann, um hier mal Moses Pelham zu zitieren. Manchmal muss man auch innehalten und sich darüber klar werden, was eine bestimmte Kunstform eigentlich ausmacht. Daher gibt es in jeder Epoche, jeder Szene und jeder Bewegung die radikalen Zerstörer und Erneuerer, und es gibt diejenigen, die die alten Meister bis zur Perfektion kopieren und darüber zu ihrer eigenen Sprache finden.

Kurz gesagt, geht Joey Bada$$ keinerlei Risiken ein, sondern konzentriert sich darauf, die von ihm und seiner Clique etablierte Retro-Ästhetik auf seinem Debütalbum einmal so nah an die Perfektion zu treiben, wie es ihm mit seinen Mitteln eben möglich ist. Fraglich bleibt, wie es mit ihm weitergeht, wenn er nicht mehr den Bonus eines sympathischen, jungen Studenten genießt. Denn eines ist klar: Hätte irgendein uncooler Ü30-Rapper dieses Album gemacht, dann hätte kaum jemand abseits der üblichen Vinylsammlerzirkel mehr als ein müdes Gähnen dafür übrig. Hier spielen selbstverständlich auch Joeys Verständnis von Style und Image, seine sympathische Unbeschwertheit und Jugendlichkeit, sein Charisma und seine Präsenz eine entscheidende Rolle — insoweit ist das Modell, nach dem dieser Junge aus Brooklyn agiert, vielleicht doch gar nicht so weit von seinen erklärten Vorbildern entfernt. Joey Bada$$ rappt am Ende eigentlich wie Blu, ist jedoch viel weniger verschrobener Künstler und dafür das entscheidende bisschen mehr Popstar.