Fatoni Andorra

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ALL GOOD Punchline Hirnplatzemoji in gefühltem Moll.

Fatoni war schon immer ziemlich gut. Für das, was es ist halt: Deutschrap, ein Münchner, so dieses Freestyle-Ding. Auch sein neues Album »Andorra« ist ziemlich gut für das, was es ist. Zumindest fand ich das, bevor ich es gehört hatte. Man kennt ja seine Musik: traditionell gedachte Instrumentale auf der Höhe der Zeit, mit sporadischem Singer/Songwriter-Swag und clever exekutierten Konzepttexten über die kleinen und großen Verwüstungen des Alltags, vorzugsweise des eigenen. »Andorra« ist auch so. Dennoch ist es anders, tiefer, größer irgendwie. Es ist eine wichtige Wegmarke in der Karriere des… ja, was eigentlich?

Fatoni ist ein bisschen zu jung und seine Musik war 2007 ein bisschen zu alt, als dass man ihn der Generation um Marteria und Casper zuordnen könnte. Im Sommer 2019 aber nimmt er genau die Position ein, die die beiden damals hatten: Er ist die offizielle Alternative, der Dude, auf den sich alle einigen mögen – außer halt die anderen. »Endlich«, raunt man sich auf den Berliner Bubble-Empfängen zu, halb ehrfürchtig, halb erleichtert, da ist das Ding, auf das alle gewartet haben, sogar die Medien™️, die Fatoni zur Ehrenrettung des mittelalten weißen Mannes verhaftet haben. Man spürt das Moment. Die Konzerte werden voll sein und sich gut anfühlen. Eine Insel, ah jetzt ja!

»Andorra« rechtfertigt diesen Status in jedem Moment. Fatoni hat nicht irgendwelche random Rumpelbeats eingesammelt, um sich von »Streaming-Rap« abzugrenzen, sondern A-Ware in Spezialanfertigung von Dexter, unterstützt von Farhot, Fid Mella, Torky Tork und dem Münchner Martin Brugger. Das Album klingt nicht nach Gestern, sondern nach Fatoni: ein erwachsenes Kind seiner Zeit, das vor allem am Jetzt interessiert ist, es aber ein bisschen besser verstanden hat als all die Marimba-Glücksritter da draußen. Ebenso beeindruckend ist die Dichte an passgenauen Punchlines: T-Shirt-Material auf quasi jedem Song.

Natürlich weiß Fatoni sehr gut, wen er damit in erster Linie abholt. Mit »Clint Eastwood« hat er dann auch den definitiven Song zu Deutschraps großem Generationenkonflikt. Wer nicht so genau zuhören mag, findet hier die Bestätigung seines Feindbildes. Jawoll, richtiger Rap über unrichtigen Rap. Die wahre Meisterschaft von »Andorra« aber liegt darin, dass es sich Fatoni so einfach nicht macht. Ja, es gibt den Song über den blöden Bohlen – aber der endet in der Erkenntnis, dass sich letztlich beide nur erfolglos an ihrem großen Vorbild Paul McCartney abarbeiten, er, der König der Kommerzschweine, und er selbst, der verdammtnochmal Verkopfte.

Dieses Einerseits/Andererseits ist das Leitmotiv von »Andorra«, ein Hirnplatzemoji in gefühltem Moll. It’s complicated. It’s pretty fucking complicated. Das Album beginnt mit »Alles zieht vorbei«, der Reflexion einer Midlife-Crisis, die sich gar nicht so richtig wie eine Krise anfühlt, eher so, als wäre das jetzt immer so, und eigentlich auch ganz okay. Was habe ich erreicht? Was will ich erreichen? Muss ich das überhaupt, »was erreichen«? Haja, ich weiß es ja auch nicht… »Alles zieht vorbei« ist wahrscheinlich der beste Song des Albums, nicht nur, aber auch wegen des sehr sinnigen Schulterschlusses mit Dirk von Lowtzow, der dem Feuilleton direkt die Rezeptionsebene diktiert. Vor allem aber steht »Alles zieht vorbei« exemplarisch für die Tiefe des Albums. »Die meisten meiner Feinde sehen aus wie ich selbst.« Da steckt viel drin: Rap-Referenz, linksliberale Selbstzerfleischung, therapeutisches Bekenntnis.

Wahrscheinlich ist es Zufall, aber immerhin ist es ein sehr schöner Zufall, dass genau in der Mitte des Album die ultimative Hymne dieser Hyperkomplikation steht. In der ersten Strophe von »Nein Nein Nein Nein Nein Nein« erinnert sich Fatoni an sein pubertäres, schwarz-weiß denkendes HipHopper-Selbst: kiffen, Che-Shirt und Systemkritik, als das noch was Gutes war. In der zweiten Strophe erzählt er von seinem Kumpel von damals, der die einfachen Antworten heute in den Untiefen von YouTube findet. In der dritten Strophe schließlich stellt er paranoide Ausreden neben harte Wahrheiten: »Ich würde ja gerne glauben, die schalten mich stumm / Das ist ein viel geilerer Grund, als: Es ist interessiert mich halt einfach nicht, und deswegen halt‘ ich den Mund«. Dabei lässt er bewusst offen, wem er damit eher in den Arsch treten will, den Verschwörungstheoretikern oder denen, die es besser wissen und deshalb vorsichtshalber in der Schockstarre verharren, »der Gesellschaft« oder sich selbst. Wenn man so will, ist der Song eine Fortsetzung von Dendemanns »Keine Parolen« mit anderen Mitteln. Es ist, wie gesagt, nicht so einfach. Aber das ist auf Dauer halt auch kein Grund.

Nicht alles wiegt so schwer auf »Andorra«. Es gibt ein Liebeslied für den Empfehlungsalgorithmus (»Wie du«), Witzchen über die eigene Netflix- und Foodora-Sucht (»Alles cool«) und einen selbstironischen Battletrack mit Casper (»Burj Khalifa«). Genau das aber macht Fatonis Musik besonders: dass auch in diesen leichten Momenten interessante Gedanken stecken: »Hör nur auf dich selbst, haben die anderen gesagt«. Unbequemer war vermeintlicher Funrap nie. Die dem Deutschrapper so heiligen Grenzen zwischen Themensongs und reinen »Representern« vermischt Fatoni dabei mit diebischer Freude: Es hat eben doch alles mit allem zu tun.

Ganz am Ende gibt es dann noch ein Trennungslied. Die plakative Hook (»You took a piece of my heart«) nervt hart, man stellt sich eine sehr belastende Festivalsituation vor, so mit Armen von links nach rechts vor einer taghell erleuchteten Bühne. Auch das aber gehört irgendwie dazu, schließlich ist wenig so quälend banal wie das Gefühl, dass es vorbei ist. Worum es genau geht, wird nicht ganz klar. Eine Frau? Das Versprechen ewiger Jugend? Das Leben, das mal so einfach war? Muss im Endeffekt jeder selbst wissen. Ja, Fatoni ist in erster Linie mit sich selbst beschäftigt. Aber der Mann im Spiegel sieht einem oft verdammt ähnlich. Das Songwriting auf »Andorra« ist so, dass man sich gleichzeitig ertappt und verstanden fühlt.

Sarkasmus ohne Zynismus. Tiefe ohne das, was Rapper immer mit Deepness verwechseln. Klassischer Rap ohne Retrohuberei oder elitistische Eitelkeit. »Andorra« ist echt mega. Für das, was es ist. Und ganz generell auch.