Earl Sweatshirt I Don't Like Shit, I Don't Go Outside

Earl_Sweatshirt_Cover
ALL GOOD Punchline Riesengeiler DOOM Rap.

Die Rap-Welt dreht völlig frei wegen des neuen Kendrick-Albums, und ich würde ja prinzipiell gerne in den Kanon der Begeisterung einstimmen, doch die Wahrheit ist: Seit vor wenigen Tagen das dritte Earl-Sweatshirt-Album erschien, habe ich »To Pimp A Butterfly« nicht ein einziges Mal mehr anhören und mir somit auch keine Meinung bilden können. »I Don’t Like Shit, I Don’t Go Outside« brauchte nämlich keine konzentrierte Auseinandersetzung nach Feierabend, sondern nur einen halben Durchgang zwischen zwei Terminen auf MacBook-Lautsprechern, um mich vollends in seinen Bann zu ziehen. Seitdem läuft es im Dauerloop.

Gegensätzlicher als das Kendrick-Album und das Earl-Album könnten zwei Rap-Platten auch kaum sein. Hier das musikalisch ultrakomplexe Maximalkunstwerk, das knapp 80-minütige, allumfassende künstlerische Statement zur Lage der Nation mit poetischem Titel und historischen Referenzen. Dort ein lässig aus dem Ärmel geschütteltes, bis hin zur Ignoranz minimalistisches Machwerk, das die Bezeichnung als Album formal kaum verdient: 10 Songs, drei davon unter zwei Minuten lang, insgesamt eine halbe Stunde Spielzeit. Dafür aber ist jeder Loop und jede Silbe, jeder Atmer und jedes Outro absolut essenziell.

In den Texten betrachtet der mittlerweile 21-Jährige die letzten Jahre seines Lebens, die gescheiterte Beziehung zu der Mode-Bloggerin Mallory Llewellyn, den eigenen rasanten Aufstieg in einem Business, das Künstler wie ihn tendenziell nicht versteht, und seine Rolle als Avantgarde-Posterboy einer neuen Rap-Generation. Er seziert all diese Dinge mit der Skepsis, der Leidenschaft und der latenten Abscheu des jungen Intellektuellen. »I Don’t Like Shit, I Don’t Go Outside« ist eine Chronik von Bipolarität und Sozialphobie, von Verlust und Betäubung.

Die beste Entscheidung, die Earl getroffen hat, war wohl, das Album fast vollständig selbst zu produzieren. (Nur bei zwei Tracks hilft der Odd-Future-Kollege Left Brain ein bisschen mit.) Earl pitcht Erykahs Dilla-Nachruf »Fall In Love (Your Funeral)« herunter, samplet Ann Peebles und den von Stones Throw wiederentdeckten Exzentriker Gary Wilson. Manche Beats klingen mit ihren ätherischen Synthie-Flächen und pluckernden 808s nach dem Post-Cloudrap von Antwon, andere dank schleppender Drum-Breaks und schräg geschnittenen Samples wie ambitionierte Skizzen von RZA oder Madlib. Seine Track-Miniaturen sind mit derselben Wildstyle-Schludrigkeit gebaut wie Rammellzee-Buchstaben. Flavor > Technik.

Mit Vince Staples und Wiki von Ratking gastieren gleich zwei der besten Rapper seiner Generation. Earls guter Kumpel Da$h, der Neffe des Nuller-Jahre-Rap-Moguls Damon Dash, ist auf einem Song zu hören, außerdem sein anderer guter Kumpel Na’kel Smith, ein Pro-Skater, den man vor allem aus dem letzten Supreme-Video »Cherry« kennt. Den Rest der Tracks füllt Earl selbst und – hier liegt die einzige lose Parallele zu Kendricks hochgelobtem Magnum Opus – experimentiert mit Stimmlagen und Styles. Mal macht er es sich in einem halb gelangweilten, halb angepissten Tonfall bequem, dann gibt er plötzlich eine Strophe lang einen astreinen Atlanta-Flow zum Besten, an anderer Stelle rappt er mit wuterstickter Stimme oder auch mal in halber statt doppelter Geschwindigkeit.

Earl Sweatshirt will nicht die Welt retten, sondern erst mal nur sich selbst. Er erweitert HipHop auch nicht um weitere musikalische Facetten, sondern schneidet an allen Seiten den Fettrand ab und dringt so zur absoluten Essenz der Kunstform vor. Repetition ist der Schlüssel. Es gibt keinen einzigen Moment auf »I Don’t Like Shit, I Don’t Go Outside«, den ich langweilig oder deplatziert finde. Der Kollege Anthony Obst bezeichnete »To Pimp A Butterfly« treffsicher als »Math Rap« – angelehnt an den Begriff des Math Rock, einer ultrakomplexen und teilweise dissonanten Progrock-Spielart. In dieser Terminologie betrachtet, ist Earl Sweatshirts neues Album eher so etwas wie puristischer, mäandernder und vor allem riesengeiler DOOM Rap.