Drake Honestly, Nevermind
Wenn H&M und Zara bei den aktuellen Trendthemen auf Twitter auftauchen, dann kann das natürlich nur die Schuld von Drake sein. Klar. Die minimalistische und – gelinde gesagt – ziemlich unaufdringliche House/R&B-Mischung auf seinem neuen Surprise-Album »Honestly, Nevermind« würde sich perfekt in den glattgebügelten Vibe eines solchen Fast-Fashion-Geschäfts einfügen, wurde wie am laufenden Band angemerkt. Stimmt ja auch. Beim Hören von scheinbar inhaltslosen Songs wie »Flight’s Booked« oder »Overdrive« (zwei Beispiele, die noch dazu miserabel abgemischt wurden) wird man höchstens von der Tatsache beeindruckt, wie gleichklingend und dröge ein Album sein kann. Hintergrundmusik halt. Damit du auch bloß nicht davon abgelenkt wirst, in stickigen Klamottenläden nach unfair hergestellter Made-in-Bangladesch-Ware zu greifen.
Und wenn einem dann doch irgendwas auffällt, dann meistens nicht positiv: Drakes unerträglicher Autotune-Falsetto in »Falling Back«; geschmacklose Lyrics wie »Your pussy is calling my name« oder die emotionslose Anfänger-Gitarre in »Tie That Binds«. Dass die ersten Sekunden von »Down Hill« an Lionel Ritchies »All Night Long« erinnern, ist – wenn überhaupt – nur beim ersten Hördurchgang lustig.
Dabei ist unser kanadischer Lieblings-Sadboy alles andere als unbegabt. Nicht umsonst hat Lil Wayne, Mentor von Drake und seinerseits eine genreprägende HipHop-Legende, ihn mal den ultimativen Künstler genannt, womit er vor allem auf einen Punkt anspielt: Drakes Talent, mit mehreren Musikwelten jonglieren zu können. Plötzlich war da dieser Typ, der sich Rapper nannte und häufig noch im selben Song zu Singen begann – nicht besonders gut, aber gerade das hat’s so ausdrucksstark gemacht.
Auch wenn er nicht der erste singende HipHop-Künstler war (siehe z.B. »808s & Heartbreak« von Kanye West), hat er diesen Gedanken auf ein neues Level gehoben und damalige Grenzen gesprengt. Heute, wo sich gefühlt jeder Rapper so präsentiert, vergisst man manchmal: Die Musik von Drake war revolutionär in ihrer konsequenten Mischung aus protzigem Sprechgesang und sentimentalem R&B. Ende der 2000er-Jahre noch keine Selbstverständlichkeit.
Auf »Honestly, Nevermind« rappt Drake nun lediglich in dem großartigen Highlight »Sticky« und dem soliden Trap-Closer »Jimmy Cooks«, der eher weniger in den sonst sehr einheitlichen House-Vibe des Albums passt. Meistens ist Drake damit beschäftigt, seine früher so eingängigen Gesangsmelodien mit strukturlosem Gejaule zu ersetzten und scheint wohl nicht zu merken, wie unfertig seine Platte zwischendurch klingt – so als hätte er jegliche Form von Filter verloren.
Der 35-Jährige wirkt nicht mehr hungrig, sondern gelangweilt, und verwendet seine größte Stärke (das Balancieren von Stilen) nur sporadisch. Stattdessen stolpert er ziellos auf uninspirierten Dance-Beats herum, leider fast durchgehend. Man fragt sich: Warum? Drakes Antwort: «I found a new muse«. Achso. »That’s bad news for you«, heißt es weiterhin. Stimmt.
Obwohl seine egozentrischen Lyrics schon immer voller taktloser Aussagen waren, hat Drake es stets geschafft, charmant zu bleiben. Doch im Hinblick auf neue, selbstgefällige Textzeilen wie »If I was in your shoes, I would hate myself« oder »I know my funeral gon‘ be lit ’cause of how I treated people« kann ich nur noch schwer Sympathie für ihn empfinden. Meistens aber, und das ist mindestens genauso anstrengend, werden hier Worte benutzt, ohne irgendwas zu sagen. Einfach nur leere Sätze, komplett frei von Bedeutung oder Humor.
Aber zurück zum Jonglieren von Musikwelten: Nicht nur Rap und R&B hat Drake auf seinen Platten abgedeckt, sondern unter anderem auch Afrobeat, Grime, Dancehall – und eben House, sogar schon vor über zehn Jahren: Der Titeltrack seines überragenden Klassikers »Take Care« (2011) bestand hauptsächlich aus Dance-Elementen, und auf seinem Projekt »More Life« (2017) gab es mit »Passionfruit« und »Get It Together« mindestens zwei Tracks, die ebenfalls mit solchen Einflüssen liebäugeln. Jeder von diesen Songs ist dabei deutlich erfolgreicher als alles, was man auf »Honestly, Nevermind« finden wird.
Trotzdem muss man der Platte eine Sache lassen: Sie ist anders – jedenfalls versucht sie durch ihre einheitliche Soundästhetik von Drakes typischer Album-Formel abzuweichen. Der Rapper ist hier ausnahmsweise mal nicht den einfachsten Weg gegangen, wie auf seinen letzten drei Studioalben, die trotz guter Singles unfokussiert und aufgebläht wirkten, sondern hat endlich mal wieder etwas riskiert. Immerhin. Auf dem Papier ist »Honestly, Nevermind« ein erfrischendes Album. Aber eben auch nur dort.