Dr. Dre Compton

Compton
ALL GOOD Punchline In Ordnung.

Bei den ersten beiden Alben von Dr. Dre verhält es sich wie bei »Terminator I« und »Terminator II«: Man kann darüber streiten, welcher Teil besser gelungen ist, beide sind aber ohne Frage game changer und Teil der Popkulturgeschichte. »Terminator 5« ist immer noch okay. Mehr aber auch nicht.

Die Zeichen stehen eigentlich gut für ein Dre-Album: Der N.W.A-Film steht in den Startlöchern und während die Trap-Welle so langsam ihren Zenit überschritten haben dürfte, braucht es im Hochsommer mal wieder Beschallung für Cabrio-Ride und Grillfeier. Zudem klafft im breiten Westküsten-Portfolio mittlerweile eine Lücke: Kendrick Lamars sperrig-intellektuelles Opus Magnum bemühte den klassischen Sound zumeist unter dekonstruktiven Gesichtspunkten und lässt sich kaum noch unter das lokale Etikett subsumieren. Odd Future haben ihren ganz eigenen Sound kreiert und auch ein Fashawn verschmilzt den kalifornischen Bounce immer stärker mit New-York-Einflüssen. Weil der Dre-Sound fast ein eigenes Genre ist, in dem sich in den letzten Jahren nicht viele getummelt haben, braucht das Comeback theoretisch nur die klassische Formel mit zeitgenössischen Updates, die vor Stagnations-Klagen schützen. Was liefert ein 50-Jähriger ab in einer Zeit, in der längst andere die Westcoast repräsentieren und das Siegel eine andere, sehr viel diffusere Bedeutung hat als um die Jahrtausendwende? Die Antwort fällt zwiespältig aus: Inhaltlich geht es politischer zu. Und wenn Biografie oder vielmehr Lebenswerk rekapituliert werden, ist das immer noch legitimer und besser gemacht als bei manchem Weedticker, der sein erstes Mixtape ins Netz stellt und dafür bereits den Schampus knallen lässt.

Soundtechnisch bietet »Compton« Halbgares. Das Album ist kein Totalreinfall, aber auch keine rundum gelungene letzte Platte einer Ikone. Damit keine Missverständnisse aufkommen: Jeder einzelne Track ist fantastisch ausproduziert – die Klangqualität ist nun wirklich das letzte Problem. Und unterm Strich ist das schon alles in Ordnung. Mit Blick auf ein solches, einstiges Künstler-Kaliber muss man aber genauso nüchtern sagen: »In Ordnung« ist eben nur »in Ordnung«. Der G-Funk kam über packende Synthies, kalifornisch-verkiffte Reime und mit dieser Monsterportion von etwas, das man heute Swag nennen würde. Zwischen BBQ, Olde English und Blunt bellte man etwas Gang- und Guntalk rüber, bevor der Lowrider wieder Richtung Crenshaw rollte. Das reichte bei »The Chronic« (1992) und auch sieben Jahre später – in verfeinerter Form – zum Klassikerstatus. Aus dem Hause Dre kamen ab dann Produktionen, die den G-Funk zurückdrehten und das Stilelement des Piano-Loops stärker etablierten als zuvor. Vor allem Scott Storch führte diese Handschrift weiter – auch wenn der Chef die Knöpfchen nicht immer selbst drehte. Das kann man beim 16 Tracks starken Neuling »Compton« leider nur noch mit Abstrichen behaupten. So seltsam es klingen mag: In Deutschland und bei den Nachbarn scheint der mitunter bessere Westcoast-Sound gemacht zu werden – etwa von The Breed oder Brenk Sinatra und seinen Betty Ford Boys.

Problematisch ist, dass sich »Compton« partiell bei aktuellen Trends bedient, die dem Doktor einfach nicht sonderlich stehen. Trap-Elemente (»For The Love Of Money«) nötigen ihn mit gepresster Stimme in den Doubletime-Modus. Tracks, die viele gute Einzelelemente aufweisen, fügen sich nicht zu einem Soundbild, das diesen Drang zum Repeat auslöst (»Satisfiction«). Im Gegenteil, manche Track-Passagen sind überproduziert, nerven oft mit diesem gewissen Element zuviel (»Deep Water«, »Issues«). Auch nicht jedes Feature überzeugt: »Medicine Man« bietet neben Belanglosem mit etwas Effekt-Gewitter wieder mal so einen Eminem-Part, den nur Die-Hard-Fans oder Freunde des Tourette-Syndroms gut finden können.

Ein weiteres Problem ist: Die meisten Gäste liefern Parts ab, an denen sich der Gastgeber orientiert – nicht andersherum. Dre war als Rapper nie ein Ausnahmetalent. Dafür wusste er, was er konnte und etablierte dadurch einen hohen Wiedererkennungswert. Zugestehen muss man erstaunlicherweise aber, dass er auf »Compton« zugelegt hat: Variierende Flows und Delivery emergieren, wo einst der Laid–Back-Modus den Ton angab. Das ist möglicherweise ein Fortschritt – hätte man nicht das Gefühl, dass hier jemand einerseits seine »Stimme« verloren hat (»Talk About It«) und andererseits sich über unpassende Beats einem Level zu nähern sucht, das nie seines war und auch gar nicht sein musste (»Darkside«).

Viele Tracks treten ansonsten auf soliden Pfaden (The Games »Just Another Day«, »It’s All On Me«). Zwei positive Ausnahmen seien erwähnt: Die Kollaboration mit DJ Premier auf »Animals« ist nicht nur auf dem Papier ein Echthaltertraum, sondern auch tatsächlich ein gelungenes Legendentreffen. Mehr aber auch nicht. Schön ist ebenso, dass Snoop auf »One Shot Kill« die Crooner-Rolle für einen Moment abstreift und in die Form der »Doggystyle«-Zeit zurückfindet. In Momenten, in denen Dre dann musikalisch zur klassischen Formel greift, (der Xzibit-Part auf »Loose Canons«, »Gone«) und keine Raps bietet, bei denen man das Gefühl hat, ein anderer hätte sie vorgerappt, springt der Funk(en) auch wieder über. Etwa bei »Talking To My Diary«, das wirklich wieder so ein Dre-Momentum hat und auch Lines bietet, die nicht nur altersgemäß sind, sondern auch einprägsam.

Zu guter Letzt hinterlässt »Compton« noch einige Fragen: Warum sind auf diesem Album, neben all den erwartbaren Big Names und Weggefährten so viele No Names versammelt, die kaum Essentielles beizusteuern vermögen? Natürlich waren auch auf den ersten Platten Rookies, die hinterher zu Stammspielern wurden. Dieses Potenzial ist hier aber kaum auszumachen. Wo früher eine Mary J. Blige Gefühl in die Stimme packte, mühen sich R&B-Chanteusen ohne allzu großen Wiedererkenungswert.

Schlussendlich verhält es sich wie bei »Terminator 5«: Alles gut gemeint und wirklich besser als Skeptiker vermuteten. Der Charme verliert sich aber zu oft in einem Zuviel und hat zu wenig von einer Essenz.