Company Flow Funcrusher Plus
Wäre das hier ein Hollywood-Film über Jaime Meline, begänne er mit vier Schlüsselszenen, die sehr verkürzt erklären sollen, wie aus Jaime Meline der Rapper und Produzent El-P wurde: Ein Junge sitzt auf einem zu hohen Barhocker am Tresen eines Restaurants. Gebannt beobachtet er einen Mann, der sich auf der gegenüberliegenden Seite des Raums mit geschlossenen Augen über ein Klavier beugt und ein Lied singt. Niemand sonst interessiert sich für die Musik, sie soll lediglich die Gespräche der Gäste und die klirrenden Geräusche des Thekenpersonals überdecken. Das stört weder den Jungen noch den Musiker, der – ganz in der Musik versunken – den Lärm um sich herum nicht wahrzunehmen scheint. Der Junge: Jaime Meline. Der Musiker: sein Vater.
Kaum ist der Vater als Rolle eingeführt, verschwindet er wieder aus dem Bild. Jaime Melines Eltern lassen sich scheiden, mit sechs Jahren zieht er mit seiner Mutter und seiner Schwester von Manhattan nach Brooklyn. Die Kamera zeigt ihn, wie er mit großen Augen die HipHop-Momente seiner neuen Nachbarschaft aufsaugt: Graffitis auf U-Bahnen, Menschen, die an einer Straßenecke auf auseinandergefalteten Pappkartons breakdancen oder mit riesigen Boomboxen auf der Schulter umherstolzieren.
Aus dem Sechsjährigen ist ein Jugendlicher geworden, der sich rumtreibt, Unsinn anstellt und von zwei Schulen fliegt – bis seine Mutter die Schnauze voll hat. Sie macht ihm klar: Nichtstun und sich wie ein Arschloch aufführen sind keine Optionen mehr. Irgendwas muss er lernen. Also besucht Jaime Meline das Center for the Media Arts in Manhattan, um sich zum Tontechniker ausbilden zu lassen. An dem Job hat er wenig Interesse, doch die Ausbildung ist das goldene Ticket zu seinem Sehnsuchtsort: dem Studio.
Es ist Nacht, Jaime Meline liegt wach in seinem Zimmer. Seit ein neuer Stiefvater bei ihnen eingezogen ist, schläft er selten. Es beginnt mit dumpfen Poltergeräuschen, die ihn aus seinen Träumen reißen. Dann hört er seine Mutter, die im Nebenraum schreit und wimmert. Er betet, dass es aufhört, und hat gleichzeitig Angst, seine Mutter nicht mehr zu hören. Doch da ist noch ein anderes Gefühl, das Jaime Meline nicht schlafen lässt: Wut. Auf den Stiefvater. Und auf sich selbst, weil er sich nicht gegen diesen Albtraum wehrt.
Kapitel 1: »My name is El-P, I produce and I rap, too«
Zu Beginn seiner Karriere steht Jaime Meline vor einem Problem, das er mit vielen Rapper:innen teilt. Gleich nach den ersten wackeligen Gehversuchen, nach den ersten im Kinderzimmer aufgenommenen Freestyles hat sich Jaime Meline einen möglichst bösen Künstlernamen ausgedacht. Wenige Jahre später merkt er, dass dieser ziemlich peinlich ist. Doch er hat Glück: In den meisten Strophen hat Jaime Meline nicht seinen kompletten Künstlernamen – Lyrical Punisher – benutzt, sondern lediglich die Initialen gerappt. Also muss er einfach nur eine neue Bedeutung für die Abkürzung suchen. Sein Blick fällt auf eine Schachtel billiger Zigarren der Marke »El Producto«, aus denen seine Freunde und er Blunts drehen. Et voilà: aus LP wird El-P, aus Lyrical Punisher der Rapper und Produzent El Producto.
Und El-P ist auch Company Flow – zumindest am Anfang. 1992 nutzt er den Namen seiner späteren Crew erstmals für seine eigene Musik. Im selben Jahr lernt er auf der Party zu seinem 17. Geburtstag den DJ Leonard Smythe aka Mr Len kennen und nimmt gemeinsam mit ihm die erste offizielle Single »Juvenile Technique« von Company Flow auf. Die Strophen und der Beat stammen von El-P, für die Hook scratcht Mr Len eine Zeile des Rappers Special Ed.
Offiziell stößt Bigg Jus (Justin Ingleton) als drittes und letztes CoFlow-Mitglied erst drei Jahre später dazu, doch einen kleinen Anteil hat auch er an der Veröffentlichung von »Juvenile Technique«. Er lebt zu dieser Zeit zusammen mit El-P in einer WG in Manhattan und arbeitet als Collegeradio-Promoter für das Label Libra, bei dem Mr Len als Praktikant jobbt. Gemeinsam überzeugen sie die Label-Verantwortlichen davon, »Juvenile Technique« 1993 als Twelve-Inch zu veröffentlichen. El-P ist 17 Jahre alt, als er den Plattenvertrag unterzeichnet. Und hat danach einen Gedanken, der seiner Mutter gar nicht gefallen haben dürfte: »Das war’s, jetzt bin ich Rapstar«, erinnert er sich 2013 in der Red Bull Music Academy. »Keine Chance, dass ich jetzt noch weiter zur Schule gehe.«
Kapitel 2: »Independent as fuck«
Die zweite Twelve-Inch »Eight Steps To Perfection/Vital Nerve«, auf der Company Flow 1996 erstmals als Trio in Erscheinung treten, veröffentlichen sie auf dem eigenen Label Official Recordings. Die A-Seite ist ein früher Höhepunkt in der kurzen Diskografie des Trios, an dem sich stellvertretend zeigen lässt, was den Sound von Company Flow bis heute so besonders macht. Die wenigen Zutaten sind schnell aufgezählt: »Eight Steps to Perfection« beginnt mit ein paar verhallten Tönen, mit der die Disco-Nummer »Theme From Big Time« von Smokey Robinson nach über neun Minuten langsam ausklingt. Doch El-P nutzt diese wenigen Töne des Outros, auf die vor ihm vermutlich noch nie ein:e Hörer:in geachtet hat, nicht nur als Intro, sondern loopt sie als melodische Grundlage für den gesamten Song.
Nach zehn Sekunden kommt ein Drum-Break aus einem Funk-Song der 70er dazu – und mit dem Beat steigt auch Bigg Jus in den Song ein: »Rugged like Rwanda/ Don’t wind up far or you get chopped up.« Nach dieser seltsamen Drohung zu Beginn seiner Strophe verquirlt Bigg Jus in den nächsten Zeilen zig Themen zu seltsam schiefen Bildern – es geht unter anderem um Baby-Urin, den John-Wayne-Western »Bis zum letzten Mann«, Feuerwerkskörper und »Blade Runner«. Und wenn ihm El-P schließlich ins Wort fällt, anders kann man den Übergang von dem einen zum anderen MC nicht beschreiben, wird das karge Instrumental noch um ein paar Bleep- und Bloop-Sounds aus »Telephone Line« von Electric Light Orchestra ergänzt – schließlich vergleicht sich Jaime Meline in seinem Text mit dem Killerroboter aus dem SciFi-Film »The Black Hole«.
Im selben Jahr sitzen El-P, Bigg Jus und DJ Mr Len im Auto, das sie in der Nähe des World Trade Centers geparkt haben, und hören Radio. Gerade haben sie ihre erste EP »Funcrusher« direkt aus dem Presswerk zu den beiden Radio-DJs Adrian Bartos aka DJ Stretch Armstrong und Robert Garcia aka Bobbito gebracht. Jetzt warten sie, dass deren Sendung »The Stretch Armstrong and Bobbito Show« losgeht. Die Sendung auf dem Student:innen-Sender 89.9 WKCR-FM der Columbia University ist in den 90ern das Epizentrum der New Yorker HipHop-Szene. Notorious B.I.G., Ol‘ Dirty Bastard, der Wu-Tang Clan oder Nas freestylen live im Studio oder präsentieren dort der Öffentlichkeit erstmals ihre neuen Songs. In hunderten Kinderzimmern wird die Sendung Abend für Abend akribisch auf Kassette mitgeschnitten. Auch Company Flow sind seit den ersten Demotapes regelmäßige Gäste der Sendung – und an jenem Abend eröffnen Adrian Bartos und Robert Garcia die Sendung mit »Eight Steps to Perfection«. Als die »Rugged like Rwanda«-Zeile aus den Boxen des Autoradios ertönt, brechen El-P, Bigg Jus und DJ Mr Len in Jubel aus. »Es war eine der unvergesslichsten Nächte in meinem Leben«, so Bigg Jus im Interview mit der Vice.
Company Flow verkaufen 30.000 Exemplare ihrer Debüt-EP »Funcrusher«. Und zwar ohne die Unterstützung eines Labels, sondern »Independent as fuck«, wie ihr Motto verrät. Das liegt sicherlich am Support der beiden Gatekeeper Stretch und Bobbito und zeigt außerdem, wie lebendig die Rap-Subkultur im New York der 90er Jahre ist. Doch es gibt noch einen dritten Faktor für diese außergewöhnlich guten Verkaufszahlen: Trickserei. El-P und Bigg Jus arbeiten zu dieser Zeit beide im Mailorder-Department des Musikhändlers Tower Records. »Ich habe damals vermutlich 10.000 CDs von Bone Thugs-N-Harmony verschickt«, so El-P im Podcast von Open Mike Eagle. 1996 verschickt Tower Records aber nicht nur CDs von Bone Thugs-N-Harmony, sondern auf wundersame Weise landet auch »Funcrusher« von Company Flow bei wichtigen Radio-DJs und Plattenhändler*innen.
Kapitel 3: »Having a good time being bad«
Zeitzeug:innen betonen in Interviews häufig, wie freundschaftlich und unterstützend die lokale HipHop-Szene in New York in dieser Zeit war. Doch sie verschweigen auch nicht, was für ein harter Konkurrenzkampf herrschte, weil jede:r jede:n übertrumpfen wollte. Auf Hausparties beleidigten sich die anwesenden MCs zu späterer Stunde bei einem Freestyle-Turnier mehr oder weniger kunstvoll. Und auch die DJs waren kein bisschen besser, wie Mr Len im Interview mit dem Wire-Magazin erzählt: »Die meisten DJ-Battles, an denen ich teilgenommen habe, waren Battles auf irgendwelchen Hauspartys in irgendeinem Keller, bei denen man verliert, auch wenn man gewinnt: ›Du warst gut, also machen wir dich jetzt fertig.‹«
Es ist kein Wunder, dass die Musik von Company Flow, die in diesem Umfeld entsteht, vor allem eine Botschaft hat: Wir sind ziemlich geil, du und deine Crew dagegen eher weniger. Allerdings sind die Songs auf der EP »Funcrusher« und auch ein Jahr später auf dem Debütalbum »Funcrusher Plus« nur vordergründig Battlerap, musikalisch wie textlich wird dieser Wettstreit vor einer ganz anderen Kulisse inszeniert: Die Szene spielt in einem (post-)apokalyptischen New York, das noch abgefuckter und lebensfeindlicher als in der Realität ist. Die beiden HipHop-Crews, die optisch eher an Gangs aus »Clockwork Orange« erinnern, haben sich unter dem Vordach eines verrammelten Ladens zusammengedrängt, weil es wieder Batteriesäure regnet. Im Hintergrund explodiert ein Hochhaus, andere stehen in Flammen oder sind bereits zu Ruinen heruntergebrannt. Dort kämpft die US-amerikanische Regierung mit einer außerirdischen Spezies darum, wer die Menschheit unterjochen darf. Beide Crews interessieren sich nicht für das Ergebnis dieses Kampfes, für sie zählt nur der eigene Wettstreit. Ein paar Straßen weiter werden Zwangsarbeiter:innen von bewaffneten Wärter:innen in eine Fabrik geführt, die voll funktionsfähiges Kriegsspielzeug für Kinder herstellt. Aus einem Lautsprecher über ihren Köpfen ertönt im ewigen Loop: »Workers needed in the miniature plastic bomb shop.«
Eine Welt wie aus Harlan Ellisons und Philip K. Dicks dystopischen Kurzgeschichten. Keine Welt, in der man gerne leben möchte. Doch Company Flow ziehen völlig unbeeindruckt durch dieses Horrorszenario, nichts kann ihnen die Laune verderben: »Bei CoFlow ging es nicht wirklich darum, eine schlechte Zeit zu haben«, so El-P 2013 in der Red Bull Music Academy. »Bei CoFlow ging es darum, eine gute Zeit zu haben, während man sich schlecht benimmt. Wir haben den Humor in unbequemen Situationen gesehen. Im Grunde haben wir nur versucht, den abgefucktesten Scheiß zu sagen, den wir sagen konnten, den wir aber trotzdem auch so meinten.«
Kritischer könnte man sagen: El-P und Bigg Jus nutzen auf der EP »Funcrusher« sehr viele Worte, sehr viele komplizierte Vergleiche und sehr viele verwinkelte Reimketten, um sehr wenig zu sagen. Über die Leben und die Gefühle von Jaime Meline und Justin Ingleton erfährt man nichts. Doch das soll sich ändern, als Company Flow einen Plattenvertrag bei Rawkus Records unterschreiben, um die EP mit einigen zusätzlichen Songs unter dem Titel »Funcrusher Plus« 1997 als Album zu veröffentlichen. Rawkus Records wurde von James Murdoch, dem Sohn von Rupert Murdoch, gegründet – aus »Independent as fuck« wird »Independent as Fox«, wie Sole einige Jahre später in einem Disstrack gegen El-P bemerkt (bevor ihn El-P mit der Antwort »Linda Tripp« beerdigt). Für »Funcrusher Plus« nehmen sich El-P und Bigg Jus vor, jeweils einen persönlichen Solo-Song aufzunehmen – und interpretieren diese Aufgabe sehr unterschiedlich.
Kapitel 4: »The man downstairs must have drank too many beers«
Bigg Jus ist einige Jahre älter als El-P und Mr Len. Er hat sich schon als Rapper, aber vor allem als Graffiti-Writer einen Namen gemacht, bevor er zu Company Flow stößt. Er erzählt auf seinem Solo-Song, den er auch selbst produziert, seine Geschichte als Sprayer und setzt zugleich den wichtigsten Künstler:innen der New Yorker Graffiti-Szene ein Denkmal. Als Titel des Songs nutzt er sein Sprayer-Pseudonym: »Lune TNS«. Wer (wie ich) keine Ahnung von Graffiti hat, kann sich an dem fröhlich schäumenden Steve-Roach-Sample erfreuen, versteht vom Text allerdings kein Wort – und das ist natürlich Absicht: »Obviously this wasn’t made for you, so fuck you.“
Auch Jaime Meline weiß sofort, über welches Thema er rappen will. Er weiß nur nicht, wie. Er muss über das schreiben, was seiner Mutter angetan wurde. Über den Mann, der dafür verantwortlich ist, dass Jaime Meline nachts nicht mehr schläft. Doch wie über ein Thema schreiben, über das in seiner Familie nicht einmal gesprochen wird. Jaime Melines Mutter ist eine pragmatische Frau: Eines Tages ist der Stiefvater weg, die Schlösser der Wohnung sind ausgetauscht – und das Thema beendet. Doch nicht für Jaime Meline. Er hört weiterhin jede Nacht seinen prügelnden Stiefvater und seine weinende Mutter. Er sieht seinen Stiefvater überall – oder glaubt zumindest, ihn zu sehen. Als er zum wiederholten Mal einen Fremden durch die U-Bahn jagt, merkt er, dass er ein Ventil für seine aufgestauten Gefühle braucht. Er schreibt »Last Good Sleep«.
Auf einem Album wie »Funcrusher Plus« erwartet man eine blutige Rachefantasie oder zumindest eine wütende Abrechnung mit dem Stiefvater. Doch »Last Good Sleep« ist anders, »Last Good Sleep« ist sehr viel mehr. Zum ersten Mal geht es auf »Funcrusher Plus« nicht um die eigene Stärke, sondern um Schwäche. Jaime Meline rappt über seine Unfähigkeit – damals wie heute –, mit der Situation umzugehen. Über seine Angst. Über seine Schuldgefühle, weil er seiner Mutter nicht zu Hilfe kam. Und obwohl er den Song schreibt, um mit dem Thema abzuschließen, erkennt er an, dass ihn dieses Trauma verfolgen wird. Dass die Träume nicht mehr verschwinden: »Now every night of my life he beats his wife/ Until the day I die.« Einen letzten ausgestreckten Mittelfinger gegen seinen Stiefvater kann sich El-P dann aber doch nicht verkneifen. Am Ende des Songs nennt er dessen Vor- und Nachnamen: Scott Bivans.
»Last Good Sleep« verändert El-Ps Blick auf seine eigene Musik. Er erkennt, dass er »mehr tun kann, als nur Scheiße zu reden« – auch wenn das bis heute ein wichtiger Teil seiner Musik bleibt. Noch fünf Jahre nach »Funcrusher Plus« wird er regelrecht euphorisch – und auch ein wenig pathetisch –, wenn er in der Vice über das Gefühl der Selbstermächtigung schreibt, das ihm »Last Good Sleep« gegeben hat: »Wenn ich mich wirklich darauf einlasse, wenn ich alles gebe, was ich habe, kann ich mich selbst heilen und gleichzeitig im Namen meiner Familie und all der anderen Kinder und Alleinerziehenden, denen es so ergangen ist wie mir, Rache nehmen. Rache nehmen an diesen traurigen, misshandelnden Wichsern, die sich in kaputte Familien mogeln, nur um sie noch weiter zu demolieren. Jetzt kann sich ein selbstherrlicher Verlierer wie Scott Bivans sicher sein, dass mindestens ein Kind, das diesen jämmerlichen Arsch überlebt hat, seine Bekanntheit und seine Musik nutzen wird, um ihn und seinesgleichen bloßzustellen.«
Epilog
»Last Good Sleep« ist der letzte Song, den El-P für »Funcrusher Plus« schreibt, und in gewisser Weise läutet der Song bereits die Solokarriere von El-P ein. Fünf Jahre später wird er auf seinem Debütalbum Peniswitze reißen, aber eben auch persönliche Geschichten erzählen und einen weiteren Song seinem Stiefvater widmen. Doch »Last Good Sleep« ist nicht der Grund für das Ende von Company Flow. Aus Jaime Melines Sicht spricht nichts dagegen, Company Flow als Vehikel für solche subjektiven und intimen Momente zu nutzen – denn: El-P ist auch Company Flow, wie es zu Beginn dieses Textes heißt. Doch Bigg Jus und Mr Len haben selbst zu große Egos, sind zu starke Persönlichkeiten und auch zu gute Musiker, um sich dauerhaft mit ihren Nebenrollen zufrieden zu geben.
Company Flow machen, was viele Gruppen nach ihrem ersten Erfolg machen: Sie gehen so lange auf Tour, bis sie sich gegenseitig nicht mehr ertragen können. »Danach sind wir nach Hause gegangen und haben einfach nicht mehr über ein nächstes Album gesprochen«, so Bigg Jus 2001 im Wire-Magazin. El-P und Mr Len raufen sich noch mal zusammen und veröffentlichen 1999 ein zweites Album unter dem Namen Company Flow. »Little Johnny From The Hospitul« ist eine Sammlung von Instrumentals und Breaks – komplett ohne Lyrics. Nach einem Debüt, das 200.000 Mal verkauft wurde, wirkt der Nachfolger wie der ganz bewusste Versuch, die eigene Karriere zu sabotieren.
Doch Company Flow schleichen nicht still und heimlich von der Bühne, sie verabschieden sich mit einem letzten lauten Knall. Im März 2001 veranstalten sie im Bowery Ballroom in Manhattan eine »offene Aufbahrung«. Viele alte Weggefährt:innen sind gekommen, um sich von Company Flow, aber auch von dieser Ära des New Yorker HipHops zu verabschieden. Bobbito wärmt das Publikum als DJ Cucumber Slice auf, seine Radioshow mit DJ Stretch Armstrong ist seit Januar 1999 Geschichte. Später am Abend übernimmt Mr Len die Plattenteller, scratcht die Zeile »Dance to the rhythm, the rhyme, the cold flow« aus Run-DMCs »Beats To The Rhyme« so, dass die letzten beiden Silben wie »CoFlow« klingen. El-P und Bigg Jus betreten mit »Bad Touch Example« die Bühne, stampfen von Sitar und Marschtrommel begleitet mit Breeze Brewin von den Juggaknots und J-Treds durch »The Fire In Which You Burn« und lassen das Publikum bei »Info Kill II« die Dr. Dre-Zeile »Flow some old pro shit« brüllen. Doch der Abend ist nicht nur eine Beerdigung, nicht nur ein wehmütiger Blick zurück. An der abschließenden, fast 30-minütigen Freestyle-Session beteiligen sich mit Cannibal Ox, Mr. Lif, Jean Grae und Cage einige Künstler:innen, die in El-Ps nächstem musikalischen Kapitel eine wichtige Rolle spielen.
Dieser Text ist zuvor bereits im Tortue-Newsletter von Daniel Welsch erschienen, den ihr unbedingt hier abonnieren solltet!