BROCKHAMPTON The Family/TM

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ALL GOOD Punchline Süß, viel mehr aber auch nicht.

Man kennt’s: Eigentlich wurde sich bereits verabschiedet, plötzlich fällt aber auf, dass man doch noch ein Stückchen in dieselbe Richtung laufen muss. Unangenehm, schließlich wurde das Gespräch gerade beendet. Also kramt man irgendwelche übergebliebenen Restgedanken hervor und versucht zwanghaft, sowas wie Smalltalk in Gange zu bringen. Alles besser als sich anzuschweigen. Im besten Fall geht das Ganze schnell vorüber – und wenn man der besagten Person dann zum zweiten Mal Tschüss sagt, war’s einmal zu viel.

 Soviel also als kurze Einführung zu »TM«, der zweiten Songsammlung, die das HipHop-Kollektiv BROCKHAMPTON innerhalb von 48 Stunden rausgehauen hat. Quasi unmittelbar nach der Veröffentlichung von »The Family«, das die Rap-Boyband als ihr allerletztes Album ankündigte, wurde für den nächsten Tag direkt eine weitere Abschiedsplatte versprochen: »TM« – elf Songs, die im Gegensatz zu »The Family« zwar mehr als nur ein Mitglied der Gruppe enthalten, trotzdem aber wie leblose Nachgedanken ohne jeglichen Sinn wirken. Tatsächlich sind sie auch genau das, denn es handelt sich lediglich um übergebliebene Tracks aus vergangenen Sessions, die noch kein Zuhause hatten und hier nun lieblos zusammengebündelt wurden. Natürlich haben die Songs dadurch nicht mal im Geringsten ein einheitliches Ziel, auf das sie gemeinsam zusteuern. Um sich nochmal hinzusetzen und ein richtiges Gruppenalbum aufzunehmen, war wohl keine Energie mehr vorhanden. Stattdessen haben wir mit »TM« etwas bekommen, das eher wie etwas wirkt, was man noch schnell loswerden wollte, bevor es dann wirklich und ein für alle mal vorbei ist.

Klar, der euphorische Dance-Beat in »MAN ON THE MOON« ist ganz süß und auch »NEW SHOES« geht in Richtung Spaß. Von den Stücken, die höchstwahrscheinlich sentimental wirken sollen, berührt mich »CRUCIFY ME« noch am ehesten. Der Rest hingegen: langweilig. Lässt mich kalt. Größtenteils ist hier nichts von dem eigentlich so gigantischen Haufen Talent innerhalb von BROCKHAMPTON, ihrer großartigen Chemie untereinander oder den ultra-farbvollen Produktionen ihrer 2017er »SATURATIO«-Trilogie zu hören. Als wären die Songs ohne Input der Gruppe fertiggestellt worden. Mit anderen Worten: »TM« fühlt sich wie eine Posthum-Veröffentlichung an.

 Ist das Album irgendwie ja auch. Schließlich sollte der diesjährige BROCKHAMPTON-Auftritt beim Coachella-Festival eigentlich schon das Ende der Band symbolisieren – ein Ende, das sich aufgrund verschiedener Probleme innerhalb des Kollektivs bereits länger abgezeichnet hat. Denn eine lockere Clique aus Freunden, die zusammen ein Haus in Texas bewohnen und 24/7 sympathische DIY-Musik machen, waren BROCKHAMPTON schon lange nicht mehr. Der Spaß an der Sache ging verloren, gewisse Mitglieder fühlten sich in ihrer Kreativität eingeschränkt, Fans nervten (vor allem online), der wachsende Erfolg führte zu übermäßigem Alkoholkonsum und zu einer grundsätzlichen Veränderung der Gruppendynamik. Nicht zu vergessen: Der Rausschmiss von (Ex)-Mitglied Ameer Vann – mehrere Frauen beschuldigten ihn des sexuellen Fehlverhaltens –, der die Orientierungslosigkeit der Band überhaupt erst ins Rollen brachte.

All das sind Punkte, die auf »The Family«, dem anderen BROCKHAMPTON-Album aus den erwähnten 48 Stunden, thematisiert werden. Wie schon angesprochen ist auf dieser fragmentierten Platte nur ein Mitglied zu hören: Kevin Abstract, der Gründer und Chef des Kollektivs. Das ist vor allem bei den ersten Hördurchgängen frustrierend, doch wenn man sich einmal mit der Tatsache angefreundet hat, dass »The Family« eben kein perfekt ausgearbeitetes Werk mit mehreren Stimmen ist, sondern ein zerstückelter Skizzenhaufen von lediglich einem Rapper, der seine Gefühle zur Gruppenauflösung noch nicht sortiert hat, kann man mit dem Album leben. Einigermaßen.

»The Family« enthält also nicht Kevin Abstract mit seiner Familie, sondern Kevin Abstract über seine Familie. Er schüttet seine Seele aus, stellt die Auflösung bereits in Frage und blickt nostalgisch auf die Karriere von BROCKHAMPTON zurück, mit ebenso viel Stolz wie Reue. »I miss the band already«, rappt er im Abschlusstrack und widmet jedem Gruppenvokalisten jeweils eine Zeile: »Joba, you the most musical motherfucker / Matt, I know you a perfectionist but now you free / Dom, ain’t nobody fucking with you lyrically / Merlyn, can’t nobody match this ni**a’s energy / Bari, the world ’bout to see who you finna be / Ciarán, you brought the truth out of me«. Süß, viel mehr aber auch nicht: Die Kanye-mäßigen Chipmunk-Beats wirken zu oft hektisch und einige Songs sind schlichtweg überflüssig. Ich vermiss’ die Band jetzt schon.