Brockhampton Iridescence
Iridescence ist ein optisches Phänomen, bei dem eine Oberfläche je nach Perspektive die Farbe wechselt. Und tatsächlich ist das die beste Metapher, die Brockhampton sich selbst geben können. Einer der Trademarks der Gruppe ist es, offensichtliche Einflüsse wie den Boyband-Boom der 2000er oder den Emorap der letzten Jahre durch die eigene Inklusivität und Empathie zu filtern, sodass sie im neuen Kontext schillern. Boyband ist hier nicht als kommerzialisierte Typographie aus Bad Boy, Baby oder Heartthrob zu verstehen, sondern ein realistisches Spektrum von Maskulinität, in dem Kevin Abstracts queere Perspektive gleichberechtigt neben Merlyn Woods heteronormativem Fronten und Matt Champions weißen Emotrips steht.
Nachdem die Gruppe sich 2017 mit ihrer »Saturation«-Trilogie in die relevanten Medien spielte, ging sie in den letzten Monaten durch die Anfangsschwierigkeiten, die jeder neue Künstler durchläuft. Aber im Kontext des 15-Millionen-US-Dollar-Deasl mit Sony erschienen sie noch arger. Damals hieß »Iridescene« noch »Puppy« und Ameer Vann war noch nicht von mehreren Frauen wegen sexuellem Fehlverhalten angezeigt und schließlich aus der Gruppe geschmissen worden. Dies führte zu Tourabbrüchen und Verschiebungen in der Veröffentlichung, ehe mit »Iridescence« jetzt der erste Teil einer neuen Trilogie erscheint.
Soviel Kontext für eine Platte, die in den besten Momenten all dies vergessen lässt, aber nicht wirklich über Vann hinwegkommt. Das Positive zuerst. Die Produktion wurde einem Label-Debüt entsprechend hochgefahren. In den Abbey Roads Studios in London aufgenommen, sind die Bässe jetzt voller und wie in »New Orleans« oder »J’Ouvert« klares Zentrum. Warme Pianospuren, String-Arrangements, Backgroundchor updaten bearfaces Bedroompop; überraschende Ausflüge zu Drum’n’Bass (»Weight«, »Tape«) geben Kontra. Hits wie »Honey« oder »Tonya« sind Beispiele eines Songwritings, das sich organisch nach oben skaliert, ohne die auf »Saturation« etablierten Trademark-Beat-Switches zu vergessen.
»Iridescence« führt auch den Trend fort, weiterhin als Album funktionieren zu wollen. Brockhampton könnten so leicht verbleibendes Material als Mixtapes rauspumpen, stattdessen klingt jedes Album nach einem kohärenten Sound, der – wie oben beschrieben – langsam und organisch ausgeweitet wird. In Zeiten, in denen selbst Beatspicken mehr und mehr zur vergessenen Kunst wird, ist das Pionierarbeit.
Das Problem von »Iridescence« ist, dass die Chemie zwischen den Mitgliedern durch Vanns Abgang etwas aus dem Gleichgewicht geraten ist und sie sich neu ausrichten müssen. Die Gruppe ist übersichtlich genug, dass kein Mitglied untergeht oder schwächere Performances durch stärkere ausgeglichen werden müssen. Ameer Vann fehlt vor allem an Kevin Abstracts Seite, um die Stimmausbrüche von Matt Champion, Joba oder Merlyn Woods auszugleichen. Deren Performances sind nicht schlecht, aber wollen manchmal zu sehr Aushängeschild von dem Track sein, was ihn aus der Balance wirft. An sich nicht negativ, fällt aber in der Summe auf, auch weil Abstract sich zu sehr auf die Hooks zurückzieht. Manchmal ist Brockhampton in der Summe einfach so charmant, dass man leicht übersieht wie fragil alles ist.