Big Sean Dark Sky Paradise
Darf ich erst einmal mit Seans Flow beginnen? Keiner würfelt zur Zeit so unbeschwert die Worte zu absurden Sätzen zusammen, untermalt das Ganze dann noch mit der wildesten Betonung und garniert seine, teilweise natürlich fragwürdigen, Aussagen mit solch einer shuffleartigen Struktur wie Big Sean. Es macht einfach Spaß, ihm beim Rappen zuzuhören. Es klingt frisch, jung – und teils sehr infantil. Plus: Der Erfinder des Hashtag-Flows – hate it or love it – beginnt seine Parts wirklich jedes mal so, dass ich mich ab der zweiten Zeile frage, wo mich dieser Flow wohl hinbringen wird. Ganz großes Kino.
2010 katapultierten Sean Don drei Mixtapes auf das »XXL«-Freshmen-Cover, wo er neben heutigen Größen wie Wiz Khalifa und J. Cole posieren durfte. 2011 legte er mit »Finally Famous« ein beachtliches Debütalbum hin und addierte so einige Club-Banger wie den »Dance (A$$)«-Remix mit Nicki Minaj zu seinem Hit-Katalog. 2012 machte er auf dem Überhit »Mercy« den Einstieg und ließ seine G.O.O.D.-Music-Labelkollegen komplett alt aussehen. Dass er auf »Clique« im gleichen Jahr dann sogar noch die lebende Legende Jay Z hinter sich lassen konnte, war wohl der Wink mit dem Zaunpfahl: Hier ist einer, der sein Handwerk versteht und kurz davor ist, ein Star zu werden. Aber: Big Seans zweites Album »Hall Of Fame« floppte ein gutes Jahr später gewaltig.
Und dann teaserte Big Sean 2014 den düsteren Fünfminüter »1st Quarter« mit folgenden Worten an: »This (is) for the fans who say they loved the album, but they fuckin‘ loved the mixtape«. Was die Hörer wohl auf »Dark Sky Paradise« erwarten sollte? Ist es so düster wie »1st Quarter«? Oder doch eher so paradise wie die starke Single »IDFWU«?
Die Antwort: beides. Und doch ist »Dark Sky Paradise« kein unnötiger Kompromiss zwischen ignoranten Trap-Ansätzen und Möchtegern-Mitsing-Refrains. Bereits das von Boi-1da produzierte Intro »Dark Sky (Skyscrapers)« beweist in Sachen Beat, Flow und Thematik, dass Sean seinen Hunger zurück hat und ganz oben mitspielen will. Hier wird inhaltlich kurz das gesamte Album und die letzte Zeit angerissen: Trennungen von »crazy bitches« (die hier mit seinen Rolex-Uhren gleichgesetzt werden), Beziehung zur Frau seiner Träume (natürlich: Ariana Grande), das große Ziel, es endlich richtig zu schaffen und einmal klar stellen, dass er kein Star über Nacht wurde. Am Rande wird kurz erwähnt, dass auch er von den Nachwehen seines letzten Albums enttäuscht war, er froh ist sein altes Management hinter sich gelassen zu haben und nun eine glorreiche Zukunft vor ihm sieht.
In der »Complex«-Titelstory erklärt Sean, dass er Negativität aus seinem Leben fernhalten will – diesen positiven Mindstate begegnet man auf »Dark Sky Paradise« am laufenden Band. In »Blessings« bekommt man den Eindruck, dass es kaum besser laufen könnte. Ein paar Zeilen später spricht er über den Tod seiner Großmutter und unterstreicht die Wichtigkeit von Familie und Freunden. Auf seiner bis dato erfolgreichsten Single »IDFWU« schickt er die Ex-Freundin in die ewigen Jagdgründe, um danach aber sofort dem Herrn für seine neue Frau zu danken. Und eine Zeile später bedankt er sich dann auch noch bei seiner Garage für seinen neuen Wagen.
Worüber man sich extrem freuen durfte: Man wird Zeuge des besten Lil Wayne-Parts seit Jahren, ach was, Dekaden. Es ist das gleiche freudige Gefühl wie damals bei Kanyes »See You In My Nightmares« – der Song wird erst Weezy komplettiert. Selbst das herrlich frische und fast nach Jay Zs »Sunshine« klingende »Research« mit Herzensdame Ariana Grande ist nicht peinlich geraten.
Die Produktionen erfinden das Rad nicht neu, aber Sean war auf Albumspiellänge selten so geschmackssicher wie hier. Mit »All Your Fault« und dem unfassbar dreisten 70er Jahre »Ambrosia«-Sample ist die Wahl um den Beat des Jahres schon entschieden. Auch die schönen R&B-Referenzen erfreuen jedes 90s–Kind. Richtig schön kitschig wird es dann in der von John Legend und Yeezy begleiteten Ballade »One Man Can Change The World«, die wunderbar emotional mit dem kurzen Schnipsel eines Telefonats mit Seans 2014 verstorbenen Großmutter endet. In reiner »All Figured Out«-Manier nimmt Big Sean uns, untermalt von der hinlänglich bekannten Darondo-Samplesause »Didn’t I« an die Hand und führt uns elegant aus seinem »Dark Sky Paradise« hinaus.
Das klingt nun fast so als hätte dieser unfassbar talentierte junge Mann auf seinem dritten Album endlich alles richtig gemacht. Jedoch wäre da die dürftige Sex-Ode »Play No Games« inklusive Schmalzlocke Chris Brown, den man selbst nach dem Satz »I want you to take me serious« leider nicht ernst nehmen kann. Wäre da nicht der dennoch durchaus genießbare Skip-Song »Win Some, Lose Some« oder der als Teaser absolut ausreichende Flex-Beweis »Paradise«. Nichtsdestotrotz kann man sagen, dass »Dark Sky Paradise« das mit Abstand beste Big Sean Album ist und zeigt, wie vielseitig ein Rapper klingen kann und wie geschmackvoll man Beats picken kann. Sean ist schon lange finally famous, manifestiert nun erst recht seine Relevanz und hält uns ein weiteres mal eindrucksvoll vor Augen, warum Ziehvater West damals so einen guten Riecher hatte. Und der hat ja sowieso immer recht.