Andrew Emery Write Lines – Adventures In Rap Journalism
Er ist einer der namhaftesten HipHop-Journalisten und verfügt nicht nur über ausgezeichnete Expertise sowie eine ordentliche Portion Humor. Er schrieb auch jahrelang für die britische »Hip-Hop Connection« und hat mehrere Bücher veröffentlicht. Zuletzt erschien von Andrew Emery aka Drew Huge im März das Buch »Write Lines: Adventures in Rap Journalism« (Velocity Press). Eine Rezension. Oder so was Ähnliches.
Es gibt Sätze, die scheinbar banal sind und doch hängenbleiben. So geistert dem Schreiber dieser Zeilen bis heute gelegentlich ein jahrzehntealter Satz aus einer Ausgabe des Magazins »Hip-Hop Connection« durch den Kopf. Sinngemäß hieß es da über das um 1990 herum populäre New Yorker Rap-Duo Nice & Smooth, dass die beiden an und für sich vielleicht gar nicht so schlecht wären, wenn denn Greg Nice bloß nicht rappen und Smooth Bee nicht singen würde. Einerseits empörte mich dieses Urteil über Künstler, die ich schätzte, andererseits ließ es mich fragen, ob der Verfasser vielleicht sogar ein Stück weit recht hat. Rund 30 Jahre später weiß ich vor allem eins: Dass der Autor damals einen guten Job gemacht hat. »I personally like to read reviews I disagreed with purely because of the brio of the writers«, schreibt nun Andrew Emery in seinem neuen Buch »Write Lines – Adventures In Rap Journalism« (Velocity Press). Dito. Denn darum geht’s: HipHop-Journalismus.
Dabei geht es nicht nur um nackte Fakten, nüchterne Einordnung und sterile Technik, sondern auch um den Ausdruck sehr subjektiven Geschmacks und individuellen Empfindens auf Basis eines mehr oder weniger großen Erfahrungsschatzes. »I was being paid to express my opinion, not those of a collective or the wider world«, schreibt Emery. So ist es. Im Idealfall. Aber natürlich sind weder Redaktionen noch Autoren frei von Fehlern. »Writers get stuff wrong. A lot. And usually that’s fine, we all move on. It doesn’t, usually, end up in a fatality. Sometimes a musician takes offence, but the power of reviews to sway a buying audience one way or the other is overrated. That’s why they need to be entertaining – you can get the dull facts elsewhere, and the review doesn’t really matter in terms of success or failure. Each music review written is actually, when you come down to it, more important to the writer than to the artist.« True story.
»Das beste HipHop-Magazin der Welt«
Emery räumt in »Write Lines« offen ein, selbst wiederholt zu Fehleinschätzungen gekommen zu sein. So verstieg er sich 1996 etwa zu einem Verriss des inzwischen gemeinhin (auch für ihn) als Klassiker geltenden UGK-Albums »Ridin‘ Dirty«, was auf der anderen Seite aber eben auch lediglich seine damalige, etwas dogmatische Geisteshaltung widergespiegelt habe. Zeiten ändern dich. »Ultimately, what rappers, DJs, producers and labels have to realise is that music criticism doesn’t exist for them, it exists for the reader. (…) I‘ve read articles that were much more interesting than the music or artists they were tackling.« Wie wahr.
Andrew Emery war langjähriger Autor der britischen Zeitschrift »Hip-Hop Connection« (HHC), dem ersten HipHop-Magazin der Welt. Nicht nur Public Enemys Chuck D befand HHC für das global beste HipHop-Medium, auch Andrew Emery ist dieser Meinung – die im Übrigen auch der bescheidene ALL-GOOD-Autor teilt, der durch HHC in den frühen Neunzigerjahren erstmals in Berührung mit HipHop-Journalismus kam. Das Monatsmagazin, das von 1988 bis zur Einstellung auf dem Zenit seines Schaffens im Jahr 2009 erschien, bestach nicht nur durch hohe Fachkompetenz. Die Redaktion entwickelte im Laufe der Jahre auch einen ausgeprägten Sinn für Humor und schreckte nicht davor zurück, ihren Helden und Antihelden der HipHop-Welt kritische Fragen zu stellen oder sie gar durch den Kakao zu ziehen. Emery hat für dieses Alleinstellungsmerkmal auch eine Erklärung: »When it comes to hip-hop, it’s something that British writers have been better at doing than their US counterparts. Maybe it’s because we’re just horrible people, but I think it’s largely because we always had that geographic distance from our subjects.« Wo da wohl die einst florierende deutsche HipHop-Medienlandschaft zu verorten gewesen wäre? Aber das ist ein anderes Thema.
Bei HHC war Andrew Emery jedenfalls nicht nur begnadeter Autor und mitwirkender Redakteur, er brachte auch jede Menge eigene Ideen mit ein (ein Trinkgelage mit den Alkaholiks zum Beispiel) und stampfte mehrere Kolumnen aus dem Boden. »Def Chef« etwa, in der er Kochrezepte von Rappern in die Tat umsetzte und dokumentierte. Oder »The Andrew Emery Column«, in der er aktuelle Geschehnisse bissig kommentierte. Eine weitere Kolumne war die »Encyclopaedia Raptannica«, in der er sich alphabetisch durch den HipHop-Kosmos nerdete, oder auch »Web Headz«, wo er HipHop im seinerzeit noch relativ jungen Internet aufspürte. »It’s a magazine that did a deep dive on MF Doom, ate ribs with Bubba Sparxx, adored Paul Wall and Rodney P and gave YZ a 2,500-word interview a good 20 years after his last notable record. In other words, it’s a magazine that loved hip-hop«, mit diesen Worten fasst Emery die Quintessenz von HHC treffend zusammen.
Das HipHop-Magazin für alternde B-Boys
Andrew Emery war zudem Mitbegründer des kurzlebigen, aber großartigen Satiremagazins »Fat Lace«, Untertitel: »The Magazine for Ageing B-Boys«. Dort setzte er in den späten Neunziger- und frühen Nullerjahren mit einer Handvoll Brüder im Geiste die Hirngespinste um, die sie bei HHC oder anderswo nicht unterbringen konnten, huldigten ihren (wie sie selbst) alternden Idolen oder nahmen Rap-Größen bitterböse aufs Korn. Zu nennen wäre etwa die redaktionelle Autopsie von Biggies Leichnam, die nicht alle lustig fanden und manche sogar entrüstete. Aber ist das nicht ein Messen mit zweierlei Maß? Ist es, findet Emery: »If Biggie can appear on records like Cunt Renaissance and, on others, utter lyrics like ›shoot your daughter in the calf muscle‹, is it too much for some writers to speculate that the contents of his corpse included Shergar (ein in Großbritannien prominentes Rennpferd, das einer Entführung zum Opfer fiel; Anm. d. Verf.), a wine lake and not just an Adam’s apple but ›everyone else’s apple too‹? I don’t think so«. Die geschriebenen Worte der »Fat-Lace«-Redaktion, schreibt Emery, seien derselben Art gewesen wie die von B.I.G. am Mic gerappten – nämlich größtenteils erfunden. Weder schieße Biggie deiner Tochter in die Wade noch finde die Redaktion in der Nähe von Biggies Schienbein den verschollenen britischen Adligen Lord Lucan auf. »It’s a magazine that is at the top of the game when it comes to servicing its relatively small market of loyal hip-hop nerds who have a sense of humour.« Oder wie Emery an anderer Stelle im Buch über das Magazin schreibt: »Fat Lace? That was just for jokes.«Bei Ebay werden ab und an verbliebene Exemplare der fünf erschienenen Ausgaben noch gehandelt, mal für mehr, mal für weniger Geld. So oder so: Es lohnt sich.
2004 veröffentlichte Andrew Emery sein erstes Buch, »The Book of Cover Art«, in dem er sich mit, richtig, dem Cover-Artwork von HipHop-Platten befasst hat und für das er Chuck D als Interviewpartner und Eminem für eine Empfehlung des Erstlingswerks gewinnen konnte. 2017 folgte sein im Selbstverlag publiziertes Buch »Wiggaz With Attitude – My Life As A Failed White Rapper«. Über Letzteres schreibt er im Rückblick: »That quest was entirely fuelled by my admiration and passion for rap music, and that was also the major theme – how this single, wonderful genre of music transformed my life completely. Friends, family, work, holidays, clothes, the way I talk – all of these were sculpted by hip-hop.« Eine Perspektive auf HipHop, die seiner Meinung nach im Zuge von über 50 Jahren HipHop-Geschichte in der Berichterstattung bislang zu kurz gekommen ist. »All the hip-hop books are about rappers, about stars, about the business, the origins in New York«, führt Emery aus. »There’s hardly a word about the fans, the failures, the ones plugging away at the margins. There’s nothing that captures what it felt like to have your life turned upside down by hearing a record in 1984, at a time when hip-hop was still in its relative infancy.« Mit »Wiggaz With Attitude« erzählte er mit viel Witz und Selbstironie eine dieser Geschichten. Seine Geschichte. Zumal die HipHop-Historie ja auch gar nicht nur von Erfolg handeln könne. »There’s truth and beauty in the minutiae of musical life too. The near misses, the never-wasses, the people whose toil and passion underpins these genres«, schreibt er. Das Buch wäre übrigens beinahe verfilmt worden. »Maybe there just wasn’t any actor handsome or charismatic enough to play me, at 11 years old, with spots, bumfluff and bad sneakers«, mutmaßt Emery.
Wie Andrew Emery Jay-Z beleidigte, J Dilla irritierte und Scientologen beim Telefonieren zuhörte
In seinem nun vorliegenden dritten und in Anlehnung an Grandmaster Flashs & Melle Mels Song »White Lines (Don’t Don’t Do It)« mit »Write Lines« betitelten Buch erzählt Emery anschaulich und, wie so oft, humorvoll aus seinem Leben als Rap-Journalist. In 29 Kapiteln, jeweils benannt nach Titeln von Rap-Liedern, rekapituliert er seine langjährige Karriere als Autor, einschließlich Ausflüge in die Gefilde des pornografischen Magazinjournalismus und Jobben in Videotheken sowie Digitalagenturen. Er schildert, wie schwierig es für ihn Mitte der Neunzigerjahre war, einen Fuß in die Tür von HHC zu bekommen, unterzieht einige seiner Artikel und Interviews einer kritischen Reflexion, freut sich über gelungene Stücke, hinter denen er heute noch steht, und beschreibt, wie es dazu kam, dass er einen aufstrebenden Jay-Z im Anschluss eines persönlich geführten Interviews als »Fotze« bezeichnete. Die etwas engstirnige Art, mit der er dieses Interview geführt habe, bereue er – den eher unschönen Ausklang der Begegnung nicht. Wieso? Das und viele andere unterhaltsame Anekdoten, liebe Leser:innen, lesen Sie in »Write Lines«.
Zum Beispiel wie ein unbeschwertes Abhängen Andrew Emerys mit J Dilla & Co. am Rande eines Interviews aufgrund eines Witzes, der bei seinen Gegenübern offenbar homophobe Gefühle auslöste, zu kippen drohte, er die Situation aber mit einem weiteren Spruch (»›Erm, how about Jizz Markie?‹«) noch mal zu retten wusste. »Note to self: not everyone thinks you can make jokes about absolutely everything.« Er berichtet von Reisen nach New York City, um in HipHops Geburtsstadt Geschichten und Rapper aufzuspüren. Wie er RA the Rugged Man für eine Nacht das Bad seines Hotelzimmers zur Verfügung stellte oder wie Doug E. Fresh ihn mit einem Cadillac Escalade im Anschluss eines Interviews zum nächsten Gesprächstermin mit LA Sunshine fuhr, und er dabei Zeuge eines Telefonats zwischen the world’s greatest entertainer und Tom Cruise wurde. Scientology lässt grüßen.
Er schildert auch, wie er in New York gemeinsam mit seinem langjährigen Kumpel Pete Cashmore beinahe in eine handfeste Auseinandersetzung mit den von ihnen sehr geschätzten Kollegen von »ego trip« geriet. Stichwort: Pete Cashmore. Ein ganzes Kapitel, »For Pete’s Sake«, handelt von diesem klugen, ideenreichen und passionierten Freund, Journalist und Battle-Rapper, der aber auch bösartig und empathielos habe sein können: Pete Cashmore, (who) »could start a fight in an empty room«, der aber noch lieber einen Streit in einem Raum voller Leute angefangen habe. Und der bei HHC und »Fat Lace« mitarbeitete, bei »The Guardian« nicht zuletzt über seine Depressionen schrieb und sich 2019 tragischerweise das Leben nahm. »I can’t write about my life in hip-hop journalism without writing about Pete, however, and I have to write about him in the same way he would do it – unflinching, unfiltered, unrelenting«, schreibt Emery.
Warum ist fundierter Magazinjournalismus nicht mehr gefragt?
Emery erzählt auch, dass einzelne Kollegen, wie eben auch Pete Cashmore, sich im digitalen Zeitalter dem rasanten Wandel des Journalismus nicht anpassen konnten oder wollten. Ein Wandel, weg vom relativ behäbigen (und sauberen) Printprodukt hin zum schnellen (und schmutzigen) Online-Geschäft, weg von tiefgehenden Analysen hin zu gleichermaßen eitlem wie tumbem Meinungsjournalismus und oberflächlichem Filterblasen-Getexte auf Profilierungsportalen wie Twitter/X. Nach und nach wurden die Magazine, für die Cashmore immer schreiben wollte und bei denen er sich als Journalist schließlich einen Platz erkämpft hatte, eingestellt, während neue und von ihm verachtete Plattformen wie Buzzfeed mit Journalisten aus der nachfolgenden Generation an Bord Fahrt aufnahmen.
Auch die HipHop-Zeitschriften waren gegen den anhaltenden Niedergang des Printjournalismus nicht gefeit. »If it felt like hip-hop publishing had died, well, it had. 15 years later, it has never returned«, bilanziert Emery. Zwar gebe es inzwischen unzählige Bücher über HipHop. Aber: »Monthly digest of the latest music, the latest artists, looks back at legends, opinion, news – why is that not a thing anymore?« Gute Frage. Eine Entwicklung jedenfalls, die auch an Andrew Emery nicht spurlos vorbeiging und ihn in ein Loch fallen ließ, aus dem er sich erst mit »Wiggaz With Attitude« wieder herausschrieb. Auch das beschreibt er in seinem neuen Buch.
Lediglich das Kapitel, das von Emerys Erfahrungen handelt, die er in Fernsehsendungen gemacht hat, »Buggin‘ On Old TV«, las sich für den Rezensent etwas sperrig. Aber das dürfte darauf zurückzuführen sein, die angelsächsischen TV-Formate, um die es geht, nicht zu kennen. Und dass dem Schreiber dieser Zeilen sogar ein kleiner Fehler aufgefallen ist, würde er am liebsten unter den Tisch fallen lassen, kann das mit seiner Journalistenehre aber nicht vereinbaren und sagt sich, dass der verehrte Kollege Emery es vermutlich genauso handhaben würde. Also kurz und schmerzlos: Public Enemys DJ Terminator X hat nicht nur ein, sondern zwei Soloalben veröffentlicht. (Auf »The Valley of the Jeep Beets« im Jahr 1991 folgte drei Jahre später noch »Super Bad«). So, das war’s auch schon. Na ja, fast. Anders als in »Write Lines« geschildert ist MC Lyte eigenen Angaben zufolge keine tatsächliche Schwester der Audio-Two-Brüder Milk Dee und Gizmo, sondern wurde von ihnen nur als solche bezeichnet und behandelt. Andererseits hat Milk Dee 2008 in einem Interview für HHC gegenüber Andrew Emery behauptet, dass Lyte und Giz seine buchstäblichen Geschwister seien. Es steht also Aussage gegen Aussage.
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Vorbei jedenfalls sind die Zeiten, in denen kompetente HipHop-Magazine eine Gewichtung der Flut an Veröffentlichungen und Einordnung derselben vornahmen sowie die Geschichten hinter den Platten und Künstlern kunstvoll zu erzählen wussten. Geblieben sind ein paar Blogs wie »Passion of the Weiss« (USA), »Unkut« (Australien) oder hierzulande eine Website wie ALL GOOD, die aber nicht die Arbeit von ganzen Redaktionen ersetzen können. »Rap awfulness on Twitter. No hip-hop magazines left. Most of the great bloggers retired. In 2024, you can either launch a podcast, or just write damn stuff yourself«, resümiert Emery. »The problem is, you just might not have anywhere to say it.« Andrew Emery hat das Problem gelöst, indem er anfing, Bücher zu schreiben. Mögen auf »The Book of Cover Art«, »Wiggaz With Attitude« und »Write Lines« noch viele weitere folgen.
(Ach, und: Auch wenn in der geliebten »Hip-Hop-Connection« mal stand, dass Greg Nice nicht rappen und Smooth Bee nicht singen kann: Nice & Smooth waren dope!)