Zurück zu alter Härte
Es war die Nachricht des diesjährigen Splash!-Festivals: Sido und Kool Savas veröffentlichen ein Kollabo-Album. Betitelt wird das Gipfeltreffen mit einem Verweis auf die Anfänge der beiden Deutschrap-Veteranen, die einst unter der Fahne von Royal Bunker ihre ersten Schritte tätigten. Mit dem gleichnamigen Album, das im September erscheinen soll, schließt sich also ein Kreis.
Gleichzeitig ist das Kollabo-Album nur das i-Tüpfelchen einer Entwicklung, die sich nun schon seit mehreren Jahren durch Rap-Deutschland und insbesondere durch Berlin zieht. Zahlreiche ehemalige Untergrundgrößen, die es mit der Zeit in die großen Hallen und an die Spitze der Charts geschafft haben, entdecken dieser Tage ihre einstigen Wurzeln wieder und versuchen, den Zeitgeist des vergangenen Jahrzehnts wiederzubeleben. Nur den wenigsten ist es bisher gelungen.
Angefangen hat alles mit Bushido. Als dieser Anfang 2014 sein Alter Ego Sonny Black aus der Mottenkiste holte und aggressiv pöbelnd auf Promis und Politiker losging, erlebte das Genre Battlerap eine Renaissance. Waren die früheren Protagonisten dieser härteren Gangart mittlerweile vom Gas gestiegen, so schien es nun plötzlich wieder möglich zu sein, das Pedal bis zum Anschlag durchzutreten. Zwar wirkten schon die nachfolgenden Alben »CCN3« und »Black Friday« lediglich wie ein lauwarmer Aufguss des erst kürzlich neu entdeckten Erfolgsprinzips, doch war der Stein inzwischen schon längst ins Rollen gekommen.
Es schien nur eine Frage der Zeit zu sein, bis Fler es seinem früheren Partner in Crime gleichmachte und sein einstiges Pseudonym Frank White wieder ans Tageslicht holte. Zumindest zeitweise wurde der Südstaaten-Sound gegen deutlich klassischere Produktionen ausgetauscht. »Keiner kommt klar mit mir« und »Weil die Straße nicht vergisst« brachten zwar soundtechnisch ein bisschen Abwechslung in die eigene Diskografie, ein herausragendes Highlight – wie das 2016 erschienene »Vibe« – waren beide Scheiben dennoch nicht.
Doch steht Fler damit keineswegs allein da. Auch Prinz Pi, dessen Namenswechsel ursprünglich lediglich aus Promotiongründen vollzogen wurde und nicht als Marker für eine Stiländerung diente, verkaufte sein altes Alias Prinz Porno Anfang 2015 als Decknamen für Untergrundrap – Musikvideos mit Taktloss- und Frauenarzt-Cameos im U-Bahn-Tunnel inklusive. Leider scheiterte das Projekt letztlich daran, dass Porno sich größtenteils in halbherzigen Seitenhieben gegen diverse Rap-Kollegen verlor. Dem Ruf, der dem Namen Prinz Porno vorauseilt, wurde »pp=mc2« nicht gerecht.
Apropos Frauenarzt: Auch dieser besann sich jüngst nach einem Ausflug in den Mainstream auf seine Wurzeln zurück – was nicht zuletzt dem Auslaufen seiner Bewährungsstrafe geschuldet war. Der Atzenmusiker zeigte auf »Mutterficker« ein nicht mehr vermutetes Ausmaß an Hunger, das durch ein zeitgemäßes EDM-Update seines einstigen Miami-Bass-Sounds komplettiert wurde. Der Spagat zwischen Vergangenheit und Gegenwart kann also durchaus gelingen – auch wenn die darauffolgende Zusammenarbeit mit Taktloss schon wieder deutlich unspektakulärer daherkam. Das »Über Euch«-Tape wiederum, das der Deluxe-Box von »Gott« beilag, konnte dank Rumpelbeats und Vier-Spur-Vocals tatsächlich kurzzeitig nostalgische Gefühle wecken.
Im November 2016 wagte dann auch Sido den musikalischen Rückgriff. Für »Das goldene Album« wurde jene Maske, die einst den symbolisierten Bürgerschreck darstellte, aus dem Keller geholt, um C-Promis und Rap-Journalisten mal so richtig eins auszuwischen. Die (fast) konsequente Verweigerung von dazugehörigen Interviews und Deluxe-Boxen sollten ebenso wie das Golden-Era-Soundkonzept von DJ Desue für das nötige Quentchen Legitimität sorgen. Leider wirkte der Berliner über weite Strecken dann doch irgendwie übersättigt. Nur kurze Zeit später knüpfte auch sein Crew-Partner B-Tight an alte Zeiten an, indem er mit dem Albumtitel »Wer hat das Gras weggeraucht?« auf seinen einstigen, kontrovers diskutierten Song »Der Neger« verwies. Das Album selbst war jedoch trotz diverser Referenzen auf die Aggro-Berlin-Ära deutlich harmloser, als es der Titel suggerierte.
Anschließend schickten sich auch Bass Sultan Hengzt und Chakuza an, auf alten Pfaden zu wandeln. Noch Mitte 2015 erklärte Hengzt in einem »Juice«-Interview, einen solchen Rückschritt nicht plausibel verkörpern zu können: »Bei mir würde das nicht funktionieren. Ich bin mit diesem übertalentierten Musiker Serk in Portugal, und während wir im Pool abhängen, spielt der was auf der Gitarre. Da kann ich nicht von der Straße erzählen. Da würde ich mir komisch vorkommen.« Das Blatt schien sich erneut gewendet zu haben. Ähnliches war auch bei seinem Kurzzeit-Kontrahenten Chakuza zu beobachten, der seine musikalische Neuausrichtung im Hause Four Music einst damit begründete, so langsam zu alt für Schimpfwörter zu sein, und dies lediglich noch auf Mixtapes ausleben zu wollen. Diese Zeit scheint nun mit »Suchen und Zerstören 3« gekommen zu sein.
Der dabei hochgeschaukelte Beef machte zumindest eines recht deutlich: Mittlerweile ist es für Rapper relativ schwer geworden, einen neuen Schockmoment zu kreieren. Dass Chakuza und Bizzy Montana ihren Song gegen Hengzt mit zusammengeschnittenen, möglichst brutalen Unfall- und Prügelvideos visualisierten, wirkte fast schon ein wenig hilflos und konnte leider nicht über die doch eher schwachen Zeilen hinwegtäuschen. Bass Sultan Hengzts Antwort wiederum war zwar raptechnisch einen Ticken besser, kam aber leider auch nicht ohne den Riesengag aus, Österreicher automatisch mit Hitler zu assoziieren. Da hatte der kalkuliert chauvinistische Verbalangriff auf Jennifer Weist für deutlich mehr Aufmerksamkeit gesorgt.
Das größte Manko lag bei beiden Disstracks jedoch darin, dass in keinem der Songs so richtig deutlich wurde, was jetzt eigentlich das Problem war – ein Schicksal, das sie mit vielen aktuellen Alben teilen. Es scheint, als sei der Schlüssel zu einem gelungenen Comeback als »Bild«-esquer Rüppelrapper am Ende doch wieder die vielfach beschworene Authentizität. Denn wenn die neue Härte keinen tatsächlichen Auslöser hat und letztlich nur zur reinen Pose verkommt, hört man das der Musik leider meist auch an.
Nun mag es natürlich anmaßend wirken, von der Musik auf die tatsächliche Lebensrealität der jeweiligen Protagonisten schließen zu wollen. Das ist es auch. Andererseits ist es kein Geheimnis, dass Rapper in einer späteren Phase ihrer Karriere oftmals deutlich zahnloser wirken und die juvenile Aggressivität ihrer Anfangstage vermissen lassen. Eine solche Entwicklung ist sogar recht normal und daher nicht einmal sonderlich verwerflich – wenn denn nicht irgendwann der künstliche, oft viel zu verkrampfte Versuch unternommen wird, erneut in die einstige Rolle des pöbelnden Bürgerschrecks schlüpfen zu wollen.
Doch noch scheint der Trend trotz des potenziellen Stolpersteins weiter anzuhalten. Mit Ferris MC wagte jüngst der nächste Rapper den Versuch, zu seinen Wurzeln zurückzukehren. »Ich hab das Patent auf alles was mit Asozial zu tun hat! Ihr Kopien einer Kopie von Asimetrie euer Ende beginnt am 170217«, verkündete er selbstsicher auf Twitter. Das anschließende Album wusste jedoch höchstens durch ein selbst für Deutschrap-Verhältnisse hohes Ausmaß an Homophobie zu schockieren.
Inwiefern Sido und Savas mit »Royal Bunker« tatsächlich vollends in dieselbe Kerbe schlagen werden, bleibt abzuwarten. Die bisherige Aufmachung samt Albumtitel, Trailer und Cover, der bereits veröffentlichte Titelsong und die jüngste Entwicklung beider Künstler sprechen jedoch eine recht eindeutige Sprache. Ob sie auch den passenden Anlass gefunden haben, um »Step ans Mic«-Lines im Jahr 2017 auf Albumlänge glaubhaft verkörpern zu können, kann nur die Zeit zeigen. Doch die Gefahr, dass das Vorhaben scheitert, ist mindestens ebenso hoch wie das Ausmaß der Erwartungen, die an das Album geknüpft sind.