Liebe für die Hood, Hass für das Land?
Stolz, was ist das eigentlich? Durch Stolz spricht die Freude, etwas (vermeintlich) Besonderes, Anerkennenswertes oder Zukunftsträchtiges geleistet zu haben. Dieses bestätigende Gefühl regt zu neuen Taten an. Es kann sowohl innerhalb einer kleinen sozialen Gruppe erfahren werden, die eigene Werte und Maßstäbe für ihr Gefühl von Hochmut und Erhabenheit herausstellt, als auch im größeren gesellschaftlichen Kontext.
In meinem Umfeld erlebe ich einen kontroversen Umgang mit von Stolz geprägten Gefühlen. Einige Leute schöpfen beispielsweise ein hohes Selbstwertgefühl aus der Zugehörigkeit zum Kiez, in dem sie geboren und aufgewachsen sind, empfinden gleichzeitig jedoch eine enorme Abneigung gegenüber den nationalen Grenzen Deutschlands und jeder Form von Nationalstolz.
Diesem Phänomen versucht sich der Text anzunähern, ohne dabei den Anspruch zu erheben, allen Strängen des Themenkomplexes Stolz/Herkunft/Identität gerecht zu werden. Das Hochloben von begrenzten Kiezen und die gleichzeitige Absage an die Nation Deutschland mit ihren Institutionen und bürokratischen Hürden lässt sich auch in deutschen Raptexten wiederfinden, getreu den Lines von Nimo »Ich liebe meine Hood, aber hasse das Land.« (»Flouz kommt Flouz geht«).
Natürlich ist man »verbunden durch die Gegend«, wie Rapkreation in »Ich und Er« betonen, bewältigt gemeinsam vor Ort Herausforderungen – das schweißt als Gruppe zusammen. Die Frage, wo der Punkt ist, ab dem es einem zusteht, stolz zu sein, kann damit dennoch nicht beantwortet werden. Straßenkunst, Kiezläden und Jugendclubs, selbstorganisierte Mieterläden und vieles mehr stehen exemplarisch für eine aktive Stadtkultur. Einer Stadtkultur, die nicht nur konsumiert, sondern Teil des Geschehens ist. Darauf lässt sich in den konkreten Fällen dann sicherlich auch stolz sein.
Deutscher Rap ist da das beste Beispiel: Es gab Phasen, in denen so mancher Ruhrpott-Rapper ein inoffizielles Berlin-Verbot hinnehmen musste und auch einem Nazar das Betreten der heiligen Pforten Frankfurts, zumindest symbolisch, verwehrt war. Im Vergleich zu damals ist es ruhiger geworden, klar. Die stetigen Bezüge zur eigenen Stadt oder zum jeweiligen Viertel sind dennoch geblieben.
Auch wenn diese Referenzen nicht automatisch mit Stolz gefüllt sind und einige wenige nur aufklären wollen, »wo ich herkomm«, hält man doch in der Regel erhobenen Hauptes fest, dass man ein Mädchen mit »Berliner Schnauz« ist oder in Gang-Formation durch die »Berlin-Favela« streift, in Hamburg, St. Pauli durch den Teufel verführt jeden Tag für Heckmeck sorgt (187 Strassenbande »Sitzheizung«) oder auch den Ruhrpott seit Jahrzehnten als selbsternanntes Vaterland besingt. (»Ruhrpott asozial«)
Und stolz wie Oskar auf die Nation Deutschland? Egal ob mit oder ohne Migrationshintergrund: Pünktlich zur Fußballweltmeisterschaft werden Autofähnchen im Deutschlandlook mit dem eigenen Band-Logo bedruckt. Es gibt Rapper, die krampfhaft identitär darauf beharren, deutsch zu sein. Dieses Phänomen lässt sich übrigens auch in jeder anderen Nation wiederfinden.
Nicht unwesentlicher ist allerdings die Sorte Rapper, die genau dieses Verhalten offen wirksam kritisch beäugen: Nicht wenige haben die deutsche Nation mit ihrer kolonialen und nationalsozialistischen Vergangenheit als ausgrenzend entlarvt und betonen, dass sie bis heute von Ausschlüssen unter anderem aufgrund ihrer Hautfarbe betroffen sind oder sie zumindest das Gefühl haben, nicht vollwertige Mitglieder der vermeintlich solidarischen Nationalgemeinschaft zu sein. Denn »dieser bestimmte ›Du scheiß Kanacke-Blick‹ [ist eben doch mehr als] nur ein Augenblick.« (Harris – »Nur ein Augenblick«)
Mit ihremProjekt BSMG bieten Megaloh, Ghanaian Stallion und Musa unmissverständliche Statements zu dieser Problematik: »Lebe hier, wenigstens leben wir. Deutscher Pass und trotzdem kein German« und der Frankfurter Abdi rappte: »Auf die Frage, ob ich Deutscher bin, kann ich in jedem Fall sagen, dass ich gerne in Deutschland bin.« (»Diaspora«) und (»Geschichtsunterricht«). Denn anders als Boys und Girls im Viertel oder einer Stadt sich selbst Crews und Gemeinschaften aussuchen, versucht sich die Nation in konstruierten Gemeinsamkeiten. Die Definition einer Nation über biologische Gemeinsamkeiten, Gentheorien und „Menschenrassen“ ist überholt und widerlegt. Und selbst wenn wir andere körperliche Merkmale gemeinsam haben, folgt daraus kein gemeinsames Wesen, kein gemeinsames Denken und Handeln, denn um mal frei nach Audio88 & Yassin darauf zu verweisen: »Als Jacko noch nicht wusste, welche Hautfarbe er wählt, lernte ich von ihm, dass Hautfarbe nicht zählt.« (»Weltmusik«)
Die allseits beliebte Vorstellung, dass eine Nation durch gleiche »Sitten und Gebräuche« und gleiche kulturelle Vorlieben erklärt werden könnte, ist schlichtweg Blödsinn. Wer darüber nachdenkt, merkt schnell, dass der Punk aus dem Randviertel der Kleinstadt, die trendige Managerin aus Berlin-Kreuzberg und der Kneipenwirt aus Buxtehude ziemlich unterschiedliche Vorlieben und gleichzeitig wenige Überschneidungen haben. Das fängt ja innerhalb der Viertel und Kieze einer Stadt schon an, also zurück zum Ausgangspunkt des Textes.
Patriotismus beginnt, wenn wir mal ganz ehrlich sind, mit dem Zusammengehörigkeitsgefühl zur eigenen Stadt, zum eigenen Viertel. Er verweist auf die Zuneigung und Vorliebe für eine Region und unterstrich im historischen Kontext auch die territorialen Rechte. Es ist nicht verwerflich, dass wenn ich einen Ort mit bestimmten Erfahrungen in Zusammenhang bringe, mich diesem verbunden und zugehörig fühle, vielleicht sogar wie zu Hause. Diese Orte sollten allerdings nicht exklusiv für eine bestimmte Gruppe sein. Im Gegensatz zur Nation sind Städte oder Viertel (in der Regel) nicht wie ein eigener Mikrokosmos in sich geschlossen. Es handelt sich innerhalb um freiwillige Zusammenschlüsse. Zu bedenken sei, dass es einige Leute leichter haben sich zum Beispiel aufgrund ihrer finanziellen Möglichkeiten frei zu bewegen, wogegen anderen nichts übrig bleibt, als wie einst Haftbefehl am Rande einer Stadt zu verweilen und einen »Ausblick so grau und trist, dass er dir die Sicht raubt«, zu frönen. (»1999 Pt.2«)
An der Tür der Vereinigung »Staat« oder »Nation« lässt sich nicht anklopfen und das Antragsformular nach Belieben wie bei einem Sportverein ausfüllen und beitreten. Es besteht von Geburt an eine Art Mitgliedschaft, die klare Grenzen nach außen setzt. Wer stolz auf seine Nationalität ist, verdrängt gerne, dass einzig der Staat entscheidet, wer Mitglied einer Nation ist.
Vor allem in einer individualisierten Gesellschaft, in der jeder allein seines Glückes Schmied ist, bietet die Identität über die Herkunft den kleinsten gemeinsamen Nenner. Das Moment über die gemeinsame Herkunft bietet Halt und Orientierung, kann aber auch Ausgrenzung mit sich bringen. Interessant wird es dann, wenn Menschen in prekäre Stadtteile oder abgelegene Randbezirke gedrängt werden und sich dort aufgrund des gesellschaftlichen Ausschlusses eine neue Identität am Rande des Geschehens entwickelt, wie »meine Mädchen, die nix außer Kreuzberg kennen«. (K.I.Z. – »Heiraten«)
Nach Identitätsfindung und Gruppenzugehörigkeit zu streben, ist nichts Unmoralisches, aber wenn die eigene Identität sich dadurch auszeichnet, andere Menschen aufgrund ihrer Herkunft auszuschließen, führt das sowohl im kleinen als auch im großen Rahmen zu Exklusivität und Ausgrenzung. Auch wenn Stolz ein angeborenes Gefühl ist, darf niemals vergessen werden, dass er kulturell geprägt ist und stets vom sozialen Kontext abhängt. Stolz sollte immer im Zusammenhang mit etwas Konkretem stehen, sodass abstrakte Stolzgefühle hinterfragt werden können und nicht zum Ausschluss von »anderen« führen.
(Dieser Artikel erschien am 07.03.2018 in »Splash-Mag«/»Nice-Try Magazine«)