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Ein Kommentar von Marc Dietrich

Kendrick, Kritik & Komplexität. Oder: Irgendwann ist halt auch mal Feierabend.

Kendrick

In Stephan Szillus‘ Rezension zum Earl-Sweatshirt-Album findet sich in einem Nebensatz etwas, was dem Einen oder Anderen angesichts des Chors intellektueller Kritikerstimmen zu Kendrick Lamars »To Pimp A Butterfly« vielleicht aus der Seele sprechen mag: »I Don’t Like Shit, I Don’t Go Outside« brauche keine konzentrierte Auseinandersetzung nach Feierabend (wie Kendricks Album), sondern nur einen halben Durchgang zwischen zwei Terminen auf MacBook-Lautsprechern, um einen vollends in seinen Bann zu ziehen.

Nun ist der Kollege alles andere als ein anspruchsloser Raphörer. Und dennoch wird hier ein Phänomen deutlich, das gerade bei Konjunkturphasen herausfordernder Rapmusik und dem Lob dafür auf allen Kanälen aus dem Blick geraten kann: Es ist keine Schande, einfache oder puristischer gebaute Rapmusik zu hören – dafür muss man sich eigentlich nicht rechtfertigen. »Gute« Musik ist nichts, was einem objektiven Werturteil unterliegt oder von der persönlichen Lebenspraxis zu trennen wäre. Diese Einsicht ist trivial – und doch lohnt es sich diesen Aspekt einmal näher zu betrachten. Zunächst: Die Rollen »Journalist« und »Hörer« bringen verschiedene Rollenansprüche mit sich. Zur Verdeutlichung überzeichne ich in der Folge mal ein wenig – wohlwissend, dass auch Hörer musikjournalistische Qualitäten haben und das Web 2.0 die Grenze zwischen Medien und Publikum erodieren lässt.

Im Falle von Publikum (Raphörer) und Medien (Szenemedien) haben wir es tendenziell mit einem komplementär ausdifferenzierten System zu tun, bei dem die Einen Inhalte bereitstellen und die Anderen Abnehmer dieser Inhalte sind. Die, die in institutionalisierten Zusammenhängen über Rap berichten, haben eine gewisse Deutungshoheit qua öffentlicher Präsenz: Eine Rezension in der »Juice« etwa ist wirkungsmächtiger als ein Tresen-Gespräch über ein bestimmtes Album.

Raphörer, die sich nicht in institutionalisierten, öffentlichen Zusammenhängen äußern, bilden sich ihr Geschmacksurteil zunächst nach den eigenen Neigungen und Präferenzen. Musikjournalisten auch. Und trotzdem müssen sie ihren Status – auch wenn das nirgendwo so steht – legitimieren. Sie müssen zumeist einen gewissen Mehrwert jenseits des persönlichen Gusto einbringen, der auch aus einem etwas anderen Zugang resultiert, wenn Alben inhaltlich und musikalisch möglicherweise intensiver in den Blick genommen werden als das bei einem durchschnittlichen Hörer der Fall sein mag. Es werden – idealtypischerweise – zum Beispiel Recherchen angestellt und verschiedene Quellen einbezogen beziehungsweise kritisch verglichen, Interviews geführt und so weiter. Am Ende dieses Prozesses stehen dann auch andere Aufgaben: Genre-Einordnung, Auslotung des Verhältnisses zu vorigen Veröffentlichungen, Berücksichtigung bestimmter Referenzen – musikalisch: genreinterne und -externe Bezüge, inhaltlich: Referenzen auf gesellschaftliche Themen und die Qualität der Verhandlung. Schlussendlich liegen bei Rezensionen inhaltlich verdichtete Bewertungen vor, die manchmal das Ergebnis intensiver Vorarbeiten sind. Zum Beispiel – um auf Kendrick zurückzukommen – eine Rezension, die die vielschichtigen, Hörgewohnheiten brechenden Referenzen auf Schwarze Musikstile lobt sowie die historisch informierte und trotzdem zutiefst aktuelle Kritik am gegenwärtigen »System« des Albums goutiert.

»Irgendwann ist halt auch mal Feierabend.«

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Diese Rezensionen sind gut begründet und sicher aufrichtig verfasst. Sie sind auch keine allein den Journalistenstatus legitimierenden Erzählungen. Die Tatsache, dass fast alle relevanten Medien das Album so sehen wie beschrieben, spricht zunächst mal dafür, dass da etwas dran sein könnte. Es ist aber auch ein diskursives Lehrstück darüber, dass Journalistenmeinung und Fanmeinung bisweilen auseinander gehen können – auch weil mit den jeweiligen Rollen verschiedene Aufgaben und (Nicht-)Ansprüche assoziiert sind. Der Hang zur Aufwertung musikalischer Komplexität seitens der Rezensenten hat mit mangelnder Aufrichtigkeit und intellektuellem Posen in den meisten Fällen nichts zu tun. Der Punkt ist, dass bestimmte Wertungsmuster manchmal eine hegemoniale Stellung einnehmen, die sie als praktisch naturgegeben und unverrückbar erscheinen lassen.

Um es mal konkreter zu machen: Werturteile wie »komplexere Musik = bessere Musik« sind nüchtern betrachtet einfach normative Feststellungen für die es keine Begründung jenseits diskursiver Setzungen gibt. Dies zu betonen, ist erneut trivial, aber vielleicht tatsächlich notwendig – etwa angesichts der Fülle von Kommentaren im Netz zu »To Pimp A Butterfly«, bei denen noch jede zaghafte Kritik (»Ich fand ›good kid, m.A.A.d city‹ besser!«) von anderen »Hobbyjournalisten« mit einer persönlichen Breitseite gegen den unterentwickelten Geschmack des Postenden verworfen wird.

Komplexität ist genauso wenig eine Positivqualität an sich wie – und das sei natürlich auch betont – Purismus oder Redundanz. Gute Musik ist ein subjektives Urteil, das (im Falle des Hörers) tendenziell der subjektiven Stimmung, der intellektuellen Neigung, der Atmosphäre oder schlicht der Lebensphase unterliegt. Kurzum: Niemand muss sich schämen, weil er nach Feierabend einfach mal keine 80 Minuten Hörirritation über sich ergehen lassen will. Rapmusik hat auch andere Qualitäten: vom BBQ-Soundtrack bis zur düsteren auditiven Verzauberung urbaner Landschaften bei der nächtlichen Bahnfahrt mit dem iPod. Irgendwann ist halt auch mal Feierabend.