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Ein Kommentar von Marc Dietrich

HipHop und Islam: Rap-Dschihadisten?

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Das Feuilleton lässt uns einfach nicht los: In den vergangenen Wochen waren immer wieder Meldungen über einen (Suggestiv-) Zusammenhang von Rap und Islamismus in den einschlägigen Medien zu lesen, hinzu kamen die Hinweise auf die Rap-Wurzeln der Attentäter von Paris. Nun meldet sich dazu auch »Die Zeit«, in ihrer Ausgabe vom 29. Januar. Moritz von Uslar liefert dort einen »Erklärungsversuch« für: »Die Lust am Krass-Sein. Wie viel Pop steckt im Terrorkrieg des ›Islamischen Staates‹?«

Den Einstieg bildet eine interpretierende Beschreibung eines Internet-Videos über Cherif Kouachi, also den jüngeren Bruder der beiden Paris-Attentäter, der sich als Rapper versuchte. Der Leser bekommt sogleich eine Klischeemontage par excellence: Homie, fette Kette, Hängen, Hustle. Nun denn – das ist man ja bereits gewohnt. Die Annahme, dass die genannten Praktiken und Symbole vom Westcoast-Rap der Neunzigerjahre (z.B. Dr. Dre, 2Pac, Cypress Hill) entlehnt und ins körpersprachliche Repertoire deutscher Schulhofkinder eingewandert sein sollen, verrät dann mehr über die Expertise des Autors als über die Wirklichkeit auf deutschen Schulhöfen. Es ist anzunehmen, dass dort der A$AP Mob, Odd Future oder Cro eher Aufmerksamkeit finden als Rapper, die tendenziell Ikonen von Achtziger Babys waren. Ob diese Jungs tatsächlich als Vorbilder für islamismusaffine Kids taugen würden, scheint fraglich – all dies ist aber eher nebensächlich und fast kleinkariert.

Nach weiteren exemplarisch intendierten Belegen für eine irgendwie geartete Verbindung von islamistischen Terroristen und Rap gelangt der Autor zu einer Einsicht: Die Existenz einer Verbindung zwischen dem militanten Islamismus und HipHop sei eine »soziologische Tatsache«. Und hier fragt man sich zunächst, wer diese soziologische Tatsache eigentlich behauptet hat und sie guten Gewissens vertreten könnte. Noch dazu: Wieso eigentlich HipHop? Ist hier vielleicht Rap gemeint? Oder werden hier auch islamistische B-Boys und IS-Writer in Kollektivbeugehaft genommen? Man weiß es nicht. Die spätere Beweisführung einer historischen Verbindungslinie von Rap und Islam(ismus) ist ebenso suggestiv wie die diesbezügliche Einordnung von »taz«-Kulturredakteur Julian Weber in seinem Kommentar zu dem Uslar-Artikel richtig ist: »(…), keiner der genannten HipHop-Künstler hat jemals kriegerische Propaganda im Namen einer Sekte verbreitet. Ohnehin waren und sind die Black Muslims von radikalen Auslegungen des Koran ungefähr so weit entfernt wie südamerikanische Befreiungstheologen vom Alten Testament.«

Dann wird im Rahmen der phänotypischen Auflistung islamistischer HipHop-verbandelter Menschen der Joker gezogen: Denis Cuspert aka Deso Dogg aka Organisator der »PR-Abteilung des islamischen Staates«. Wofür genau er ein Beispiel abgibt – außer der unterstellten soziologischen Tatsache einer Verbindung von HipHop und islamistischem Terror – wird nicht klar. Von der wirklichen Tatsache, dass dieser sich vor Jahren explizit von seinem Rapper-Alter-Ego samt HipHop verabschiedet hat oder Islamisten im Grunde genommen westliche Musik als »Haram« (also Sünde) ablehnen müssten: kein Wort. Immerhin konstatiert von Uslar, dass man nicht in den Dschihad zieht, weil man von einem »HipHop-Text oder HipHop-Beat« dazu »aufgewiegelt« wurde. Das ist doch schon mal ein Zugeständnis. Dann aber die argumentative Punchline:

»Die offenkundigsten Gemeinsamkeiten zwischen dem Typus des Hip-Hoppers und des Dschihad-Kämpfers liegen in Gesten, Umgangsformen, Körperhaltungen, in der Verkörperung von neotraditioneller Männlichkeit. Beide propagieren dasselbe Ideal von körperlicher Kraft und Gestähltheit, den Kult von Härte, ›Toughness‹ und Überlegenheit. Ästhetische Gemeinsamkeiten gehen bis in die Details der Garderobe und der Accessoires: Beide, IS-Kämpfer wie Gangsta-Rapper, tragen die gleichen Uhren, die gleichen Ray-Ban-Sonnenbrillen, die gleichen schusssicheren Westen mit Camouflage-Muster. Die Jeeps, die in Hip-Hop-Videos und den Rekrutierungsvideos des IS als Statussymbole und als Insignien der technischen Aufrüstung und Unverwundbarkeit vorgeführt werden, sind die gleichen. Die Lust am Krass-Sein: Beide, der IS-Kämpfer wie der Hip-Hopper, legen es in ihrer Selbstinszenierung darauf an, gefühllos, kalt, gnadenlos zu erscheinen.«

Angefügt wird die vermeintlich analog funktionierende Art der Posen: Der IS-Repräsentant streckt gerne als Zeichen den Mittelfinger hoch und trägt dabei die Kalaschnikow zur Schau. Dies – so der Autor – sei der »reine HipHop«.

Wo soll man da anfangen? Ein paar Details – z.B.: Wie kommt man darauf, dass Dschihadisten die gleichen Umgansgformen und Männlichkeitsideale haben? Und wenn ja, woran liegt das dann? Am »Typus HipHopper«? Oder einer Vorstellung von Männlichkeit, die vielleicht ein allgemeineres gesellschaftliches Problem darstellt? – müssen hier mal draußen bleiben.

»Den ›Typus HipHopper‹ gibt es schlicht nicht, weil sich in der Szene so viele verschiedene Stile und Szenen ausdifferenziert haben, dass man heute beim waghalsigen Versuch, einen dominanten Typus zu benennen, wohl eher den Skinny-Jeans-Träger ohne Schussweste ausmachen würde.«

Dann lieber beim Grundsätzlichen und eigentlich Banalen anfangen: Den »Typus HipHopper« gibt es schlicht nicht, weil sich in der Szene so viele verschiedene Stile und Szenen ausdifferenziert haben, dass man heute beim waghalsigen Versuch, einen dominanten Typus zu benennen, wohl eher den Skinny-Jeans-Träger ohne Schussweste ausmachen würde. Dass die gleichen Uhren getragen werden, siedelt zwischen starker Mutmaßung und Erfindung an. Die Ray-Ban-Brille als Massenphänomen fällt eigentlich auch raus. Jeeps, oder vielmehr eigentlich: SUVs, fahren Rapper und alle anderen Amerikaner tatsächlich gerne – auch die IS-Leute wahrscheinlich. Möglicherweise, und hier lehne ich mich jetzt mal weit aus dem Fenster, weil sie geländetauglich sind.

Wenn schon popkulturelle Bezüge herausgearbeitet werden sollen (was möglich und spannend ist), dann könnte man doch darauf aufmerksam machen, dass sich Westcoast-Rapper modebezogen von Gangs inspiriert haben lassen. Eventuell noch von den Black Panthern, die wiederum den Guerilla-Soldatenlook der Résistance und die Beatnicks zitieren. (Wer dies und andere Modephänomene innerhalb der historischen afroamerikanischen Kultur nachschlagen möchte, dem sei das Buch »Style Politics« von Philipp Dorestal ans Herz gelegt, eine Rezension von mir findet sich im PDF-Format hier.) Es handelt sich also um soziale Phänomene, die aus sozialen Missständen resultierten, die im Pop generell und auch im Rap ästhetisiert aufgegriffen werden.

Der IS tut schlicht Dinge, denen man eine gewisse Cleverness im Rahmen ihrer Logik nicht absprechen kann. Man kann grob gesagt zwei Wege gehen, damit etwas populär wird – hier paraphrasiere ich mal den Systemtheoretiker Urs Stäheli, der sich mit dem Populären befasst hat: Entweder man bedient einmal eingeschliffene Erwartungshaltungen des Publikums, indem man sie nicht nur wie gewohnt erfüllt, sondern gar überbietet (»Überdehnung des systemspezifischen Universalismus«). Dies macht der IS bereits mit Poser-, Mord- und Foltervideos, die alle bisherigen »genrespezifischen« Inszenierungen in ihrer Drastik übertreffen. Oder aber man integriert etwas in die Inszenierung, das von der Zielgruppe als attraktiv, weil generell anschlussfähig rezipiert werden könnte (»Integration hyperkonnektiver Elemente«): Auf verbreitete Pop-Ästhetik zu setzen, ist in dieser Logik also nur folgerichtig. Der Punkt hierbei ist, dass es sich im Falle des IS um Popularisierungsstrategien handelt, die nicht HipHop-typisch sind, sondern generell zum Einsatz kommen, wenn etwas Begeisterung auslösen soll. Pop, zu dem ich auch den HipHop zählen würde, geht immer – und hier wäre der Begriff dann auch richtig gewesen. Anzufügen ist: Eine parasitäre Adaption von popästhetischen Elementen ist kein Beleg für eine organisch gewachsene Verbindung zwischen Rap und Islamismus. Wenn sich »ISler«, die tendenziell alles Westliche eigentlich ablehnen, bei einer dominanten westlichen Ästhetik bedienen, um ihr antiwestliches Projekt voranzutreiben, ist dies ein kalkulierter Kunstgriff, der nicht eine suggestive Diskussion um Rap als Radikalisierungsreservoir für potenzielle IS-Krieger generell nach sich ziehen sollte.

Stattdessen scheint doch eher die Frage aufgeworfen, warum Pop selbst immer wieder die radikalsten Themen und Symbole nutzt, um sich zu erneuern – und dadurch für die verschiedensten Projekte anschlussfähig wird. Und das ist dann eben keine Frage mehr, die man allein auf der Höhe von Subkulturen diskutieren, sondern in einem breiteren soziokulturellen Zusammenhang erörtern müsste. Natürlich geht es dabei auch um Provokation! Wenn der Autor an späterer Stelle hinsichtlich des Provokationspotenzials Punk, Nazirock und Gangstarap in eine Traditionslinie stellt, dann ist diese Geste selbst hoch provokativ und wäre ihrerseits im Lichte der gesellschaftlichen Umstände zu klären.

Die vorsichtig relativierenden und zurückrudernden Bemühungen des Autors, »HipHop« doch noch etwas zu seinem Recht kommen zu lassen, ändern leider nichts daran, dass hier Rap – wieder einmal – als suggerierter Nährboden für unliebsame gesellschaftliche Entwicklungen herhalten muss.
 

Aus gegebenem Anlass stellt ALL GOOD den Text »Islami(sti)scher Rap in Deutschland? Sozial- und kulturwissenschaftliche. Beobachtungen zum Diskurs um Integrationsverweigerung und Fundamentalismus« von Marc Dietrich und Martin Seeliger, der bereits 2013 im Band »Gehört der Islam zu Deutschland? Fakten und Analysen zu einem Meinungsstreit« (Herausg. Klaus Spenlen), erschienen ist, hier zum Download im PDF-Format bereit. Der Beitrag beleuchtet trotz älteren Datums Verbindungen von Rap und fundamentalistischem Islam auf für die heutige Debatte anschlussfähige Weise. Neben einigen Anmerkungen zu Rap und extremeren Islam-Ausprägungen in den USA, geht es um das »Gespenst des salafistischen Rappers« in Teilen der deutschen Medien.