Jolanta Stebel Portrait
Ein Kommentar von Jola Stebel

Medusa als feministisches Motiv im Rap

Die Pop- und Rap-Welt ist immer wieder fasziniert von einer Frau mit Schlangenhaar und tödlichem Anblick: Medusa. Rihanna und Azealia Banks lassen sich als Medusa ablichten, Loredana benennt ihr neues Album nach ihr. ALL GOOD-Autorin Jola Stebel stellt die Frage, ob Medusa aus einer feministischen Perspektive als Leitmotiv sinnvoll ist.

Medusa

Keine andere weibliche Figur der griechischen Mythologie taucht so häufig in der Pop- und vor allem Rapkultur auf wie sie: Medusa. Macht Sinn, denn sie ist geheimnisvoll, gefährlich und eben ausnahmsweise eine Frau. Kein Wunder also, dass sich starke weibliche Künstlerinnen wie Rihanna (2013 für die »GQ«), Azealia Banks (2015 im »Ice Princess«-Video) oder Cardi B in ihrer diesjährigen Halloween-Verkleidung schon als Medusa inszeniert haben. Aber auch männliche Künstler nutzen Medusa als Sinnbild in ihren Rapsongs – etwa Bausa mit »Medusa« aus dem Jahr 2017 oder WSTRN bei »Medusa« aus 2019. Und ganz aktuell veröffentlicht Loredana ihr neues Album – mit dem Titel »Medusa«. Im dazugehörigen Intro zeigt sie sich bereits wie besessen, mit Schlangen, die aus ihren Haaren ragen.

Ob die Figur Medusa aus einer feministischen Perspektive als Leitmotiv wirklich sinnvoll ist, oder ob die Figur eher misogynes Potential aufweist, wird hier diskutiert. Aber um das zu tun, brauchen wir erstmal ein paar Backgroundinfo zu Medusa.

Die Mythologie um Medusa

Herzlich Willkommen bei der Family der Gorgonen. Die Eltern waren Keto und Phorkys. Phorkys war Vater und Meeresgott, Keto die Mutter und ein Meeresungeheuer. Sexismus right there, aber das ist nicht mal das Schlimmste. Das Schlimmste ist, dass beide, also Keto und Phorkys, Geschwister waren. Medusas Eltern haben also Inzest betrieben, was schon mal eine seltsame familiäre Grundstruktur darstellt.

Medusa wurde als eine von drei Töchtern geboren. Neben ihr gab es noch Stheno und Euryale, beide wie ihre Eltern unsterblich. Hässlich, aber unsterblich. Medusa hingegen war als einzige sterblich. Und hässlich. Zumindest in der ersten Version der Mythologie. Später wurde sie wohl als sterbliche Schönheit dargestellt, denn auch Inzestkinder können schön sein.

Irgendwann bandelte Medusa wohl mit dem Meeresgott überhaupt an: Poseidon. Vaterkomplexe ahoi! Ob das allerdings ein einvernehmliches Techtelmechtel zwischen Medusa und Poseidon war oder eher was mit sexueller Belästigung oder gar Vergewaltigung zu tun hatte, wird aus den Quellen nicht ganz klar. Was aber klar ist: Athene (eine der olympischen Gottheiten, also Next-Level-Goddess) erwischte beide beim »Liebesspiel« und wurde von der Eifersucht gepackt. In welcher Beziehung sie zu Poseidon stand, ist nicht so klar. Jedoch kämpften die beiden zuvor schon mal um die Schirmherrschaft einer Stadt. Ein Kampf, den Athene gewann und deswegen Athen Athen heißt. Vielleicht lief da was während dieser Rivalität…

Athene verpasste Medusa jedenfalls eine Abreibung und zauberte ihr eine Haut wie ein Schuppenpanzer, gefährliche Reißzähne und eine zu lange Zunge, die ihr jeweils aus dem Mund ragten. Dazu gab es glühende Augen, ihre ikonische Haartracht aus Schlangen sowie einen Unterkörper als Schlangenschwanz. Und weil das alles noch nicht genug war, versetzte Athene Medusas Anblick mit einem Fluch: Jeder Mann sollte bei ihrem Anblick zu Stein werden.

Die Story ist aber noch nicht ganz vorbei, denn jetzt käme eigentlich noch eine komplette zweite Storyline dazu. Ich beschränke mich aber nur auf das Wesentliche in Bezug auf Medusa: Perseus (der Sohn von Zeus) sollte aus Gründen Medusas Haupt im Sinne eines Kopfgeldes zu König Polydektes bringen. Polydektes stellt Perseus damit jedoch eine Falle, weil Medusas Blick – wie bereits erwähnt – alle Männer versteinern lässt. Hier soll Athene erneut als selbstgefällige gute Fee eingeschritten sein und Perseus ein sich spiegelndes Schutzschild geschenkt haben. Damit konnte Perseus Medusa sehen, ohne sie direkt anzuschauen und ohne sofort zu versteinern. Die Enthauptung gelang.

Und als kleine Überraschung zum Schluss: Aus dem blutenden Rumpf von Medusa entstiegen das geflügelte Pferd Pegasus und der kriegerische Riese Chrysaor. Wie das geschehen konnte? In Medusas Bauch schlummerten die ungeborenen Babys von Poseidon. Athene verfluchte Medusa genau in dem Moment der Befruchtung. Zum Zeitpunkt ihrer Ermordung war Medusa also mit zweieigen Zwillingen schwanger.

Medusa als Über-Opfer

Wenn man sich also ein bisschen mit der griechischen Mythologie befasst, wird schnell deutlich: Medusa war das Über-Opfer schlechthin – ein sterbliches Inzestkind, im besten Fall war ihr die Liebelei zu Poseidon nicht so wirklich recht, im schlimmsten Fall wurde sie von ihm vergewaltigt. Dafür verwandelte man sie in ein Ungeheuer mit Todesanblick. Außerdem wurde sie schließlich ungewollt schwanger und kaltblütig ermordet. Was diese Figur mit Feminismus zu tun hat, ist an dieser Stelle kritisch zu hinterfragen. Selbst ihr Todesanblick mit Versteinerungsgefahr, also ihr Iconic Look, war keine Superpower, sondern vielmehr ein Fluch. Es war weder ein Talent noch eine Fähigkeit oder ein Zaubertrick, den sie sich irgendwie angeeignet hat.

Bezeichnend ist auch, dass ihr das Einzige, was sie hatte – ihre Schönheit – durch den Fluch genommen wurde. Bestrafung durch Hässlichkeit also. Dieser Aspekt ist an sich schon höchst problematisch, da Frauen lange auf ihre Schönheit reduziert und objektiviert wurden und immer noch werden. Selbst- und/oder externidentifizierte Frauen werden heute immer noch an den gesellschaftlich normierten Vorstellungen von Schönheit gemessen. Bei Medusa kommt hinzu, dass durch diese Bestrafung ihr zudem die Chance genommen wurde, sich ihre Schönheit als Machtstrategie zu eigen zu machen, wie es beispielsweise Shirin David versucht. Aus diesen Gründen könnte man meinen, dass Medusa aus der Geschichtsschreibung heraus eher misogynes Potential besitzt – sie war auf allen Ebenen benachteiligt.

Identifizierungsgründe mit Medusa

Wieso lassen sich also Künstlerinnen wie Rihanna oder Loredana als Medusa ablichten, darstellen oder identifizieren sich gar mit ihr? Sie ist schlichtweg ein bekanntes, starkes und fabel-haftes Motiv ist. Ein Hauch guter alter Exotismus spielt da vielleicht auch eine Rolle. Und natürlich kann man sich fragen, ob sich Rihanna vor dem »GQ«-Shooting gemeinsam mit Art Director Damien Hirst mit der Mythologie zu Medusa wirklich beschäftigt hat. Natürlich bietet Medusa mit ihrem Anblick als Waffe die perfekte Grundlage für eine (selbstbestimmte?) hypersexualisierte Darstellung des Körpers mit weiblichen Attributen: »It’s all about the hips and tits.« So hat es jedenfalls Cardi B dieses Jahr zu Halloween ausgedrückt.

Wieso könnte Medusa als Motiv für Künstlerinnen noch attraktiv sein? Im verfluchten Stadium stellt sie eine ernstzunehmende Bedrohung für die Männerwelt dar. Gerade für Frauen im männlich dominierten Rap-Game könnte die Figur der Medusa eine ernstzunehmende Gegenspielerin oder Konkurrentin – über die körperliche Anziehungskraft hinaus – repräsentieren. So rappt Loredana auch im »Intro« ihres Albums, während ihr acht Schlangen aus dem Kopf wachsen und ihr Gesicht sich zum Schluss in einen silbernen Schädel verwandelt: »Verkaufe 100K-Tickets, geh‘ auf Tour / Fünf Trucks, drei Busse auf der linken Spur. Fünfhundert Schweizer Franken nur für die Frisur / Machst du Welle, sei dir sicher, meine Feinde leben kurz«

Medusa als Antiheldin

Oder – das mag ein vielleicht weniger offensichtlicher Grund sein – Künstlerinnen verstehen Medusa als Antiheldin. Diese Vorstellung ist auf den zweiten Blick ein wenig kompliziert, da es für die Bezeichnung »Antiheldin« keine einschlägige Definition oder klar zugeschriebenen Charakteristika gibt. Klar, die Antiheldin ist der Gegenentwurf zur Heldin. Aber was heißt das schon? Das Gute ist, dass der Blick oder die Zuschreibung der Antiheldin vom zuschreibenden Subjekt und Kontext abhängig ist. Das sagen zumindest Ann-Christin Bolay und Andreas Schlüter in »helden. heroes. héros« mit dem Schwerpunkt »Faszinosum Antiheld« aus dem Jahr 2015.

Dann spielen wir das doch mal durch: Perseus überlistet und köpft das böse Monster Medusa aus Gründen und entgeht somit der Falle des König Polydektes. Perseus ist also eher der klassische Held. Medusa ist in dem Szenario für mich eher die Antagonistin, weil sie in der Challenge die Endgegnerin darstellt. Wenn man allerdings ihren versteinernden Blick nicht als Stärke, sondern im Sinne des Fluches als Schwäche versteht, dreht sich die Perspektive. Denn ein übergreifendes Merkmal der Antiheldin ist die Erzeugung von Sympathie durch Schwäche. Besonders im Hinblick auf ihre tragische Biografie und Über-Opferposition kann man durchaus Sympathie für sie empfinden, was sie für mich an dieser Stelle tatsächlich zur Antiheldin macht.

Azealia Banks scheint das Motiv Medusa zumindest ähnlich dramatisch zu lesen. In ihrem Video zu »Ice Princess« stellt sie sich als Hybrid aus Medusa und Eiskönigin dar. Dabei regiert sie über eine Armee aus Cyborgs. Alles schon ein bisschen weird, aber okay. Nachdem sich kristallartige Wesen ihrem Reich nähern und womöglich angreifen wollen, macht sie sich auf einer Schlange reitend mit ihrer Armee auf den Weg, die Eindringlinge mit ihrem versteinernden Blick erfrieren zu lassen. Sie friert sogar den Mutter-Vulkan zu, aus dem die kristallartigen Wesen erscheinen. Nur leider ist der Beat ihres Tracks so heiß, dass ihre Armee auf den fliegenden Jetskis so heftig zum Beat abgeht, dass die schützende Eisschicht bricht. Azealia wird von einem Kristall-Schwall erfasst und stirbt. Lange Rede, kurzer Sinn: Sie will eigentlich nur ihr Reich beschützen und wird dann letztendlich von ihrer Armee hintergangen. Die Frage, ob Heldin oder Antiheldin könnte man an dieser Stelle zumindest diskutieren.

Männliche Perspektiven auf Medusa

So wie es aussieht, gibt es auch Möglichkeiten sich Medusa als feministisches Motiv im Sinne einer Antiheldin anzueignen. Aber wie kann eine männliche Perspektive darauf aussehen? Wie wird das Motiv »Medusa« in Raptexten verwendet? Bausa zum Beispiel beschreibt in seinem Song »Medusa« (2017) eine Frau, die weder seine Liebe erwidert noch ihm gegenüber loyal ist, auch weil sie sich mit anderen Männern vergnügt: »Ich musste nicht mal weinen, als ich wusste, dass du’s treibst / Mit der halben Welt, ich fand es sogar lustig mit der Zeit, haha. Inzwischen weiß ich, dass die Wunde schnell verheilt / Und ich will dich nicht mehr haben, deine Mu ist zu weit«

Insbesondere in der letzten Zeile zeigt Bausa misogyne Tendenzen. Kurz und deutlich: Medusa sei eine Schlampe, da sie mit vielen Männer schlafe. Und dann reduziert er sie auf ihre »zu weite« Vagina, die er eh nicht mehr haben will. Ja, klar. Er ist nur angepisst, dass er nicht zu den Auserwählten gehört. Denn ganzheitlich betrachtet, geht es in dem Song darum, dass Bausa unglücklich verliebt ist und sich einreden will, nichts mehr von der Frau – also von Medusa – zu wollen. Medusa wird in Bausas Song also als Sinnbild für eine Frau verwendet, die ihn ignoriert, dabei promiskuitiv und mit Wein bestechlich ist. Im Subtext steht jedoch, dass diese Frau eine große Anziehungskraft ihm gegenüber hat und somit auch eine gewisse Macht. Er versucht nur nicht daran zu Grunde zu gehen oder – sinnbildlich gesprochen – zu versteinern.

Das Motiv Medusa wird auch international im Rap verwendet, etwa 2018 vom griechischen Artist Snik sowie 2019 vom britischen Sänger WSTRN zusammen mit Rapper Unknown T, ebenso im Latin-Pop dieses Jahr von Jhay Cortez zusammen mit Anuel AA und J Balvin. In allen drei Songs wird Medusa eher als Wort-Hülse eingesetzt. Snik liefert keine Erklärung, wie er auf den Titel gekommen ist. Inhaltlich geht’s nämlich nur darum, wie cool seine Gang ist. Vielleicht heißt sie ja Medusa!? WSTRN benutzt den Begriff eher für ein »toxic girl« oder »girlfriend«. Und bei Cortez, Anuel und Balvin steht die Medusa einfach nur für Klamotten von Versace, denn das Versace-Logo besteht aus einem Abbild von Medusas Kopf. Da ist dieser Song natürlich nur einer von vielen, die die Modemarke feiern und deswegen auch Medusa eine Rolle spielt – das haben Migos bereits 2013 getan.

Medusa als feministisches Motiv

Wenn man ehrlich ist, gibt die Figur Medusa in der griechischen Mythologie zumindest nicht im klassischen Sinne ein feministisches Storytelling her. Es ist nicht die Geschichte, in der sich eine Frau gegen Männer durchsetzt oder in der ihre Macht und Position als gleichwertig zu der der Männer (oder Frauen wie Athene) dargestellt wird. Wenn man Medusa jedoch als Antiheldin versteht, eröffnen sich da zumindest feministische Spielräume. Trotzdem wird – so die Vermutung – Medusa von weiblichen Artists hauptsächlich aufgrund ihrer männlichkeitsbedrohenden Macht als Leitmotiv in der Rapkultur verwendet. Dieses Bedrohungsgefühl kann sogar von Sigmund Freud psychoanalytisch untermauert werden. Der hat im Jahr 1922 »Das Medusenhaupt« veröffentlicht. Ein wichtiger Anhaltspunkt ist für Freud darin die Kastrationsangst, weil die bei Medusa gleich mehrfach wirke. Weil: Die Kastrationsangst basiert auf der Annahme, dass die Frau ein kastrierter Mann und damit minderwertig sei. Was natürlich höchst sexistisch ist. Im Hinblick auf Medusa spiele das wohl eine zentrale Rolle, da etwa die Enthauptung durch die Trennung zum Rumpf ja schon eine Kastration darstelle. Und dann sind die Schlangen auch noch Phallussymbole. Medusa steht also für einen kastrierten Peniskopf. Kein Wunder also, dass Freud als Mann die Medusa-Geschichte als »mythologisches Symbol des Grauens« deklarierte.

Wenn Künstlerinnen sich am Leitmotiv Medusa bedienen, könnte demnach eine Stärke im Thematisieren der Kastrationsangst liegen – lowkey Threatening geht immer. Aber genau genommen wird sich dadurch auch nur wieder an einem Reproduktionsprozess beteiligt, der die Frau schon wieder als minderwertig darstellt. Gar kein Bock! Da bietet die Position als Antiheldin im Vergleich doch mehr Potential. So richtig überzeugt Medusa als feministisches Motiv noch nicht – zumindest nicht in der oberflächlichen Art und Weise, wie sie bisher verwendet wurde. An sich bietet die griechische Mythologie um Medusa aber durchaus Ebenen und Projektionsflächen für die Darstellung und Thematisierung komplexer Konflikte. Auch eine alternative Geschichtsschreibung könnte Medusa zu einer feministischen Figur auferstehen lassen.