Die XXL Freshman Class und Meme-Rap: Eine Bestandsaufnahme
Amerikanischer HipHop-Journalismus findet im Jahre 2017 natürlich in den sozialen Netzwerken statt. Ja, es gibt sie noch die Print-Magazine »The Fader« und »XXL«, aber ihre Relevanz lebt vom Content, der online über den Social-Media-Stream entlassen wird, um sich mit den gängigen Blogs (»2DOPEBOYZ«, »Okayplayer«, »Pigeons & Planes«,…) um Klicks zu streiten. Soweit, so auserzählt.
Wahrscheinlich ist die multimediale Bespielung der Grund, wieso »XXL«s Freshman Class immer noch heraussticht aus dem redaktionellen Alltag – es wird spielerisch zwischen den Medien gewechselt. Angefangen von den unzähligen Pitches, die über »XXL«s YouTube-Channel ausgestrahlt werden und aus denen die Freshmen ausgewählt werden. Dass Popularität dabei mehr zählt als Qualität wurde von »XXL« erkannt und, in der Möglichkeit per Online-Abstimmung als Fan-Favorit einen Platz zu ergattern, vermarktet. Alle auserwählten Künstler werden daraufhin zum geheimen gemeinsamen Photoshoot zusammengebracht, das zu dem Cover der Print-Ausgabe führt, die exklusiv der jeweiligen Freshmanclass gewidmet ist. Es folgen Performances und Interviews, die erneut über den eigenen YouTube-Channel ausgestrahlt werden.
Eingeschult in 2007 war die Freshman Class dabei ideell immer mehr an den wechselnden Strömungen des Genres selbst interessiert, als daran den Labels neue Galionsfiguren an den Bug zu schnitzen. Die Erfolgsbilanz liest sich dementsprechend: Auf jeden Kendrick Lamar, Danny Brown, Joey Bada$$ oder Chance The Rapper folgen unzählige Gorilla Zoes, die ihren kurzen Peak erlebten, um dann erneut in der Bedeutungslosigkeit verschwanden. Zur Freshmann Class zu zählen ist darum weniger ein qualitatives als ein repräsentatives Statement – die Gewissheit, dass man für diesen Moment HipHop konzeptionell vorangedacht hat.
Damit positioniert sich die Freshman Class für die Musikkritik vor allem als Trendseismograph und Industriemesser. Der Aufstieg mancher Labels – etwa TDE, aber auch GOOD Music – verläuft fast synchron zu den jeweiligen Signings einiger Freshmen. Man muss nicht alle Vertreter des jeweiligen Jahrgangs für die Neuerfindung des Raps halten, aber akzeptieren, dass die Summe komplexer und ästhetischer als die einzelnen Teile ist. (Der Puzzeleffekt!) Rückblickend lassen sich daraus zwei für den Markt und die Szene richtungsweisende Ideen formulieren:
1. Der Tod des Charakter MCs oder vom Ende der Novellierung des HipHops
In den 2000er war es üblich, dass man Backstory brauchte, um seine Authentizität zu bewahren. Oftmals wurde diese nicht nur textlich angedeutet, sondern auch visuell nachgespielt. (Etwa »Many Men« von 50 Cent.) HipHop war in seiner Essenz das Ausbreiten, Ausarbeiten und Evaluieren der eigenen Biographie und des eigenen Erfolges; der Rapper als Charakter in seiner eigenen Story.
Zwar finden sich noch Vertreter dieser Tradition auf früheren Jahrgängen (Kendrick Lamar, Future, Freddie Gibbs), aber in den letzten Jahren wurden das absichernde, prosaische Selbsterzählen von der katalysatorischen Kraft des Memes und seinem musikalischen Pendant, dem Adlib, abgelöst. Kurzlebig, exklusiv und den sozialen Kanälen verpflichtet, hat es sich vom reinen Promotionsinstrument zur Grundlage mancher Karrieren entwickelt – ein Trend, der sich anhand der Freshman Class nachzeichnen lässt.
Beginnend mit Vordenkern wie Lil B, die erst MySpace und später Twitter und Facebook dazu benutzen, um sich in ein lebendes, trollendes (»I’m Gay«) Meme zu wandeln. Darauf folgten Nutznießer wie Ugly God oder Lil Uzi Vert, die dieselbe multimediale Aufmerksamkeit wie Lil B ziehen, ohne dessen Gabe zu besitzen, daraus eine, wenigstens den Anschein von Kohärenz bewahrende Philosophie zu entwickeln. Sowie potentiellen Nachfolger wie Lil Pump oder Bhad Babie, deren Popularität als Meme die einzige Grundlage für die Rezeption der Musik bietet.
2. Vom Album zur Single, oder warum Rap ein Ausdauerproblem hat
Das Problem der jetzigen Jahrgänge (2015 – 2017) ist nicht so sehr ein qualitatives als eine Frage der Vermarktung. Rapper dieser Generation sehen sich mit der Problematik konfrontiert, dass sie als Künstler in einem System (von Plattenfirmen, über Vermarktungsmechanismen sowie Rezensionsapparaten) arbeiten, das immer noch an die Relevanz des Albums glaubt – diese Künstler aber vor allem im Format der Single arbeiten können.
Die Freshman Class hat dies erkannt und gelernt wertzuschätzen, da es erlaubt, schnell Trends wiedergeben zu können und auf Änderungen in Sound oder Präsentation zu reagieren. Auf der anderen Seite erklärt dies auch warum das musikalische Output der Betroffenen auf Langstrecke eher Seitenstechen bekommt – man denke an die aktuellen Alben und Mixtapes von Lil Yachty, Ugly God, Lil Uzi Vert, XXXtentacion,…
Diese Singles sind stark schematisiert: abgewetzte, bassgetriebene Banger, die weniger auf Lyrics, als auf hypnotischen, monotonen Flow setzen, und dabei das eigene Adlib (»Yeaaah«, »Esketit«, »lil boat« etc.) in den Vordergrund stellen, sodass es das Standing und die Funktionalität von Producer Drops annimmt. Auf Kürze charmant, auf Album-Länge redundant. Als »Lösung« wurde dabei oftmals versucht, das Talent über die natürlichen Skills auszustrecken, also Rap zu produzieren. Funktioniert so gut wie nie und schadet dem Künstler, genauso wie den Ohren der Hörer und Rezensenten.
Mixtapes haben sich deswegen als die goldene Mitte bewiesen. Nicht an die Kohärenz und Dichte des Albums gebunden, werden zwei, drei bekannte Singles mit mittelwertigeren zusammengeworfen, um einen Überblick in das musikalisch sehr begrenzte Spektrum zu geben. Kann rezensiert werden, und auch ein Urteil, über die Langwertigkeit der Karriere geben, also die Wahrscheinlichkeit, dass der Status als Meme-Rapper überkommen werden kann. Letztendlich sind diese aber auch nur Verzögerung, da Labelverträge nicht in Mixtapes, sondern Alben gemessen werden.