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Ein Kommentar von Florian Weigl

Die Wyoming-Alben und die Art und Weise wie Kanye mit Stimmen arbeitet

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Wenn die Wyoming-Alben eines gemeinsam haben, dann folgendes: Es macht meistens mehr Spaß, über sie nachzudenken, als sie zu hören. Das ist natürlich immer subjektiv. Wer also in der Lage ist, einen Zugang zu finden, der emotionaler, intimer oder instinktiver ist, soll sich freuen. Mir, der trotz all der Skandale und Mittelmäßigkeit immer noch einen gewissen intellektuellen Antrieb sieht, das Beste aus jedem neuen West-Projekt zu machen, gibt diese Distanz aber auch einen klareren Blick auf das, was 2018 noch genauso heraussticht wie 2008. Es gibt ein Accessoire in Wests umfangreichen Tool-Kit, das allgemein gelobt und anerkannt wird, ohne sich tiefer damit zu beschäftigen, warum es funktioniert. Die Art und Weise wie Kanye mit Stimmen arbeitet – sei es die eigene oder die anderer.

Zunächst: Diese Tendenz ist nicht neu. Willst du West Diskographie in Phasen einteilen, teilt sie sich mit dem Tod seiner Mutter, Donda West, in 2007. West hatte zuvor schon mit Auto-Tune experimentiert, aber mit »808s & Heartbreak« wurde es fundamentaler Bestandteil der Musik. Damit änderte sich auch der Selbstanspruch der Alben und die Musik wurde abstrakter. West versucht seit »808s« nicht mehr technisch sauber zu rappen. (Ob dies jemals der Fall war, ist eine andere Frage.) Dies führt zu einer Ästhetik, die die Intimität in der Produktion nicht mehr in den Texten sucht. Es ist der Versuch ein Gefühl so zu abstrahieren, dass es in all seinen Facetten an ein Publikum kommuniziert werden kann. Sei es das Trauma, das Dondas Tod hinterlässt (»808s & Heartbreak«), Exzess (»My Beautiful Dark Twisted Fantasy«), Selbstverwirklichung (»Yeezus«) oder scheitender Selbstanspruch (»The Life Of Pablo«).

Arthur Russells »World of Echo« (gesampelt auf »30 Hours«) wird in dieser Hinsicht immer mehr Schlüsselwerk, um die jetzige Periode zu verstehen. Russell benutzt seine Stimme darauf so, dass sie sein elektronisch verzerrtes Cello-Spiel komplimentiert. Sie kann Bass oder weiches Synthie-Arpeggio sein, schmiegt sich in die Lücken, unterläuft das Cello, um es später wieder einzuholen. Es ist ein effektbeladenes Album, betrunken von der eigenen Melancholie, das sich dennoch nur in Harmonien ausdrücken kann.

In den Wyoming Alben hilft Wests stimmliche Intimität, manche Songs zu verstehen, die sonst kryptisch verschlossen bleiben. Nimm zum Beispiel eine der meist zitierten Zeilen von »I Thought About Killing You«: »And I think about killing myself/ And I love myself way more than I love you« hat keinen konkreten Bezug außer sich selbst, was eine wortwörtliche Interpretation nicht weiterbringt. Wests Stimme ist aber expressiv genug, um trotz der Offenheit der Lyrics das Gefühl des Tracks zu kommunizieren. Seine Stimme zerteilt sich und setzt sich neu zusammen, findet zu Höhepunkten, um mit der nächsten Kadenz wieder zu taumeln, ehe der Beat-Switch einsetzt und der Song sein Gleichgewicht findet.

»KIDS SEE GHOSTS«, Wests Kollaboration mit Kid Cudi, verläuft sich zu oft in seinen Klanglabyrinthen und Stimmungsschwankungen, kreiert dabei aber immer Momente, die sich einschneiden. Wenn Kanye in »Feel The Love« loslässt und in onomatopoetische Stakkatosalven ausbricht, zeigt es die Unmittelbarkeit (Ich erschrak beim ersten Hören!) und Intimität der Gewalt und knüpft hier bereits die Verbindung zu der später textlich wieder aufgegriffenen Gang-Gewalt. Dieser Ansatz sorgt dafür, dass die Alben Replay verlangen, aber nicht belohnen. Alles ist Oberfläche, nichts Subtext, aber die Nuancen dabei so dicht, dass manche Songs sich erst nach mehreren Durchläufen vollkommen emotional erschließen lassen.

Wests Umgang mit den Stimmen seiner Features ist ähnlich. Mit »My Beautiful Dark Twisted Fantasy« begann West Stimmen so zu archivieren wie der Soul, der sich durch seine früheren Alben zog. Wenn wir in zehn Jahren die Performances suchen über die wir das Appeal von Rihanna, John Legend oder Bon Iver erklären wollen, sind die Chancen hoch, dass wir die Blaupausen dafür auf Wests Alben finden. West benutzt Features wie Instrumente, sucht die vokalen Ticks und Textures seiner Gäste, und sampelt, interpoliert und arrangiert sie, um maximale Harmonie zu erreichen. (Siehe beispielsweise auch Wests Duett mit The Dream auf »everything«.)

Es kommt weniger darauf an, wer singt, vielmehr wie die Stimme verwendet wird. Vergleiche Nicki Minaj auf »Monster« mit Chance auf »Ultralight Beam« oder Wilson & Cudi auf »No Mistakes« – jeder gibt unterschiedliche Performances, aber West schafft es die Qualitäten aller herauszuarbeiten, die den Song das gewisse Extra geben.

Kein Fall belegt dies besser als Kid Cudi. Cudi verbrachte das Jahrzehnt seit seinem Durchbruch mit »Man On The Moon« damit, Musik mehr und mehr als Therapie zu benutzen, um sich mit seiner Medikamentensucht, Depression und Suizidgedanken auseinanderzusetzen. Cudi half damit den Diskurs über psychische Erkrankungen im HipHop-Mainstream zu etablieren, wo er 2018 auch aber nicht nur durch West nicht mehr wegzudenken ist. Musikalisch allerdings waren die dadurch entstandenen Alben bestenfalls belanglos, meistens aber regelmäßig das Schlechteste, was dieses Jahr zu bieten hatte. (»Speedin‘ Bullet 2 Heaven« bleibt Tiefpunkt, auch wenn es immer noch fasziniert.)

Dies machte die Kollaboration zwischen West und Cudi auf dem Papier eher zu einem Novelty-Projekt als Geheimtipp. Dennoch klingt Cudi auf »KIDS SEE GHOSTS« so gut wie lange nicht mehr. Wenn Cudi in »Feel The Love« mit Pathos und Reverb »I can still feel the love« singt, ist dies eine zu einem Soundbyte kondensierte Hymne. Später auf »Reborn« scheint Cudi seinen Frieden gefunden zu haben, aber seine Stimme klingt zerbrechlicher denn je, ehe sie den Switch zu seinen gewohnten tieferen, souligeren Register macht, als müsste sie dich versichern, dass es diesmal ernst gemeint ist.

Es hilft abschließend vielleicht noch über den Vorgang des Hörens an sich nachzudenken. Um es kurz zu machen: Songs verändern sich, je nachdem mit welchem Mindset sie gehört werden. Dies ist natürlich (erneut) vollkommen subjektiv. Das macht das Schreiben über Stimmen so schwer. Zwar kann man sich auf formale Parameter (Pitch, Stimmlage, Kadenzen, Atemtechnik) verständigen, aber wie diese zusammenspielen, ändert sich stetig. Wenn du den Beschreibungen hier folgen kannst, freut mich das, wenn nicht, hören wir beide nur anders, nie falsch.