Die Platten der Kritik können die Kritik an Platten nicht ersetzen
Das Verhältnis zwischen deutschen Rap-Künstlern und deutschen Rap-Medien ist seit jeher durch Spannungen geprägt. Bereits 1994 taten die Beginner mit dem Song »Die Kritik an Platten kann die Platten der Kritik nicht ersetzen« ausführlich ihre Meinung kund. Seitdem hat sich einiges getan. Deutschrap als Genre hat einen Aufstieg hinter sich, der seinesgleichen sucht. Analog dazu hat auch die Anzahl und Vielfalt an Rap-Medien mit der Zeit deutlich zugenommen. Das Verhältnis zwischen Rappern und Musik-Journalisten indes hat sich keineswegs entspannt. Im Gegenteil: Mittlerweile hat es schon fast den Anschein, als gehöre es einfach dazu, sich gegen Rap-Medien und ihre Vertreter aufzulehnen.
So pöbelte beispielsweise Farid Bang im vergangenen Jahr gegen »Rap.de«-Chefredakteur Oliver Marquart los, dieser würde sich hinter dem Pseudonym Skinny verstecken, um negative Reviews zu veröffentlichen. Dem vorangegangen war eine Rezension auf »rap.de«, die relativ vernichtend ausfiel, woraufhin Banger Musik dem Medium tatsächlich zum Vorwurf machte, dass eine Frau den Text geschrieben habe. Nur wenig später äußerte Bushido seinen Unmut darüber, wie das Portal »laut.de« das neue Werk seines Schützlings Shindy besprochen hatte. »Jemand, der es nicht wenigstens gleich oder besser macht, […] darf gar nicht reden. […] Wenn du selber nicht vom Fach bist, dann rede nicht.«
Im selben Zeitraum machte auch Sido als Medien-Kritiker von sich reden. Nachdem er bereits auf »Hamdullah« ein paar Zeilen gegen Falk Schacht, Oliver Marquart und Marcus Staiger gedroppt hatte, folgte mit »Masafaka« dann der Rundumschlag: »RTL«, »ZDF«, »Pro7«, »Noisey«, »welt.de«, Jan Böhmermann. Mögen die in dem Song geäußerten Kritikpunkte gegen HipHop-ferne Medien noch stichhaltig sein, so wird es in Bezug auf genreinterne Medien schnell fadenscheinig. Kürzlich empörte Sido sich auch gegenüber der »Juice«: »Wo kommen wir denn hin, wenn sogar HipHop-Medien anfangen, HipHop oder Rapper schlechtzureden?«
Daneben reiht sich auch Bass Sultan Hengzt ein, der auf seinem neuen Album »Zahltag 2: Riot« kräftig gegen verschiedene Musikmedien wettert. Ebenso kommt Kollegahs »Imperator« nicht ohne den Versuch aus, die Kritik von zwei Musikjournalisten, namentlich erneut Falk Schacht und Marcus Staiger, vorwegnehmen und damit entkräften zu wollen. Auf seinem neuen Song »Legacy« wird Staiger zudem Gewalt angedroht. Und jüngst schickte sich auch der wieder zum »Freak« mutierte Ferris MC an, die deutschen HipHop-Journalisten zu kritisieren, indem er auf das altbekannte Klischee zurückgriff, dass Kritiker lediglich gescheiterte Künstler seien.
Alles in allem sind solch krude Thesen und Vorwürfe nicht neu. Nach ihrem eingangs erwähnten Song machten die Beginner und eine Reihe von Kollegen im Jahr 1999 noch einmal als Medien-Kritiker von sich reden, als sie auf »K2« die Berichterstattung der »Bravo« aufs Korn nahmen. Im selben Jahr luden Max Herre und Afrob zum »Exklusivinterview« und machten auf dem gleichnamigen Song ihrem Frust über die in ihren Augen unsachgemäße Berichterstattung Luft: »Ich lad mein Magazine mit Lyrics, ziele auf dein Magazin, schütz‘ dein Revolverblatt, weil ich jetzt Revolte mach!« Genau zehn Jahre griffen KAAS und Massiv das Thema mit ihrem Song »Exklusivinterview 2009« erneut auf. Und Samy Deluxe‘ Disstrack »Sellout Samy« aus dem Jahr 2001 gegen die »Juice« kann heutzutage getrost als Kult bezeichnet werden.
Medienkritische Töne gab es also bereits in der Vergangenheit. Aktuell ist es jedoch vor allem die deutlich erhöhte Schlagzahl, mit der derlei Äußerungen ihren Weg in die Öffentlichkeit finden, die dem Thema seine Brisanz verleiht. Der Trend ist symptomatisch für ein Genre, das sich seinen Erfolg erst mühsam erkämpfen musste und dabei zu großen Teilen vom parallel dazu stattfindenden Aufstieg der sozialen Medien profitiert hat. Denn waren die genreinternen Medien, die sich die HipHop-Szene einst schuf, am Anfang noch ein gern gesehener Multiplikator, der die Reichweite vergrößerte und dem Künstler ein Mehr an Aufmerksamkeit verschaffte, so ist dieser Effekt in der Gegenwart zum Großteil verpufft. Rapper erreichen ihre Fans weitestgehend eigenständig – über Facebook, Twitter, YouTube und Co. – und sind daher schlichtweg nicht mehr darauf angewiesen, mit den Medien zu kooperieren. Der einst klassische Weg ist mittlerweile zum viel zu aufwändigen Umweg mutiert. So gab auch Kollegah kürzlich im Interview mit Niko Hüls von der »Backspin« selbstbewusst zu Protokoll: »Medien sind sowieso irrelevant geworden. Was wollen die mir denn tun? Ich habe ‚nen Eine-Million-YouTube-Channel, hab zwei Millionen Facebook-Fans, 1,2 Millionen Instagram-Fans.«
Was von den Medien in den Augen vieler Rapper übrig bleibt, sind die negativen Effekte. Dann, wenn jemand in einem Interview mal kritisch nachhakt. Wenn er offensichtliche Widersprüche anspricht. Wenn er die politische Einstellung eines Künstlers abklopft. Oder wenn er einfach nur schreibt, wie langweilig und uninspiriert das neueste Album dieses Künstlers eben klingt. Das vermiest nicht nur die Laune, sondern schlimmstenfalls auch das Geschäft – und das ist natürlich unerwünscht. In einem Genre, dessen primäres Narrativ sich aus dem Gefühl des Unterdrücktwerdens speist, entsteht nur allzu schnell das Gefühl, dass auch der Musikjournalist zu den Unterdrückern gehört. Da verwundert es dann auch nicht mehr, wenn Fler in seinem epischen Interview den Vorwurf äußert, dass Rap zwar von der Straße komme, Rap-Journalismus hingegen nicht.
Die damit einhergehenden Schlussfolgerungen und Pauschalisierungen sind nicht nur meist falsch, sondern geradezu fatal. Schon allein aus demokratischen Gründen ist die vierte Gewalt ein schützenswertes Gut – selbst, wenn es sich dabei nur um Musikjournalismus handelt. Und dass ein Kritiker die Tätigkeit, die er kritisiert, besser beherrschen muss als der kritisierte Künstler, ist ein Irrtum. »Man muss kein Kunstschütze sein, um zu sehen, ob jemand ins Schwarze getroffen hat«, wie Karl May schon wusste. Anders gesagt: Auch ein Bushido muss kein besserer Postbote sein, wenn er die Deutsche Post kritisieren möchte.
Zweifelsohne hat der deutsche Rap-Journalismus ein großes Problem. Eben weil Künstler und Fans mittlerweile auf direktem Weg miteinander in Kontakt treten können, kämpfen die Rap-Medien händeringend um Aufmerksamkeit. Zwar wurde die damit einhergehende Boulevardisierung zuletzt mehrfach in Diskussionsrunden debattiert, doch der große Umschwung blieb bisher aus.
Doch interessanterweise sind es gar nicht diese journalistischen Missstände, die von Künstlerseite aus ins Kreuzfeuer genommen worden. Es sind eben jene Journalisten und Autoren, die nicht nur berichten, sondern auch eine Meinung dazu vertreten – und eben nicht immer eine positive. Sido hat natürlich vollkommen Recht, wenn er meint, dass Deutschrap-Journalisten ihrem Genre einen Dienst erweisen sollten. Nur besteht dieser eben gerade nicht darin, etwas in den Himmel zu loben oder lieber den Mund zu halten. Er liegt darin, die positiven Dinge ebenso beim Namen zu nennen wie die negativen. Immer im Dienste der Musik.