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Wehn juckt's

HipHop-Journalismus 2014: Irgendwann schrieb ich nur noch nett.

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HipHop-Journalismus in Deutschland hat diesen Namen 2014 so gesehen gar nicht verdient. Weil sich eigentlich ausnahmslos alle – Journalisten, Künstler und Plattenfirmen – für die kritische Auseinandersetzung viel zu gut miteinander verstehen und einen vernünftigen und angeregten Diskurs damit beinahe unmöglich machen. Aber genau darin liegt auch die große Chance für das nächste Jahr.

Wenn mich jemand fragt, was ich beruflich mache, antworte ich mittlerweile klipp und klar: Ich bin Journalist. Und das, obwohl sich der Großteil meiner Texte mit Musik im Allgemeinen und HipHop im Speziellen beschäftigt. Müsste ich dann nicht eigentlich HipHop-Journalist sein? Ich denke: eher nicht. Ich weiß sogar: nein. Denn mit dem, was 2014 als HipHop-Journalismus verkauft oder womit durch YouTube-Klicks Geld verdient wurde, kann ich mich größtenteils nicht mehr wirklich identifizieren.

Auch »Spex«-Redakteur Daniel Gerhardt hat ein Problem mit Musikjournalismus. Und weil er selbst Musikjournalist ist, ist das eher schlecht. Seinen Unmut hat er im vergangenen Jahr in einem Essay für das Magazin, bei dem er arbeitet, aufgeschrieben. Sein Text »Lass das bei ‚nem Bier besprechen!« erklärt sehr schön, was das Problem mit dem Musikjournalismus ist.

Denn beide Seiten – die Musikindustrie und der Musikjournalismus – fristen ein symbiotisches Nutznießerdasein: »Musikjournalisten, Industrievertreter und Künstler schmoren derart im gemeinsamen Saft, dass längst jeder jeden kennt und das Vertreten kritischer und kontroverser Standpunkte bisweilen schwierig wird. Zerpflückt man die Quatschband des Promoters, den man später noch zum Bier trifft? Und riskiert man den Liebesentzug der Plattenfirma, die ihren aktuellen Hoffnungsträger gleich mitbringt in die Kneipe?«

Gerhardt schließt mit einem guten Schuss Idealismus und schlussfolgert den Lösungsvorschlag: »[…] hart bleiben, ehrlich und radikal sein, viel trinken, den Karren zur Not mit Schmackes vor die Wand fahren. Man muss den Streit nicht immer suchen, man muss ihn aber auch mal aushalten können. So läuft das doch unter Freunden.« Mich hat dieser Text nachhaltig sehr beschäftigt.

Als ich 2008 anfing, über HipHop zu schreiben, wusste ich das nicht. Ich hatte mich mit einer Besprechung zu »Ich bin deutscher HipHop« von Sentino und einem Konzertbericht über K.I.Z. im Kulturzentrum meiner Heimatstadt Hohenlimburg beim damaligen »Juice«-Chefredakteur beworben. Im per Telefon geführten Bewerbungsgespräch fragte er mich, ob ich Kontakte zur Szene hätte, worauf ich allen Ernstes antwortete: »Ein Kumpel von mir hat mal einen Beat für Spax produziert.« Das war’s aber auch schon.

Ich hatte damals noch keinerlei Ahnung davon, welche Vor- oder Nachteile Kontakte zu diesem oder jenem Promoter, Labelchef oder gar Künstler bringen könnten. Meine Idee von Journalismus war immer die folgende: es passiert etwas, ich gehe hin, frage nach, schreibe es auf und fertig. So lief das in meiner bis dato recht erfolgreichen Karriere als freier Mitarbeiter für den Hohenlimburger Teil der »Westfalenpost« ab. Wenn ich da mal mit jemandem nicht einer Meinung war, dann war das eben so.

Im ersten und zweiten Jahr meiner Laufbahn als freier Schreiber für »Juice«, »hiphop.de«, »16bars.de« und »allesreal.de« schrieb ich auch genau so weiter, wie ich es gelernt hatte – man kann das alles noch im Internet nachlesen. Aber dann zog ich 2011 nach Berlin und es war alles sehr schnell sehr anders. Hätte mich noch mal jemand gefragt, ob ich Kontakt zur Szene habe, ich wäre in schallendes Gelächter ausgebrochen.

Kein halbes Jahr nach meiner Ankunft in der Hauptstadt war ich mit allen wichtigen Promotern auf per-du-Basis verbandelt, man lief sich am Abend bei Konzerten und Showcases über den Weg. Und nicht nur das: ich ging mit angesagten Produzenten Mittagessen und hing anschließend in deren Studios herum, zog mit Rappern bis in die Morgenstunden durch die Clubs, begleitete sie auf Tour und so weiter und so fort.

Wenn ich mir meine Texte aus dieser Zeit ansehe, dann fällt mir zweierlei auf: Sie wurden besser, weil ich so nah dran war wie kaum sonst jemand und weil ich es gleichzeitig mit viel Fingerspitzengefühl schaffte, die allzu intimen und privaten Dinge außen vor zu lassen. Das kam gut an – bei den Protagonisten der Geschichten und bei den Lesern. Aber ich merkte auch: es passierte etwas, wenn ich mal nicht so wohlwollend war. Schrieb ich weniger nett, war schnell jemand anderes für die nächste Geschichte über den Künstler zuständig.

Die logische Konsequenz für mich als selbstzweifelnder Nachwuchsschreiber mit Weltübernahmefantasien: Irgendwann schrieb ich nur noch nett – und als ich mir endgültig einen Namen gemacht hatte, pickte ich mir schließlich nur noch diejenigen Sachen heraus, die ich gut fand und über die ich folglich guten Gewissens schreiben konnte, um nicht mehr in Teufels Küche zu kommen. Ehe ich mich versah, war ich 2012 und 2013 mittendrin in einem Befindlichkeits-Brainwash erster Güte.

Mittlerweile habe ich ein bisschen Abstand von all diesem Gruppengekuschel gewonnen – und bin froh darüber. Zwar schreibe ich meist immer noch über Veröffentlichungen, die mir gefallen. Über Themen, von denen ich glaube, eine besonders eloquente Lobhudelei bringe einen Mehrwert für alle. Aber ich erlaube mir durchaus auch wieder kritische Töne. Das geschieht zwar auch bei meinen Kollegen dann und wann – aber die Interviewslots für QVC-artige Verkaufsgespräche mit den Künstlern im Zuge derer Albumveröffentlichungen erscheinen mir dort in den allermeisten Fällen deutlich großzügiger geblockt.

Auch ich bin in Gesprächen mit Künstlern nicht auf Krawall gebürstet. Aber ich recherchiere, gehe in die Tiefe, frage Nichtgefragtes und mache mir im Vorhinein Gedanken, welche Offensichtlichkeiten auch dem hinterletzten Leser oder Zuschauer schon bekannt sein dürften. Ich erwarte auch gar nicht, dass jeder Rapper komplett auseinandergenommen wird und sich einem Fragenkatalog voller Falltüren stellen muss. Aber oft – nicht immer! – passiert bis auf das simple Abklappern der im Pressetext aufgelisteten Biografie-Facts, dem Fragen nach Featuregästen und Produzentenlisten oder Smalltalk über Aufderhandliegendem nicht sonderlich viel. Und sollte es unerwarteterweise doch mal zu etwaigen Stimmungsschwankungen kommen, wird auf Seiten des Fragenstellers sofort wieder in die Rolle des lobhudelnden und Süßholz raspelnden Höflings geschlüpft.

Wenn es mal wirklich kritisch oder brisant wird, dann allerhöchstens bei dem neuesten HipHop-journalistischen Clou: den Fanfragen. Die eignen sich nämlich vortrefflich dazu, alle Schuld für eventuell Unangenehmes auf die sich hinter unlesbaren Usernamen versteckten Fans abzuwälzen. Frei nach dem Motto: »Also das steht hier so! Kann ich nichts für, wenn du dir jetzt auf den Schlips getreten fühlst!« Alles schön und gut. Kann, muss aber nicht. Und vor allem sollte man das dann weder HipHop- noch Sonst-wie-Journalismus nennen.

Aber: Ich mache es selbst oft nicht besser. Und wenn doch, dann passiert etwas wie vor einigen Wochen. Ich bekam eine E-Mail von einem Berliner Rapper – ich hatte das Album von ihm und seinem Partner für ein Berliner Stadtmagazin rezensiert und es als nicht besonders gelungen bewertet. In seiner aufgebrachten Mail stand zusammengefasst: Die Arbeit, mir eine Vorabversion des Albums zur Rezension hochzuladen, hätte man sich gar nicht machen müssen, wenn man gewusst hätte, dass ich nur Schlechtes über die Musik schreiben würde.

Ich habe irgendwo mal gelesen, dass man als Journalist nur das schreiben solle, was man demjenigen, um den es geht, auch ins Gesicht sagen würde. Ich finde, das ist ein ganz guter Leitsatz. Beherzigt man das, dann kann eigentlich nicht viel schiefgehen. Auf beiden Seiten. Natürlich konnte ich seinen Unmut über meine Rezension irgendwo verstehen. Man steckt Arbeit in ein Album und ist bei der Veröffentlichung davon überzeugt, dass es sich dabei um etwas sehr Gutes handelt.

Aber am Ende des Tages ist es ja so: jemand nimmt ein Album auf, macht es der Öffentlichkeit zugänglich und sollte damit im Umkehrschluss sowohl mit den positiven wie auch negativen Meinungen dazu umgehen können. Denn die wird es geben. Ich höre mir solch ein Album also an, um es anschließend nach meinem eigenen Empfinden und unter Berücksichtigung meiner eigenen Eindrücke – ganz subjektiv – zu bewerten. Und dabei sollten äußere Umstände, wie die Freundschaft zwischen Journalist und Promoter oder Künstler, die Saufgelage oder sonstige Vorzüge, natürlich keine Rolle spielen.

Die Frage ist: Wollen wir das? Wollen wir eine HipHop-Szene, in der eine ernsthafte journalistische Auseinandersetzung mit der Kunst – also der Diskurs, die Diskussion oder Draufsicht – möglich ist? Ich finde schon. Wir sollten die kritische Auseinandersetzung mit HipHop – egal, ob in Form von Interviews, Rezensionen oder Diskussionen – nicht immer anderen Medien überlassen. Denn sonst haben wir es unter Umständen jede Woche aufs Neue mit einem schlecht recherchierten »Handelsblatt«-Artikel oder ähnlichem zu tun. Und bloß, weil mal ein Journalist etwas an einem Künstler auszusetzen hat oder umgekehrt, muss man nicht gleich wutentbrannt vor irgendwelche Haustüren fahren.

Man kann das auch einfach so handeln, wie Daniel Gerhardt es weiter oben schon beschrieben hat. Nämlich wie Menschen, Kollegen, Freunde oder Geschäftspartner, die sich gegenseitig schätzen, aber auch ein wenig Kritik vertragen. Gerade jetzt, wo wir uns alle so gut verstehen.

Bild: Sophie – »holliday in melsbroek« (modif.) / Lizenz: CC BY 2.0