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#shitpeoplewrite

Der Knast- und Krawallrapper ist zurück!

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Für ein paar Wochen sah es tatsächlich so aus, als würde dem Jahr 2014 in Deutschraphausen ein ungewohnt harmonischer Ausklang zuteil. Spätestens die unerwartete Einigkeit, die Haftbefehl und »Russisch Roulette« in Feuilletons wie Popkritik entgegen schwappte, und die vom geschätzten Marc Dietrich hier treffend analysiert wurde, hinterließ den Eindruck, es könnte sich tatsächlich etwas geändert haben: Da war er zu erahnen, der abstraktionsfähige und respektvolle Umgang mit Gangsta-Rap als künstlerischer Form. Aber nur kurz. Das kommt eben davon, wenn man sich zwei Wochen vor Abpfiff schon in Sicherheit wiegt.

Nachdem Bushido in den letzten Tagen mit unappetitlichen Geschichten über häusliche Gewalt wieder die Boulevard-Titelseiten erklimmt, die das Etikett des Rüpeltums ohnehin nie eingemottet hatten, meldet sich jetzt ausgerechnet das Handelsblatt zu Wort, um seinen Leserinnen und Lesern unter der Überschrift »Mit Knast und Krawall an die Musik-Millionen« zu erklären, wie HipHop funktioniert. Nun sollte man längst gelernt haben, dass ein Artikel, der schon im ersten Absatz die Formulierung »Bushido & Co.« anstrengt, keine besonders differenzierte Sichtweise verspricht. Aber auf was für einem absurden Niveau dann von Autor Stefan Kreitewolf, Masterstudent Politik- und Medienwissenschaften, im Folgenden gegen die »Rapper-Szene« argumentiert wird, ist schon bemerkenswert.

Nachdem eingangs pflichtschuldig Bushidos Historie von »Körperverletzung, Beleidigung und Hass-Rap« und seine mutmaßlichen Unterwelt-Kontakte durchgehechelt werden, geht es nämlich nach der geradezu Ulrich-Meyer-esken Wendung »ein prominenter Extremfall, aber kein Einzelfall« um das allgemein von der »Szene« gepflegte Image. Das stellt sich für Kreitewolf wie folgt dar:

»Die Hosen hängen tief, die Mützen sitzen schräg und der Kopf nickt zum Beat: ›Ich brech‘ dir dein Genick, Nigger‹, ›Lass‘ es schmerzen‹ oder ›Kugel in deinem Kopf‹. Diese aus dem Englischen übersetzten Songtitel sind die Hymnen einer Subkultur.«

Und da – wir sind erst im zweiten Absatz des Fließtextes – wird es schon schwierig. Denn die knalligen Songtitel, die Kreitewolf aus dem Hut zaubert, gibt er nicht im Original wieder. Wir können also nur mutmaßen, was gemeint ist. »Break Ya Neck« von Busta Rhymes, in dem ausschließlich durch übertriebenes Kopfnicken Genicke knacken sollen? »Make It Hurt«, ebenfalls von Busta Rhymes, das nichts als Tanzkommandos gibt? Und dann sogar »Bullet In The Head« von – die Älteren werden sich erinnern – Rage Against The Machine, ein explizit medienkritischer Song einer politischen Band? Diese Songs aus dem Zeitraum 1992 bis 2001, so sie denn gemeint sind, zur Argumentation heranzuziehen, darf schon als Satire-Glanzstunde gelten.

Kreitewolf ackert munter weiter: »(…) immer mehr Rapper landen in Deutschland vor Gericht. Erlebt der Gangsterrap, der in den 1990er-Jahren in den USA eine Welle der Gewalt auslöste, in Deutschland eine Renaissance? (…) wer im Hip-Hop was auf sich hält, sucht die Konfrontation. Und wer mit Verbrechen und Gewalt auffällt, der gewinnt ›Street Credibility‹ (…). Von Graffiti über Raub, Drogenmissbrauch bis zu illegalem Waffenbesitz gehört in der Szene eine lange Liste an Straftaten zum guten Ton. Das hat sich seit 25 Jahren nicht geändert.« In diesem Wirrwarr aus Behauptungen, Mutmaßungen und Suggestivfragen bleibt völlig offen, welche Quellen der Autor über die Anzahl der Rapper vor Gericht hat, welches Wissen dem vermeintlichen Kausalzusammenhang zwischen Gangsta-Rap und Gewalt in den USA zugrunde liegt, oder was Kiffen und Malen mit Raub und illegalen Waffen verbindet. Und das schon seit 25 Jahren.

Damit aber nicht genug der willkürlich beschlossenen Wahrheiten Kreitewolfs. So stellt er Sidos jüngste Anklage wegen Körperverletzung ausschließlich als kalkulierten Promo-Schachzug für dessen letztes Album dar, und sogar Xatars Goldraub entsprang 2009 offenbar nur der Bereitschaft des Rappers, für seine »Glaubwürdigkeit (…) bis zum Äußersten zu gehen«. Seit seiner Verurteilung rufe Xatar »nicht mehr zu Straftaten, sondern zum Gang in die Moschee auf. (…) Prompt fielen seine Verkaufszahlen in den Keller.« Gefühlte Rapperbiografien in ein paar Zeilen.

Natürlich bleibt uns nicht erspart, dass Haftbefehl heute zwar »angeblich straffrei« sei, sich aber mit dem Mörder von Tugce A. habe fotografieren lassen, und natürlich geht es immer wieder um »die selbsternannten Ghettokids mit den tief hängenden Hosen.« Eine tiefe Ignoranz der Historie von HipHop zieht sich durch den ganzen Artikel: Mehrmals wird impliziert, die »Anfangsjahre« seien vor etwa einem Vierteljahrhundert zu verorten, als »Anfang der 1990er-Jahre ein Krieg zwischen rivalisierenden ›Crews‹ [tobte], wie die Hip-Hop-Gruppen auf der anderen Seite des Atlantiks genannt werden«. Wenngleich also »Glammer-Gangster« (sic!) wie Snoop Dogg heute »ein relativ sicheres Leben« führen: HipHop ist untrennbar mit (Gang-)Gewalt verbunden. Auf dieser Prämisse beruht der ganze Artikel.

Vollends haarsträubend wird dieses Manifest des Achtelwissens durch Info-Kästchen über die »zehn erfolgreichsten Rapper«. Unter den deutschen Top 10 finden sich neben Bushido und Haftbefehl auch Cro, Die Fantastischen Vier, Freundeskreis, die Beginner und Casper, aus den USA werden Run-DMC, die Beastie Boys und Busta Rhymes aufgelistet. Ungeklärt bleibt nicht nur, um welches Jahrzehnt es gerade geht, sondern vor allem, wieso niemand über die völlig offensichtliche Diskrepanz zwischen solchen Beispielen und dem hoffnungslos eindimensionalen HipHop-Bild stolpert, das Kreitewolf hier zeichnen darf, wenn er schreibt: »(…) trotz dieses Riesenerfolgs konnte der Hip-Hop seinen zwielichtigen Charakter konservieren.« Immerhin dazu leistet er einen wertvollen Beitrag.

Dass diese Art der Berichterstattung, die in ihrer Uninformiertheit und offenkundig aggressiven Abschätzigkeit einem »PEGIDA«-Pamphlet in nichts nachsteht, auch im Publikum des Wirtschaftsmagazins auf fruchtbaren Boden fällt, offenbart ein kurzer Blick in die Leserkommentare:

  • »Kriminelle als Vorbilder für die Migranten – bloss nicht Deutsch werden !! Die Politik unterstützt das nach besten Kräften auch noch. Pfui !!!«
  • »Was sind das wohl für Typen, die solche CD`s kaufen und auch noch für Veranstaltungen solcher Art Eintritt bezahlen.???
    Hier sollte man überwachen.«
  • »Bushido u. die gesamte kriminelle Abu Chaker Großfamilie gehören in Berlin hinter Gitter. Da passiert aber bei der Berliner Justiz nichts … man möchte kein Nazi sein. (…) Ich hoffe nur, dass sich einige Deutsche finden, die das Problem geräuscharm u. nachhaltig lösen!«
  • »Solche Typen sind im toleranten Deutschland herzlich willkomen. Pegida verwundert die Betroffenen, Geschädigten und Opfer solcher Typen nicht mehr. (…) Die Gewahrsamsbücer der Polizei (Festnahmebuch) sind voll von den Namen Bushido & Co. Komisch, die Namen Hannah Lena, Maiximilian, Sebastian kommen darin seltender vor.«

Nach all diesen Eindrücken erlaube ich mir in meiner letzten #shitpeoplewrite-Kolumne vor Weihnachten ein paar persönliche Worte zum Schluss:

Liebe Kommentatoren, lieber Autor: mögen eure Kinder euch am Heiligabend »Russisch Roulette« vorspielen, bevor sie eure Enkelkinder auf den Namen Bushido taufen. Auf den geräuscharmen, nachhaltigen Untergang des popkulturellen Abendlandes.

Update vom 23.12.2014: Der im Text oben verlinkten Handelsblatt-Artikel wurde inzwischen mehrfach nachträglich editiert, ist aber im Original noch via archive.org abrufbar. Ralf Theil hat die weiteren Entwicklungen seit dem Erscheinen dieser Kolumne in diesem Kommentar zusammengefasst.

Bild: Everjean – »shit« / Lizenz: CC BY 2.0