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Breitenwirksamer Rap ist immer noch eine Anomalie

Rock am Ring_Marteria

»Die Sugar Hill Gang kennen die meisten Hip-Hopper vielleicht auch heute noch. Wenn man aber auf einem Materia- oder Cro-Konzert nach Afrika Bambaataa, Kurtis Blow oder Fab Five Freddy fragt, würde die Ausbeute schon deutlich magerer ausfallen.« Hach, so viele schwierige Vermengungen und Verwechslungen sprechen aus diesen zwei Sätzen, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen möchte. Und dann schreibt Moritz Piehler ernsthaft immer noch »Materia« und keiner merkt es. Vorweg: die Zeilen stammen aus einem »Spiegel Online«-Artikel über das Buch »Hip Hop Family Tree«, und dass der Artikel und sein Subjekt existieren, ist super. Aber darum geht es gar nicht, sondern nur um diese ersten Zeilen.

Es sind leichte logische Verrenkungen nötig, um diesem Einstieg zu folgen und die zwei Thesen nachzuvollziehen, die er impliziert. Erstens: Menschen auf Konzerten eines heute erfolgreichen Rappers wie Cro oder Marteria kennen eher die Sugarhill Gang als Kurtis Blow oder Afrika Bambaataa. Zweitens: Menschen auf Konzerten von Cro oder Marteria sind repräsentative »Hip-Hopper«. Und das ist beides Quatsch.

Man muss sich nur mal in Ruhe die Zuschauer ansehen, wenn Marteria bei Rock am Ring einen KO-Sieg abräumt und Cro mal eben sein eigenes Festival erfindet. Begeisterung für so einen Rap-Künstler hat längst nichts mehr mit HipHop im klassischen Sinn zu tun, sondern folgt gängigen Pop- und Rock-Mechanismen, für die nachrangig ist, ob da gerade gerappt oder gesungen wird, ob ein DJ scratcht oder nicht. Dass solche Künstler mit unbestreitbarem HipHop-Hintergrund diese allgemeingültigen Mechanismen inzwischen besser beherrschen als die Festival-Headliner-Generation vor ihnen, sollte für HipHop-Theoretiker immer noch ein Grund zur Freude sein, ist für die Rezeption der Fans aber einfach nicht entscheidend.

Im popkulturellen Angebot unserer Zeit gibt es gar keinen Punkt mehr, an dem ein – bleiben wir beim Beispiel – Cro-Fan zwischen elf und 21 so etwas wie »Rapper’s Delight« und »The Breaks« in einem HipHop-Kontext erleben müsste. Beides sind nur noch kontextbefreite Fetenhits der Größenordnung »It’s Raining Men«. Aber mit der nötigen Dosis Neugierde kann man auch anhand heutiger Beispiele etwas lernen: Statt »Rockit« ist jetzt vielleicht eine Marteria-Show der Moment, an dem viele Kids zum ersten Mal in ihrem Leben Scratches hören, und »Easy« der Song, der ihnen das Prinzip Sampling erklärt.

Wo wir gerade dabei sind: es gibt ein neues Album von Cro. Das wisst ihr wahrscheinlich schon. Die »Nürnberger Nachrichten« decken anlässlich dessen erst mal ein Geheimnis auf: »In ›Easy‹ tauchen übrigens Motive des Evergreens ›Sunny‹ von Bobby Hebb auf, bestätigt Cro.« (Quelle) Insgesamt, so legt die Lektüre zahlreicher Interviews und Rezensionen nahe, scheint es schwer zu sein, Substanzielles über »Melodie« zu schreiben. Da muss sich der Qualitätsjournalist eben behelfen.

Die »FAZ« löst das im Gespräch mit »Sänger Cro« mit Geplänkel über Frauen und Träume. Die »Süddeutsche Zeitung« hingegen packt markige Feststellungen aus: »Mit seiner Entspanntheit sorgte er dafür, dass Rap endgültig im Mainstream angekommen ist« – jetzt, aber erst jetzt ist es also endgültig, das ist gut zu wissen – und: »Zusammen mit Materia belebt Cro dieses Jahr damit endgültig ein Genre wieder, für das Stuttgart bekannt ist: Rap für Menschen, die keinen Rap mögen.« (Quelle)

Fassen wir also zusammen, was seit diesem Jahr wirklich richtig endgültig ist: Niemand kann »Marteria« richtig schreiben. Breitenwirksamer Rap ist immer noch eine Anomalie und muss mit einer Distanz zu dem anderen, eben dem normalen Rap erklärt werden. Und alle kommen sie aus Stuttgart.

Hauptsache ist doch, »die Texte funktionieren ohne Fotze und Bitch, es wird nicht gedisst, sondern mit viel Wortwitz gepunktet.« Äh, warte. Nee. Das waren andere Stuttgarter. Aber vielleicht kennen deren Fans wenigstens Kurtis Blow.