Cro »Wartet kurz! Ich brauch noch einen Moment.«
Das letzte Mal traf Jan Wehn Cro 2012 zwischen »Easy«-Hype und den Arbeiten an seinem Debüt »Raop«. Fünf Jahre später ist alles anders. Ein Ortsbesuch in Cros 17-Zimmer-Villa mit Blick über Stuttgart.
Die Stuttgarter Innenstadt an einem Donnerstabend im April 2017. In der Nacht von Gründonnerstag auf Karfreitag hängen die jungen, junggebliebenen und sich nach dem Jungsein sehnenden Menschen vor den Bars und Clubs der Stadt ab. Einerseits weil der laue Frühlingsabend es zum ersten Mal in diesem Jahr erlaubt, dem Hedonismus unter freiem Himmel zu frönen, andererseits weil es in den Läden um diese Uhrzeit schon proppenvoll ist. Überall prostet sich die Stuttgarter Schickeria aus Studenten und Sonderlingen mit ihren in Kupferbechern angerührten Moscow Mules zu und brüllt gegen Musik und Stimmengewirr an.
Zwischen diesen ganzen Leuten lehnt Cro an der Theke. Wobei, vermutlich ist es eher Carlo Waibel. Er angelt gerade ein abgegriffenes Portemonnaie aus der Hosentasche, um seinen eben nach endlosen Minuten des Wartens bestellten Wodka-Soda zu bezahlen. Er langt mit seinen Fingern in die Geldbörse und holt einen 50-Euro-Schein heraus. Der erste Gedanke, der einem durch den Kopf schießt: Was sind diese 50 Euro für ihn noch wert? Der zweite: Wieso erkennt eigentlich keiner dieser angesoffenen Alleschecker, dass gerade einer der erfolgreichsten deutschen Popstars unter ihnen weilt?
Vielleicht, weil man schon sehr nah herangehen müsste, um die Schlitze zu sehen, die er in die Kapuze seines Pullovers geschnitten hat, damit die felligen Ohren seiner Pandamaske hindurchpassen. Vielleicht weil seine Hauptzielgruppe um diese Zeit schon im Bett ist und nicht betrunken durch die Stuttgarter Innenstadt schlendert. Vielleicht weil niemand Dank Smartphone und Google-Bildersuche den Kieferknochen-Gegencheck gemacht hat. Blicke erntet er nur, weil Carlo Waibel einfach ein unglaublich gutaussehender Typ ist. Einer, den man gerne mal anguckt. Die Pandamaske, so lächerlich, kindisch und outdated man sie fünf Jahre nach Cros Erscheinen auf der Bildfläche auch finden mag, hat ihren Zweck definitiv erfüllt.
Aber der Reihe nach.
2012 bekam ich eine Mail vom damaligen »Juice«-Chefredakteur Stephan Szillus. Ob ich nicht Lust hätte, für die kommende Titelstory Cro in Stuttgart zu besuchen. Ich hatte. Der Text war das Protokoll einer Begegnung, der Versuch eines Blickes hinter die Pandamaske. Ich beschrieb Cros Aussehen und seine Art, ließ ihn, aber auch seinen DJ Psaiko.Dino und einen Teil der Chimperator-Chefetage zu Wort kommen. Ich spürte der Faszination für Cros Musik und ihrer Leichtigkeit nach, suchte Erklärungsansätze für seinen immensen Erfolg und konnte doch nicht im Ansatz ahnen, was in den Jahren darauf passieren würde.
Das volle Programm
In kurz: Cro lehnte alle Major-Angebote ab und entschied sich, das Ding ausschließlich mit der Chimperator-Fam und einem Vertriebsdeal bei Groove Attack durchzuziehen. Im Sommer 2012 erschien sein Debütalbum »Raop«. Es folgten: Bundesvision Song Contest-Teilnahme, »Wetten, dass…?!«-Auftritt, noch ein Album, Werbedeals mit McDonald’s, der Telekom, Mercedes und Adidas, ein MTV Unplugged mit Prinzen-Cameo und im letzten Jahr sogar ein Kinofilm mit Til Schweiger – das volle Programm also.
Klar, dass fünf Jahre später alles anders ist. Das merkt man schon, wenn man sein Auto an der vielbefahrenen Straße oberhalb von Stuttgart abstellt und den Klingelknopf der Villa drückt, in der Cro mittlerweile wohnt. Er hat das Anwesen von einer Firma gekauft, die in den 17 Zimmern vorher Apps entwickelt hat. 2012 vor dem Release seines ersten Albums hatte Cro in einem Interview mal gesagt: »Ich kauf mir doch keine Villa. Wann soll ich mir eine Villa kaufen? Von welchem Geld? Ich habe schon das Ziel: Irgendwann wohne ich auf einem Hügel mit Blick auf die Stadt.« Aus »irgendwann« ist das Jahr 2017 geworden.
Die große Frage ist ja, wie es fünf Jahre nach dieser gigantischen Karriere in Cros Leben und auch in ihm selbst aussieht. Was macht das mit einem Menschen, wenn er hunderttausende Platten verkauft, jeden Abend vor einem Lichtermeer aus Smartphonescheinwerfern immer und immer wieder die gleichen Songs performt, sein maskiertes Gesicht für lukrative Werbedeals hergibt, jeder sein Freund sein will und man irgendwann nicht mal mehr seinen Kontostand weiß. Dreht man ab? Oder durch? Lässt einen das kalt? Macht das Druck? Der Besuch bei Cro soll Antworten auf diese Fragen geben – nicht durch stumpfes Nachfragen, sondern das Dabeisein.
Cros Studio befindet sich gleich neben der Eingangstür. Der Raum, dessen großflächige Erkerfenster den Blick auf ganz Stuttgart freigeben, ist bis oben mit Keyboards und Synthesizer der Marken Roland und Wurlitzer vollgestellt. An den Wänden lehnen ebenso viele Gitarren und Bässe. Darüber hängen bemalte Leinwände mit Motiven, die aufmerksame Verfolger von Cros Instagram-Account kennen dürften. Auf einem raucht eine Frau einen Joint, der wie eine Karotte aussieht. Ein Teil der Wand ist mit Tafelfarbe bemalt, darauf hat Cro mit schneller Schrift eine vorläufige Tracklist seines kommenden Albums gekritzelt.
In den Ledersesseln und fluffigen Sofas lümmeln eine ganze Menge Leute. Unter ihnen ist auch Cro, der sich in einem olivgrünen, ausgeleierten Shirt, extraweiter Jogginghose und Socken auf einem übergroßen Chefsessel fläzt. Mit offenen und grinsenden Mündern starren er und seine Jungs in die Mitte des Raumes. Dort steht nämlich Jerry »Wonda« Duplessis und lässt seine Finger über die Saiten einer Akustikgitarre fliegen, während am Bildschirm in seinem Rücken zu erkennen ist, wie sich das Gespielte in eine aufgenommene Wellenform verwandelt.
Jetzt will Jerry E-Gitarre spielen
Jerry Wonda ist natürlich kein Unbekannter. Er hat »The Score« von den Fugees produziert. »Maria Maria« von Carlos Santana und The Product G&B, »Hips Don’t Lie« von Shakira – gehen beide ebenfalls auf seine Kappe. Er hat mit Whitney Houston, Mary J. Blige, Justin Bieber und Keri Hilson gearbeitet. 1996 war Jerry Wonda das erste Mal mit den Fugees in Stuttgart, mehr als 20 Jahre später steht er in Cros Studio und zockt eine geile Melodie nach der anderen ein. Der Kontakt kam über die Jugglerz, ein Dancehall-Reggae-Soundsystem/Label aus Stuttgart, und Orsons-DJ Jopez zustande. DJ Meska von den Jugglerz und Jopez, die ebenfalls anwesend sind, kriegen das Grinsen gar nicht mehr aus dem Gesicht. Cro springt auf, steigt auf seinen Sessel und packt sich ungläubig an den Kopf. Dann setzt er sich wieder, dreht sich in Richtung Rechner und öffnet ein neues Projekt.
»Give me a click!«, ruft Jerry. Gemeint ist das Metronom. Cro schaltet das taktgebende Gerät an und Jerry spielt umgehend einen vertrackten Basslauf ein, zu dem Cro wiederum auf seinem Synthesizer jamt. Jerry steht währenddessen hinter ihm und spielt die imaginären Tasten auf dessen Schultern. Anschließend stottert und kauderwelscht Cro durch den Schlauch der Talkbox eine Melodie dazu. Mit der Maus wird aus dem Sample-Archiv ein rumpelnder Drumloop in das Projekt gezogen.
Jetzt will Jerry E-Gitarre spielen. Cro kramt in einer Kiste mit Kabeln herum und sucht das passende Verbindungsstück heraus, hockt sich vor das Rack mit den Konsolen und verkabelt alles fachgerecht. Er ist heute Abend alles in einer Person: Engineer, Aufnahmeleiter, Vocalist, Produzent – und in seiner Funktion als Producer klingen ihm die gerade geschlagenen Saiten noch zu »dreamy«. Er will, klar, lieber den Santana-Style. Also noch mal von vorne. Cro schnappt sich einen klobigen Camcorder, der neben dem Bildschirm liegt und filmt den sich verausgabenden Jerry. Dann schmeißt er das Gerät wieder in die Ecke, schnappt sich ein Mikrofon und summt auf einmal diese Melodie, von der man nicht weiß, wo sie genau jetzt herkommt, diesen Gedanken im nächsten Moment aber gleich wieder verwirft, weil sie sich so perfekt ins Arrangement fügt. Und während beide immer mehr in ihre Zone und die Sonne hinter den Bergen am Horizont versinkt und den Frühlingshimmel in lilagelbe Farben taucht, wird aus dem, was eben noch wie eine spontane Jam-Session klang, jetzt ein richtiger Song.
Es entsteht eine kurze Pause. Die Deckenbeleuchtung im Studio wird angeschaltet, der rote Schein liegt auf den Gesichtern. Jerry holt seinen Rechner heraus und spielt ein paar unveröffentlichte Songs vor, die er in der letzten Woche gemeinsam mit Joey Bada$$ aufgenommen hat. Er könnte sich Cro gut auf einem der Songs vorstellen. Cro hört sich die Tracks an. Ein paar scheinen im zu gefallen, aber als die Bässe zu drückend und die Drums zu wuchtig und klappernd werden, muss er lachen und widmet sich wieder der Skizze von eben.
Weißwein macht die Runde
Kaas und Bartek von den Orsons kommen spontan vorbei. Weißwein macht die Runde, Cro trinkt Whisky der Marke Speyburn, der – wie eine kurze Onlinerecherche ergibt – in jeder gut sortierten Aldi-Süd-Filiale zu finden ist. Als unten im Tal die Laternen und Lichter der Stadt angehen, widmet sich Cro dem nächsten Projekt. Arbeitstitel »Computiful«. Ein 12-minütiger Song, der sich um Liebe und Oberflächlichkeit in Zeiten des Internets dreht. Cro rappt mit, spult zurück, rappt noch mal mit, hält inne und beginnt schließlich am Arrangement zu feilen. Schon per Mail hatte man mit gesagt, dass Cro jetzt in der entscheidenden Phase des Albums meist um 12 Uhr aufsteht und bis 4 Uhr in der Früh produziert.
Als wäre niemand außer ihm im Raum, widmet sich Cro dem unfertigen Song. Er feilt hier an einer Note und dort an einer Drum. Woher er das Gespür und Gefühl für diese Feinheiten nimmt, weiß er selbst nicht so genau, wird er später sagen. Es ist, als ob sein siebter Sinn für sich in Gehörgänge windende Ohrwurm-Hooks beinahe spielerisch auf die Bauweise seiner Beats und deren Eingängigkeit überträgt. Wie sonst vermutlich nur noch Ahzumjot spielt Cro sein Talent in die Karten, nicht einfach nur Raps zu schreiben, sondern auch seine Beats selbst zu produzieren. Schon an »Computiful« merkt man, dass er die Symbiose aus Text und Ton seit »Melodie« perfektioniert hat. Gegen dieses Arrangement wirken die Beats der ersten beiden Alben fast schon seelenlos.
Cro reagiert erst wieder, als sein Bruder zum Essen ruft. Benno Waibel ist mittlerweile Cros Manager und vor anderthalb Jahren gemeinsam mit Cro in die Villa gezogen. Während unten Musik gemacht wurde, hat er oben auf der Terrasse den Grill angeschmissen. Gegessen wird überall. Auf der Terrasse, die Benno auch zum Gemüseanbau nutzt, in der Küche und im Wohnzimmer an einem aus Massivholz gefertigten Baumkanten-Tisch. Auch in diesem Raum gibt die verglaste Fensterfront wieder einen Blick auf das Stuttgarter Panorama frei, davor bilden große Kissen eine riesige Liegefläche. Auf der schwarzen Wand steht in weißer Kreide »Stärke heißt Schwäche zeigen // Unendlich groß wird nur, wer Grenzen nicht akzeptiert, aber seine eigenen kennt.«
An den Wänden hängen Bilder, die Cro selbst gemalt hat. Eine glatzköpfige Frau mit verformten Extremitäten und Schlauchbootlippen, die von einem Mann im Arm gehalten wird, während sie mit einem gehörnten Monster kopuliert. Auf einer anderen Leinwand schießt ein greller Regenbogen aus einem behaarten Hintern. Weitere Motive: Eine deformierte Pocahontas und eine Figur, die sich – halb barbusige Frau, halb Tiger – lasziv auf dem zerlaufenden Käse eines Pizzastückes räkelt. Auf einer Kommode liegen unzählige Sonnenbrillen, daneben eine lebensgroße Batmanfigur, der eine Eselsmaske übergestülpt wurde.
In einer Ecke hat Cro eine Staffelei aufgestellt. Auf dem Boden davor liegen Dosen, Tuben und Eimer mit Farben. Ein Regal ist mit Büchern vollgestellt: Bücher über Logodesign, Seidenmalerei und Textilgestaltung, »Advertising Now. Print« von Julius Wiedermann und Garth Risk Hallbergs New-York-Roman »City On Fire«. Daneben befindet sich ein separater Raum, in dem ein schwarz gelackter Flügel sowie eine Hohlkehle für Fotoshootings stehen und sich die roten Nike-Schuhkartons an zwei Wänden bis unter die Zimmerdecke stapeln.
Bartek hat jetzt Lust, eine der »Soundbombing«-Compilations zu hören. Wie sich rausstellt hat die Freundin von Jerry damals die Tracks zusammengestellt. Die Gespräche am Tisch drehen sich um alte DJ-Spinbad-Tapes, den endlos geloopten »In The Air Tonight«-Drumloop von Phil Collins und die korrekte Aussprache von XXXTentacion (Die richtige Antwort lautet übrigens: /ɛks.ɛks.ɛks.tɛn.təsˈjɒn).
Irgendwann begibt sich der gesättigte und gut angetrunkene Mob wieder eine Etage tiefer, wo Cro sich noch mal »Computiful« widmet. Während der Track im Loop läuft, balanciert er auf dem sich drehenden Stuhl hin und her und rappt jeden der Parts durch die Fensterfront des Raumes hinunter ins Tal. In seinem Rücken beugen Meska und DJ Jopez sich über ein Macbook. Sie haben an vier Songs auf dem Album »Mele7« des KMN-Mitgliedes Zuna mitgewirkt, aber die fertigen Songs nie gehört. Die Abnahme findet daher kurz nach 0 Uhr am Releasetag via Spotify statt. DJ Jopez verabschiedet sich, weil er ab 1 Uhr im 1210 auflegen wird. Jerry begleitet ihn. Dann kehrt langsam Ruhe ein.
Die Gläser werden wieder aufgefüllt
Die Gläser werden wieder aufgefüllt. Cro und Bartek sprechen über Jerrys Besuch. Anschließend geht es um die Klavierkünste von Kanye West, die Genialität hinter »Yeezus«, alten und neuen Arbeitsethos im Deutschrap, inflationäre Freestylefloskeln à la »Ich weiß ganz genau…«, lange Karrieren und kurze Hypes. Dann spielt Cro einen Song vor, den er mit RIN und Bausa aufgenommen hat. Ein mit karibischen Anleihen versehener Afrotrap-Beat, auf den die beiden Newcomer aus dem Stuttgarter Umland die obligatorischen weißen Lines legen. Es ist 1 Uhr und es geht mit zwei Taxen in die Stadt, wo Cros Schwester Jule ihren Geburtstag feiert.
Erkannt wurde Cro immer noch nicht. Mit dem Wodka-Soda in der Hand geht es wieder auf die Straße, wo alle miteinander anstoßen. Dann setzt der Feiertrupp sich in Bewegung. Jerry stößt wieder dazu und erzählt Cro von einem eigens für ihn angefertigen Bass, mit dessen Saiten er jedes beliebige Plug-In spielen kann. Der Plan: Sich eine Woche im Studio einschließen und einfach Musik machen. Plaudernd nähern wir uns dem Club 1210, aus dessen Innerem die »Insane In The Brain«-Bassline nach draußen dröhnt. »Hier hat alles angefangen«, sagt Cro. Hier habe Psaiko.Dino gearbeitet, hier seien die beiden auch das erste Mal gemeinsam aufgetreten – damals noch mit Pappmasken von Bushido und Thilo Sarrazin.
Beim Betreten massieren einem die Basslines von »Because I Got High« und »Mr. Greenthumb« die Magengegend, dann übernimmt Jopez – und legt ein astreines Best-of-Jerry-Wonda-Set auf: »Ready Or Not, »Gone Til November«, »Killing Me Softly« und »Maria«. Jerry steht mitten in der Crowd und feiert mit, ehe die Party kurz darauf wegen dem am Karfreitag herrschenden Tanzverbot kurzfristig beendet wird. Die gute Nachricht: Es geht weiter! Nur eine Straßenecke weiter, über dem Studio der Jugglerz, wo sich der Workspace eines befreundeten Künstlers befindet.
Auf dem gegossenen Boden stehen Farbdosen, halbfertige Plastiken und Werkzeugkästen herum, auf den Tischen liegen Cutter, Marker und Schraubzwingen. Es riecht nach Farbe. An den Wänden hängen gerahmte Leinwände und Fotos von zerdrückter Verpackungs-Folie, auf Podesten balancieren skurrile Landschaften aus dem 3D-Drucker. Aus den Boxen pumpt lauter Discohouse. Die Musik kommt von einem achtlos auf die Theke gelegten iPad auf dem gleichzeitig auch ein Porno läuft, in dem eine Frau einem Mann einen leidenschaftlichen Blowjob gibt. Auf die Frage was der Grund dafür sei, antwortet der Galerist, dass er den Film eigentlich mithilfe des Beamers an die Wand habe werfen wollen. »Zur Einstimmung«, wie er sagt.
Die Stimmung ist auch ohne Porno-Livescreening sehr gut. Durch die Zapfanlage eines Herstellers von braunem Kräuterlikör läuft eine Flasche nach der anderen. Überall wird geredet und geguckt. Ständig tritt irgendwo irgendwer zu nah an ein Bild oder eine Plastik und hantiert dabei eine Spur zu leidenschaftlich mit seinem überschwappenden Getränk herum. Der Assistent des Galeristen ist um Schadensbegrenzung bemüht, was ihm allerdings nur mittelmäßig gelingt.
Sorglos, naiv und ganz normal
Cro steht so unscheinbar zwischen den Gästen in der Galerie, wie er es vor einigen Stunden auch schon in der Bar getan hat. Er nippt an seinem Drink, raucht Zigaretten, guckt sich die Bilder und Skulpturen an und, ja, im Grunde war es das auch schon. Die Gespräche mit Cro drehen sich um dieses und jenes: seine Kindheit, Kunst oder Konzerte. Es sind so gewöhnliche Gespräche, dass es sich nicht lohnen würde, sie an dieser Stelle aufzuschreiben. Im Jahr fünf Jahr nach »Easy« scheint es, als ob Cro trotz 17-Zimmer-Villa, mehreren Millionen auf dem Konto und einer 1A-Popstar-Karriere im Grunde immer noch der gleiche ist: sorglos, naiv und ganz normal.
Um 6 Uhr 30 ist die Party schließlich vorbei. Die Vögel beginnen zu zwitschern, die letzten Feiernden taumeln über die Straßen von Stuttgart. Das Taxi schraubt sich die Straßen hoch und hält schließlich wieder vor Cros Haus. Eine Führung durch das Haus endet kurzerhand vor dem geöffneten Dachfenster. Zigaretten werden angezündet und stumm bis zum Filter geraucht, während die Stadt unten im Tal langsam den Feiertag beginnt.
Gab es schon mal den Punkt, an dem Carlo keinen Bock mehr hatte Cro zu sein? Cro denkt nach. »Klar. Es gibt immer wieder diese Momente. Dann, wenn ab und an alles gleichzeitig auf dich einprasselt. Dann höre ich diese Fragen in meinem Kopf: Haben die Leute Spaß? Fühlen sie sich unterhalten? Und wer bin ich denn, dass ich mir darüber Gedanken mache? Ein Clown? Aber dann wird mir klar, dass ich mich eigentlich nur wieder auf meine Stärken konzentrieren muss. Tief durchatmen und alles reinstecken was man hat – das hat bisher immer gut funktioniert.«
Aber hat es wirklich so gut funktioniert? »Unsere Zeit ist jetzt«, der Film, den Cro im letzten Jahr gemeinsam mit Til Schweiger und Warner veröffentlichte, lockte nur wenige Besucher in die Kinos und war ein Flop. Wichtig war der Film für Cro trotzdem: »Er war der letzte Schnipsel, der das Konfettifass zum überlaufen gebracht hat. Schau mal, ich bin vier Jahre lang einfach nur gerannt. Wie Forrest Gump. Oder wie Crash Bandicoot. Ich bin immer nur weitergerannt, gesprungen und habe Coins gesammelt. Und irgendwann stand ich im Ziel, habe mich umgedreht und diese ganzen Leute hinter mir gesehen. Da habe ich gemerkt, dass es Zeit wird, mal durchzuatmen und zu zeigen, wer ich wirklich bin.«
Cro erzählt, dass sich seitdem vieles verändert hat. Sein Team sei größer geworden, habe sich verändert und verbessert. Außerdem seien die Gute-Laune-Tracks reflektierten Songs gewichen und vielleicht auch etwas gehaltvoller geworden. Am Anfang seiner Karriere sei er in diese Sache ja eher reingestolpert und habe eben vieles einfach mitgemacht. »Klar will ich den Leuten sagen ›Habt Spaß!‹, aber ich glaube manchmal, ich habe ein bisschen zu viel good Vibes verstreut. Ich habe jetzt Bock etwas mehr über den Typ hinter dem Ganzen zu erzählen.«
Das ist vermutlich die Antwort, die er den Journalisten jetzt in den wenigen Wochen vor Release ins Mikro diktieren wird. Aber verspürt er denn manchmal ganz ernsthaft Druck? »Voll. Ich bin 24/7 am machen. Ich gehe damit ins Bett, ich wache damit auf. Manchmal sitze ich da unten und denke, ich werde bekloppt. Ich spüre schon einen riesengroßen Druck, klar. Gefühlt stehen hinter den ganzen Fenstern, in denen da unten in der Stadt gerade die Lichter angehen, Leute, die hier hoch auf mich gucken, auf das Album warten und sagen: ›Schick ab! Schick ab!‹ Und ich denk mir: ›Wartet kurz! Ich brauch noch einen Moment, es fehlt noch ein Wort.‹«
Es ist ein Satz wie aus einem Drehbuch. Ein Satz, der klingt, als ob er auswendig gelernt sei. Ist er aber nicht. Seltsamerweise glaubt man Cro, dass er das alles, den Druck und die Last, genau so empfindet. Er klopft mit dem Feuerzeug auf dem Fensterbrett herum. »Ich bin voll nervös, wenn ich an das Thema denke. Ich hab schon Angst.« Ein Zug an der Zigarette, dann bläst er den blau-weißen Rauch in den dumpfen Morgenhimmel. »Aber sie treibt mich auch und das ist nicht nur negativ sondern positiv. Ich habe ja Bock auf das alles. Man muss nur lernen, die Angst in Kreativität umzuwandeln.«