A$AP Mob, Boy Better Know, Rebel Sound & Stone Love Red Bull Culture Clash 2014: Rebels siegen, A$AP geht unter
Jedes Jahr kämpfen vier große Soundsystems um den Sieg beim Red Bull Culture Clash. ALL-GOOD-Autor Stephan Szillus machte sich auf den Weg nach London.
Ein Donnerstagabend vor dem Earl’s Court Exhibition Centre im gleichnamigen westlichen Londoner Stadtteil. 20.000 Besucher sind in diesem Jahr gekommen, um dem Spektakel beizuwohnen, darunter ein für diese Veranstaltung ungewohnt hoher Frauenanteil, aber ein noch höherer Anteil an betrunkenen Jungs ohne T-Shirt. Die Hartgesottenen bestellen »Jäger-Bombs«, bei denen der Kräuterschnaps-Shot samt Plastikglas von der Bedienung in einem hohen Becher Red Bull versenkt wird. Der Rest kippt sich literweise Cider a.k.a. UK Äppelwoi hinter die Binde und freut sich des Lebens. Trotz britischem Pegel herrscht eine friedliche, verbrüdernde Stimmung.
Wer mit der jamaikanisch-britischen Soundsystem-Kultur nicht viel am Hut hat, dem könnte der Ablauf des Events erst mal Schwierigkeiten bereiten. Vier Soundsystems, die für jeweils ein Genre stehen – Grime, Reggae, Drum & Bass, HipHop – battlen in vier thematischen Runden gegeneinander. In einer Runde werden etwa ausschließlich eigene Dubplates gespielt, in einer anderen plündert man die Kataloge der Gegner. Dazwischen kürt das Publikum per Applaus den jeweiligen Rundensieger. Die Soundsystems sind auf vier Bühnen in gegenüberliegenden Ecken der Halle aufgebaut, daher befindet sich die Masse permanent in Bewegung. Manche unterstützen ein bestimmtes Team, viele andere sehen das Spektakel als einen einzigen großen Rave, den man am besten in der Mitte tanzend und in-sich-gewandt genießt.
Die vier Teams, die in diesem Jahr gegeneinander antreten, gehören zu den Besten ihrer Zunft: Boy Better Know, die Vorjahressieger und mit Skepta, Jammer, Wiley und JME das stärkste Grime-Team der Stunde. Stone Love, ein klassisches jamaikanisches Dancehall-System mit dem höchsten Altersdurchschnitt vor Ort – daher werden sie von BBK auch als »Stone Age« verhöhnt. Rebel Sound, ein neu gegründetes Konglomerat aus den Stadion-D&B-Giganten Chase & Status, Reggae-Altmeister David Rodigan und Jungle-Urgestein Shy FX. Und der A$AP Mob aus New York, der primär für den niedrigen Altersdurchschnitt der Gäste verantwortlich ist.
A$AP Rocky kommt in der ersten Runde auf einem Quad auf die Bühne gedonnert, ansonsten enttäuscht der Worldwide Mob aber mit bekifftem Playback und liebloser Performance. Allein die Gäste wie Danny Brown, die Piff Gang oder Everlast (für eine Live-Dubplate von House of Pain’s »Jump Around«) können die zahlreichen, extra für A$AP angereisten Fans ein Stück weit entschädigen. So richtig verstanden haben die Herren aus Harlem das Konzept des Events leider nicht.
Die leicht antiquierte Reggae-Selection von Stone Love spielt, wenn man ehrlich ist, ebenfalls nur eine kleine Nebenrolle. Einige der DJs sind offenbar an den Einreisebestimmungen des Vereinigten Königreichs gescheitert. Der Rest bemüht sich redlich und spielt gute Musik, allerdings fehlen die unterhaltsamen Höhepunkte.
Boy Better Know ruhen sich ein bisschen zu sehr auf dem Status als Lokalhelden und Vorjahressieger aus, allerdings hat sich immerhin Wiley entgegen anderslautender Gerüchte tatsächlich auf den Weg nach Westlondon gemacht. Außerdem bringen sie Lethal Bizzle auf die Bühne, der mit seinem Grime-Klassiker »Pow (Forward)« abräumt, sie freestylen sich auf klassischen Riddims wie »Woo« einen Wolf und bringen mit ihren Tänzerinnen und der extragroßen Posse eine durchaus beeindruckende Energie auf die Bühne. Der Tune des Clashs ist Skeptas aktueller Hit »That’s Not Me«, der von beinahe jedem der vier Systems in einer der Runden adaptiert wird.
Insgesamt machen Rebel Sound ihren Job allerdings mit deutlichem Abstand am Besten. Das sieht das Publikum so und das spiegelt auch das Endergebnis wieder. Sie haben den besten Sound, also nicht nur die beste Musik, sondern tatsächlich den besten Klang des Abends – außerdem haben sie sich mit dem Prinzip des Soundclash am meisten auseinandergesetzt. Sie haben Dubplates von Sampha, Rihanna und Pusha T angekarrt. Sie bringen Tempa T auf die Bühne, was die Gegner von Boy Better Know fuchsteufelswild macht. Sie sorgen für die größten Überraschungsmomente und haben am Ende auch den Großteil der Fans auf ihrer Seite, die bis zu 110 db laut für sie brüllen.
Während des Clashs gibt es durchaus hitzige Disses und Diskussionen: Rebel Sound nennen Boy Better Know die »Big Batty Kissers« und Rodigan beschimpft den A$AP Mob als »a living joke in London tonight«, eine schlechtere Performance als ihre habe er in 30 Jahren Soundsystem-Kultur selten gesehen. A$AP feuert zurück, die Rihanna-Dubplate sei »some old shit« und Rodigan ein Betrüger, der ihnen als weißer Brite doch bitte nichts von Jamaika erzählen solle. Boy Better Know granteln, dass Chase & Status sich nicht alleine zum Battle trauen und daher ihren Onkel und Großvater mitgebracht hätten. Kurzum: Der Soundclash besteht nicht nur aus guter Musik, sondern auch aus großer Beleidigungskunst, was den Unterhaltungswert aus HipHop-Perspektive ordentlich in die Höhe schraubt.
Am Ende fallen die mehrheitlich jungen Oberbekleidungsgegner aus der Halle, werden von höflichen, überforderten Polizistinnen am unkontrollierten Überqueren der Straße gehindert und schieben sich schließlich gegenseitig in den Einkaufswagen eines nahegelegenen 24-Stunden-Supermarktes über den Parkplatz. Die Kinder sind eben immer noch in Ordnung. Und ich werde nächstes Jahr wiederkommen.