Aphex Twin Re-Sampled: Aphex Twin

Re-Sampled führt Logbuch über Karrieren von Künstler:innen, die oft durch die MPCs der Beatmacher der Welt gegangen sind. Yannik Gölz und Mirco Leier erzählen ihre musikalischen Geschichten anhand der prominentesten Samples nach – und entdecken dabei, wie Sampling nicht nur ein Stück Musik übernimmt, sondern Kontext, Identität und Bedeutung von Klang komplett verändern kann. Dieses Mal mit Aphex Twin.

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Aphex Twin mag nur eine Person sein, aber unter seinem Namen allein verbirgt sich ein ganzes Kapitel der Techno-Geschichte. Der oft benannte »Mozart der elektronischen Musik« ist intrinsisch mit dem Ambient, dem IDM, dem Drill & Bass und Dutzenden von Mikro-Genres verbunden, die er entweder erfunden, geprägt oder stichhaltig modernisiert hat. Er gehört zu den großen Moodboard-Architekten der Musikgeschichte. Mal als dämonischer Techno-Edgelord, mal als düsterer Ambient-Surrealist, seine Klangkulissen fühlen sich wie die Soundtracks einer Parallelwelt an.

Beschäftigt man sich mit seiner vielschichtigen Karriere, gibt es ganze Minenschächte an Sounds und Texturen zu entdecken. Immerhin liefert sein bis in die Gegenwart anhaltender Output Stunden über Stunden an Musik unter einem Dutzend Projekt-Namen. Und dass die Sounds für HipHop eher atypisch klingen, ist da Fluch und Segen. Wer beschließt, aus den unzähligen musikalischen Wurmlöchern unter dem Namen Richard D. James nach Samples zu schöpfen, der braucht einen Plan, sie im eigenen Genre funktionieren zu lassen. Doch genau dafür sind wir hier: Für diese erste Folge werden wir uns poe a poe durch prägende Momente seiner Diskographie bewegen und uns fragen: Wofür steht der Sound von Aphex Twin? Wie sind Produzentinnen und Produzenten darauf eingegangen? Und wie genau entsteht und verändert sich Bedeutung in wortlosen Samples?

Analog Bubblebath: Hinterland-Raver

1991 veröffentlichte Richard D. James seine erste EP unter dem Namen AFX. Der Mann ist 20 Jahre alt, lebt in Cornwall an der britischen Küste und schraubt Breaktbeats für die gelangweilten Kids der illegalen Raver-Szene, die sich Eintrittskosten in Gras auszahlen lassen. »Analog Bubblebath« mag nicht zu seinen essentiellen Arbeiten gehören, aber sein erster Output legt eine Karte seiner musikalischen Einflüsse an. Das Tape baut auf Acid House und Jungle auf, seine Hand für surreale Stimmung und ausgefallene Analog-Synths deutet sich zwar schon an, aber noch steht die Funktion vor dem Statement. In den rotierenden Melodien von »Isoprophlex« äußert sich eine genetische Nähe zur Detroiter Techno-Pionieren wie der Detroit Escalator Co. Und Carl Craig.

Die Radikalität mag hier zwar noch fehlen, aber was die Songs durchzieht, ist die Stimmung und die Sprache, die ihn seine Karriere lang begleiten wird. In einem beeindruckenden Essay beschreibt Laura Snapes pagane Rückstände einer verlorenen Cornish-Sprache, die Spuren der nebeligen Küste und des irischen Moors, für die der britische Okkultismus für immer nostalgisch sein wird. Sie argumentiert, dass das Wicca der im 17. Jahrhundert verschwundenen Sprache der Region im Lokalkolorit und dem Rave-Hexenkult von Aphex Twin wieder aufgeblitzt sei. Mehr noch sagt sie, dass die gelangweilte Jugend der illegalen Partyzene, die sich um James‘ unheimliche Musik versammelte, den selben Geist wie diese Urstimmung von Cornwell anzapfte. Aphex Twin selbst würde den Rest seiner Karriere behaupten, diese Szene sei die beste gewesen, die ihm je begegnet sei.

»Analog Bubblebath« wurde von Scooter für »R U =)?« gesamplet

Unterkühltes britisches Afterglow-Marijuana zwischen den Dünen der Atlantik-Küste beiseite: Wechseln wir die Szene zu Hamburger Penthouse-Party, Loveparade-Nostalgiker zwischen Koks-Tabletts und einem Pillen-Regenbogen: Deutschlands very own Scooter haben das Riff des Titeltracks auf ihrem 2001 erschienen Album »We Bring The Noise« entlehnt. Fast zwei Minuten baut da der Song »R U =)« einen Happy Hardcore-Beat auf, der sich voller Pathos in Richtung eines Drops hinaufschraubt, und plötzlich ist es da: Dieses kühle, distanzierte Synth-Riff, das im Original undurchschaubar klang, nach müdem Austanzen, fast ein bisschen Britpop-ironisch, aber abgeklärt und cool.

Und fast nichts daran ändert sich, außer dass eine plärrende, 2000er-Techno-Stimme den Hörer fragt: »Are you happy?« Irgendwie dockt das Sample perfekt an die deutsche Rave-Szene an. Das sind musikalische Van-der-Waals-Kräfte, die Fähigkeit, durch die Nähe und Kontext Bedeutung und Energie verändern kann. Auf einmal klingt es nach Pathos, MDMA-Überschwang und Hippie-Nostalgie. Der gleiche Part entfaltet sich in zwei völlig verschiedenen Hexenkulten. Die selben Noten, verschiedene Drogen.

Selected Ambient Works: Proto-Edgelord

»Selected Ambient Works 85-92« dürfte vom Cover bis hin zu den Songs das ikonischste Gesamtwerk von James darstellen. Das Projekt hallt nicht nur durch Autechre und Radiohead, sondern hat auch Wurzeln im HipHop geschlagen. Die elektronischen Recordings bestehen aus Aufnahmen, die bis in James‘ 14. Lebensjahr zurückreichen. Sie beinhalten die direkteste Musik, die er je aufgenommen hat. Sie emuliert den träumenden Schwebezustand des Schlafentzugs und des Klartraums. Es ist eine Meditation auf Psychedelia aus körperlicher Eigenproduktion.

Für einen Künstler, der davor und danach tief in die Abgründe vordringen wird, selbst Electronica mit Zynismus und Absurdität ausfüllen wird, hört dieses Projekt sich überraschend unironisch an. Eine der besseren Beschreibung, die darüber zu finden ist, lautet »Shoegaze-House«. Wir haben es nicht mit Eno-schem Ambient zu tun. Der Begriff der »intelligent dance music« wurde viel kritisiert, fühlt sich aber angemessen an. Die stille, nachtruhige Schönheit dieses Albums schlägt bis heute durch, man verliert sich schnell in den analogen Electro-Riffs und den ätherischen Synth-Pads, die sich immer ein bisschen anders bewegen, als man es von ihnen erwarten. Und doch dauerte es lang, bis HipHop-Produktion sich an dieses komplexe Album heranwagte. Und wie wir gleich sehen werden, entsteht dadurch ein interessantes Phänomen: Musikerinnen und Musiker der Zukunft begegneten diesem Album schon mit der düsteren Aura, die Aphex Twin sich erst in den kommenden Jahren so richtig verfestigen sollte. Und deswegen lesen die Producer in ihren Samples ein Gefühl von Surrealismus und Edge heraus, das man den Originalen gar nicht angemerkt hätte.

Die Antwoord samplet »Ageispolis« auf »Ugly Boy«

Rückblickend gingen Die Antwoord so schnell, wie sie gekommen waren. Ernste Vorwürfe von Vergewaltigung bis Rassismus und ein paar miese Alben machten vergessen, dass sie Anfang der Zehner-Jahre zu den faszinierendsten Provokateuren der Welt gehörten. Südafrikanischer weißer Trailerpark-Trash, die gleichzeitig wie punkige Theater-Kids wirken und absurde Videos und noch absurdere Liveshows machen? Eine Rap-Rave-Band? Man kann es nicht leugnen: Als sie 2014 »Ugly Boy« veröffentlicht haben, waren sie einer der interessantesten Acts der Welt.

Wir werden selten in einer Folge ein so plakatives Sample erleben. »Ugly Boy« ist eher eine Verneigung vor Aphex Twin als eine Interpretation, ein Mann in Aphex Twin-Maske stolziert durch’s Video und »God« ist als Produzent gelistet. Ninja interpoliert »Ageispolis« so linear, er könnte fast auf dem Originalsong rappen. Aber es ist nicht das Original. Es ist ein Zerrbild, das »SAW85-92« im Licht des modernen AFX-Personenkult hört und musikalische Feinheiten und atmosphärische Tiefenschärfen herausglättet, um Raum für den campigen Surrealismus zu schaffen, der den gemeinsamen Nenner der beiden Acts darstellt.

Es fühlt sich ein bisschen an, als hätte man mit einem John Carpenter-Soundtrack den vierten Teil von »Sharknado« unterlegt. Aber der Disconnect macht auch den Reiz des Songs aus: Yolandi und Ninja müssen zwar »Ageipolis« einen Schritt in ihre Ironie zerren, gleichzeitig müssen sie aber auch einen Schritt aus ihrer eigenen Welt darauf zugehen. Und man merkt ihnen den Respekt vor dem Material und den Willen zum Schritthalten hier wirklich an. Vielleicht wollten sie sich nur in der wahrgenommenen Coolness einer Electronica-Legende sonnen. Aber damit haben sie das Bild dessen verschärft, wie Aphex Twin Stand 2014 von der Rapwelt wahrgenommen wurde.

Azealia Banks‘ »Soda« samplet »Pulsewidth«

Kommen wir zu einer verrückten Geschichte: Der Produzent hinter der dritten Single von »Broke With Expensive Taste« heißt SCNTST und ist ein deutscher Techno-Produzent vom BoyzNoise-Label. Und der schraubte aus dem klanglichen Fundament einen amtlichen Banger für einen weiteren Lieblings-Edgelord der frühen Zehner: Azealia Banks katapultierte sich mit ihrer Single »212« zum Liebling aller Blogs, zerstörte sich dann aber mit einem der bizarrsten Twitter-Accounts aller Zeiten nach und nach allen guten Willen, den sie aufbaute. Wäre sie nicht die effektivste Verbindung von Rap und EDM, die die Welt je gesehen hat, hätte sie sich nicht so lange gehalten.

»Pulsewidth« taucht hier wesentlich weniger prominent als auf dem Die Antwoord-Song auf. Es stellt keine textuelle Referenz auf Aphex Twin auf, wüsste man nicht um das Sample, könnte man es leicht überhören. SCNTST und Banks akzentuieren hier vielmehr die rhythmische Tiefe, die James‘ Musik auszeichnet. Der Song klingt ätherisch und ein bisschen verträumt, aber lenkt die melancholischen Lyrics von Banks in keine bestimmte Richtung. Viel mehr zeigt es, wie evokativ und vielschichtig diese musikalisch so anspruchsvolle Klangkulisse sein kann. In vielerlei Hinsicht haben wir hier einen gegenteiligen Ansatz als zum vorigen Beispiel: Statt die Idee und das Image von Aphex Twin in den Vordergrund zu stellen und den Sound zu verflachen, wird hier auf Groove und Textur aufgebaut, ohne sie zu dramatisieren. Hier darf der Klang unkommentiert für sich sprechen.

Selected Ambient Works 2: Dunkelheit

Einer der Gründe, warum wir uns für Aphex Twin als erstes Thema dieser Kolumne entschieden haben, ist, dass gerade seine beiden Ambient-Arbeiten zeigen, wie Klang und Bedeutung zusammenhängen. Denn nachdem ich argumentiert habe, dass sein Debüt noch eine relativ unzynische Interpretation von psychedelischer Erfahrung darstellte, empfinde ich sein zweites »Ambient Works«-Projekt schon als redseliger. Dieses hier muss man wirklich Ambient-Musik nennen, zweieinhalb Stunden unbetitelter Klang-Fragmente, die sich durch die Laufzeit zu einem großen Ganzen anordnen.

Mehr noch als sein Vorgänger merkt wird hier ein Statement gemacht. Nach dem Motto: »Ihr wolltet mehr vom Gleichen? Ihr wolltet etwas für die Comedowns? Das kriegt ihr aber nicht. Dieses mal müsst ihr ganz genau zuhören«. So entsteht dieses Koloss an musikalischen Nahaufnahmen, der wirklich nur von Klang und Kontext lebt, aber doch viel mehr als sein Vorgänger eine klare Stimme, ein klares Bekenntnis zum Surrealen finden. Es klingt industrieller, kafkaesker und düsterer, vor allem, wenn es in die letzten Register immer weiter auf Zooms von nihilistischem Lärm einpendelt. Eine sehr schlaue Person beschrieb James auf diesem Album mal als »entweder eine brillante Person, die nie ernst genommen wurde – oder einen Witzbold, dessen Witze niemand durchschaut«. Und genau diese Person spricht aus diesem Album. Die ersten »Ambient Works« zeichneten eine universelle Erfahrung. Diese hier zeichnen das spezifische Weltbild von Richard D. James.

Lil Peep’s »We Think Too Much« samplet »20« (»Lichen«)

Als ich 2016 das erste Mal Lil Peeps »Hellboy« gehört habe, war ich mir schon bewusst, dass ich mich gerade auf die einseitigste Liebesbeziehung meines Lebens begeben habe. Dass der Song »We Think Too Much« ausgerechnet meinen einen Lieblingssong von Aphex Twin gesamplet hat, bewies mir nur unsere Seelenverwandschaft. Spaß beiseite, aber Track Nummer 20 fand sich lange als populärer Fan-Upload unter dem Namen »Lichen« auf YouTube. Es ist einer der hellsten Spots auf dem düsteren Album. Aber auch er trägt eine Schwere, die sich für die pathosreiche, aber feinfühlige Emo Trap-Pioniersarbeit anbietet.

Das YouTube-Video besteht übrigens nur aus Footage von Wolken am Himmel. Und die Übertragung dieses Loops auf einen Trap-Beat sorgte dafür, dass Peep selbst seinen Affekt mit dem Song aufzuschreiben scheint. Es ist vielleicht der linearste Weg, zu samplen: Aber es ist eine Art, Bedeutung zu enthüllen, statt hinzuzufügen. Produzent Nedarb hat hier eine emotionale Quintessenz aus dem Ausgangsmaterial gemeißelt und Peep hat seinen Zugang dazu als Text formuliert. Es ist ein Weg, näher an die komplexe Wirkung von »Lichen« zu kommen. Dadurch entscheidet man sich zwar für eine Lesart und entfernt die Vielschichtigkeit, die das Original so magisch macht. Aber gleichzeitig macht man diese eine direkte Emotion unmittelbar und nutzbar. »Nobody knows me, nobody knows one thing about me / Everyone doubts me«, rappt er. Plakativ, ja. Man würde es in »Lichen« selbst nicht heraushören. Aber stellt man die Songs nebeneinander, versteht man, wie diese Stimmung definitiv im Material verborgen lag.

Burials »UK« samplet »3« (»Rhubarb«)

Es gibt überraschend wenig Arbeit, die die eigentlich recht offensichtliche Linie zwischen Aphex Twin und Burial beschreibt, abgesehen von ein paar Gerüchten, die beiden Briten seien ein und die selbe Person. Dabei könnte man die Genealogie zwischen den ersten beiden Aphex Twin-Alben und Burials Meisterwerk »Untrue« wahrscheinlich ohne Ecken und Banden einzeichnen. Der Brite, der 2007 als Pioniere eines Dubstep vor der Skrillex-Wob-Wobs für ätherische, verträumte Heimwegsmusik gestanden hat, macht mit einem ähnlichen Fokus auf Textur und Stimmung Musik. Soweit, dass er sich für »UK« bei dem wohl populärsten »SAW2«-Stück bedient hat: Nummer »3« wird nämlich auch »Rhubarb« genannt und bewegt sich ähnlich wolkenschwer wie »Lichen« – in vielerlei Hinsicht sind die Songs Zwillingstitel. Aber Burials kurzer Edit, der »3« mit Echo und Stutter-Effekten überlädt, findet eine überraschend ähnliche Wirkung wie Nedarb und Peep, wenn auch mit völlig anderen Mitteln.

Auch hier wird ein Pathos betont, der auf dem originalen Song nicht ausbuchstabiert wird. Ja, »SAW2« war ein Statement-Album, aber vieles daran geht auf eine Verweigerung der direkten Kommunikation zurück. Aphex Twin deutet Gefühle an, aber versteckt sie im Halbdunkeln. Burials Vignette lässt den Klang wiederum mehr sprechen, indem es durch seine Sampling-Technik Sentimentalität und Nostalgie hervortreten lässt. Das ist Burial: Er hat es geschafft, aus dem »Slowed and Reverbed«-Genre ein Jahrzehnt vor dessen Existenz eine virtuose Klang-Manipulation zu machen. Und in beiden Fällen zeigt sich, dass ein lineares Sample oft dann am großartigsten ist, wenn es eine davor nur angedeutete Facette explizit sichtbar macht.

Drkqse: Zyniker

Wir überspringen seine beiden Gesichts-Alben »I Care Because You Do« und das »Richard D. James«-Album, weil die atonalere und explosivere Musik sich historisch nicht so recht für Samples ergeben hat. Das letzte Aphex-Twin-Projekt, das seinen Weg in die Hip Hop-Kultur gefunden hat, ist sein bizarrer und schwer zu erklärender Opus zum Anfang der 2000er: »Drkqse« – sprich: Druguse. Die Legende besagt, dass er eine Festplatte mit Songs verloren hat und sie als Album veröffentlichte, bevor sie ihren Weg außerhalb seiner Kontrolle ins Netz fänden. Hier findet sich alles, was das letzte Jahr seiner Karriere ausgemacht hat, von brutaler Breakbeat-Dunkelheit bis zu melancholischem Ambient-Klavier. Und das ist auch die Chance, um über das wohl bekannteste Aphex Twin-Sample aller Zeiten zu sprechen. Doch vorher: Wusstet ihr, dass im genau gleichen Jahr ein deutscher Rapper genau das gleiche Sample verbaut hat?

Maeckes‘ »Das Letzte Mal« samplet »Avril 14th«

Wir schreiben das Jahr 2010 und ein gewisser Maeckes macht sich auf, mit seinem Chimperator-Album »Kids« das erste Mal in die deutschen Charts einzuziehen. Als Teil von Maeckes und Plan B und den Orsons ist der Schwabe schon eine Weile eine Bank in seiner eigenen Sparte. Er ging von Feuer Über Deutschland über Mixtapes bis zu dieser Ära des Mac Miller-esken Proto-Hipster-Raps. Dass er Aphex Twin geil findet, bewies er schon, als er auf dem 2007 erschienenen »Mash-Up Mixtape« auf »Vordhosbn« gerappt hat. Man muss ihm zugutehalten, wie sehr er mit dem Ethos, sich über Genre-Grenzen hinwegzusetzen und seinen Self-Care-Lyrics seiner Zeit voraus war – das könnte alles heute genau so noch erscheinen.

Trotzdem haben wir es mit einem eher uninspirierten Flip zu tun. Ich habe bei den letzten beiden Beispielen betont, dass es schön sein kann, wenn ein Sample eine emotionale Facette des Originals verstärkt. Wenn hier bei »Das letzte Mal« aber bei 0:45 der Piano-Einstieg von »Avril 14th« einsetzt, hört man das Original erst überhaupt nicht heraus. Der Mix klingt steif, da geht schon ein wenig zu viel vor und das eigentlich so evokative Sample dient nur dazu, eine bestehende Stimmung noch zu verstärken. Es ist eine dünne Linie, denn manchmal kann diese Art von Kontext Nuancen in einem Sample noch weiter hervortreten lassen. Hier liegt die etwas melodramatische Melancholie aber schon so sehr auf dem Serviertablett, dass »Avril 14th« keinen Raum mehr zum Atmen hat. Es ist nur Piano-Kitsch auf Piano-Kitsch. Der Fantasie bleibt zu wenig überlassen.

Kanye Wests »Blame Game« samplet »Avril 14th«

Ja, vielleicht verblasst der Einsatz des Piano-Loops auch einfach nur dagegen, dass genau der gleiche Song im selben Jahr seinen Einsatz auf einem der legendärsten HipHop-Alben aller Zeiten gefunden hat. »My Beautiful Dark Twisted Fantasy« holt sich den Pathos eines gigantischen Egos für den Pathos eines anderen gigantischen Egos. Kanye West, Mike Dean und Pop-Rap-DJ Frank E nahmen der Legende nach Kontakt zu James auf, der sich darüber echauffierte, wie sie das Piano unsauber und im falschen Tempo geflippt hätten. Er hätte ihnen angeboten, es noch einmal selbst einzuspielen. Sie sagten darauf nur: »Nein. Das gehört nicht dir, sondern uns. Wir fragen dich nicht einmal danach.«

Und tatsächlich bietet dieses abschließende Beispiel die perfekte Gelegenheit, über Kontext zu sprechen. »Avril 14th« gehört zu den bekanntesten Arbeiten von Aphex Twin, auch wenn es auf einem eher abseitigen Album veröffentlicht wurde. Es hat etwas weltfremdes, ein bisschen abseitiges, es erinnert an die simple Schönheit von »Merry Christmas, Mr. Lawrence« von Ryuichi Sakamoto. Doch die Nähe zu den gequälten, destruktiven und lärmenden Stücken auf dem Album, geben dem Song das Gefühl einer Lichtung im Wald oder eines Auges im Sturm: Hier findet das gequälte, verkopfte Genie seinen kurzen Moment der genuin klaren, optimistischen Äußerung.

Kanye ist ebenfalls ein gequältes, verkopftes Genie. Aber er umgibt dieses delikate Piano mit einem der megalomanischsten Egotrips der Musikgeschichte. Es klingt wie das reumütige Hangover der Platte, vor allem im zweiten Part, wo er verbissene Selbstgespräche auf dem Beat führt. Der Pianoloop ändert seine Melodie über den kompletten Chris Rock-Skit nicht wirklich. Aber er illustriert ein Gefühl von Bitterkeit, von Reue und von Müdigkeit, so wie er von der Intensität der vorangegangen Extravaganza abblendet. Für ein Sample, das immer wieder für seine Direktheit angegriffen wurde, könnten die beiden Songs gerade im Rahmen ihrer jeweiligen Projekte kaum unterschiedlichere Wirkungen entfalten.

Fazit
Und ist das nicht das Schöne am Sampling? Es gibt kein magisches Geheimrezept, was ein Sample gut, kreativ, fantasievoll oder effektiv macht. Sampling ist Auseinandersetzung mit Musik. Interpretation. Und in diesem Falle zeigt Aphex Twin, dass Interpretation auf den Autor hyperfokussieren kann oder ihn komplett für tot erklären kann. Ein gutes Sampling beinhaltet immer ein intuitives Verständnis der Musik. Und das kann teilweise sehr weit davon liegen, was die breite Mehrheit darin sieht. Sampling ist ein Amplifizieren der subjektiven Wahrheit, die man in der Musik hört.

Im Fall von Maeckes oder Die Antwoord bedeutete dies Heldenverehrung und direkte Referenz, im Fall von Azealia Banks und Lil Peep eher das Aufbauen und Ausarbeiten einer musikalischen Idee. Kanye und Mike Dean haben dagegen etwas genommen, etwas ganz anderes darin gehört und trotz einer fast komplett linearen Übernahme eine völlig neue Stimmung kreiert. Aphex Twins Katalog könnte sich aber auch nicht besser dafür anbieten, gesamplet zu werden: In seinen drei Jahrzehnten kreativer Arbeit hat er immer wieder Klangtexturen und Melodien geschaffen, die für sich – aber doch auch im Schatten des eigenen Mythos stehen. Er begann als reiner Klang-Nerd, aber je länger er zum popkulturellen Superschurken aufstieg, desto mehr drang auch die publike Geschichte in seine Musik ein. Ihn zu samplen kann diese Aura anzapfen und sich seiner zynischen, düsteren Atmosphäre bedienen. Sie kann aber auch genauso die ehrliche, emotionale Nacktheit seiner Tracks zutage legen, die vielleicht sonst unter seiner nie ganz auflösbaren Ironie verschüttet geblieben wäre.