B L A C K I E, clipping, dälek, Death Grips, El-P & Ho99o9 Hardcore, Industrial und HipHop

Moshpits sind auf Rap-Konzerten keine Seltenheit mehr, aber die Verbindung von Hardcore und HipHop geht tiefer als der nächste Bassbreak. Florian Weigl hat sich auf eine Zeitreise begeben, um die Verschmelzung der Genres in den Achtzigern in New York bis ins Heute zu begleiten.

Death Grips

Fragst du nach der groben Ursprungsgeschichte von HipHop, beginnt sie mit einem Flashback zu 1979 als The Sugarhill Gang »Rapper’s Delight« veröffentlichten, HipHop sein erstes Ausrufezeichen setzte und in dem Mainstream brach. Mittlerweile etabliert, ist sie dennoch viel zu simplifizierend; nicht nur, weil Vorgänger wie Gil Scott-Heron oder The Last Poets zur Seite geschoben werden müssen, um eine knappere Timeline zu schaffen, sondern auch weil HipHop sich nicht in musikalischer oder geographischer Isolation entwickelte.

Ich rede nicht von den offensichtlichen Einflüssen wie Disco oder House, die das Genre durch die Geburt hinweg begleiteten, sondern von Hardcore und (beginnend in England) Industrial. Genres, die sich simultan zu HipHop entwickelten und sich bald gegenseitig beeinflussen sollten – von den Anfängen in den Achtzigern, zu der Hochphase in den Zweitausendern und der neuen Generation aus Trappern und Traditionalisten, die sich in den letzten Jahren bildete.

Aber ich werde zu schnell hier. Die Chancen stehen hoch, dass du, wenn du dies hier auf ALL GOOD liest, bereits grob Ahnung von den Anfängen von HipHop hattest. Was New York Hardcore (NYHC) angeht, kann eine knappe Einführung aber nicht schaden. Hardcore lässt sich (sehr, sehr generell) als die brutalere Version von Punk beschrieben. Die Riffs kommen schnell und enden laut, den Drums fehlt es etwas mehr an Disziplin und Gesang ist weniger Töne treffen als Energieaustausch. Wichtigstes Stilmittel war der Breakdown, in dem ein Akkord gehalten wird und nach einer Pause entweder fortgesetzt oder von einem anderen Akkord abgelöst wird. Dieses sehr simple musikalische Gerüst führte dazu, dass sich das Genre lange Zeit mehr über ein gewisses Energielevel definierte und über Städte (New York, Washington D.C., Boston,…), Regionen (East Coast, West Coast, Bay Area) und Ideologien (Straight Edge, Krishnacore) abgrenzte. Es half auch, Hardcore elastisch genug zu machen, um es in tausend andere Richtungen zu erweitern. So verbündete es sich unter anderem mit Emo zu Screamo, Techno zu Gabba und Black/Death-Metal zu Crust. Für diesen Artikel allerdings wird es vor allem um New York Hardcore gehen, dessen Entstehung vor allen an Zufällen hängte.

Niedriger Eintritt, billiges Bier und faire Bezahlung

Als Hilly Kristal 1973 in der damals noch von Gewalt durchzogenen Bowery das CBGB gründete, war nicht absehbar, dass es sich in den kommenden Jahren zu einem der einflussreichsten Orte in der Geschichte von Hardcore entwickeln würde. Auch wenn Kristal seinen eigenen Geschmack hatte (und bekannterweise mit Punk und Aggressiverem wenig anfangen konnte), unterlief dieser nie die Philosophie des Clubs, die auf niedrigem Eintritt, billigem Bier und einer fairen Bezahlung basierte.

Das CBGB war anfangs Anlaufort für den Art- und Proto-Punk (Talking Heads, Television, Blondie,…) der Siebziger, dann Bühne für die Ramones und Anfang der Achtziger durch die legendären Sunday Matinees endlich Hardcore. In Tony Rettmans »NYHC: New York Hardcore 1980-1990« erinnert sich Don Fury, dessen Studio als Anlaufstelle für die Szene wurde, über die Anfänge der Matinees: »In den frühen Achtzigern kamen viele Hardcore-Punks vorbei. Die Bands brauchten eine Venue, zu der sie kommen konnten. Ich wusste gleich, dass das CBs der richtige Spot dafür wäre. Ich habe dann Carol gefragt, die Idee an Hilly weiterzugeben. Erst sagte er nein, aber nach ein paar weiteren Versuchen gab er sein Okay – so waren die CBGB Hardcore Matinees geboren.«

Grob lässt sich New York Hardcore in drei Phasen einteilen: die aggressive, chauvinistische Polemik von Agnostic Front und Sick Of It All, Straight-Edge und Youth Crew Bands wie Minor Threat, Gorilla Biscuit und Youth Of Today sowie den metallisch geprägten Sound von Cro-Mags. NYHC war, in Abgrenzung zu HipHop, was Bands und das Publikum angeht, zu großen Teilen (wenn auch nie ausschließlich!) weiß und flirtete auch offen mit rechten Attitüden.

Die Verbindungen zu HipHop begannen langsam aber stetig. Beastie Boys begannen im Hardcore, ehe sie zu HipHop wechselten. Rick Rubin spielte Gitarre in The Pricks und später Hose, ehe er Def Jam gründete. Gegen Ende der Achtziger lockerten sich die Grenzen weiter: Public Enemy sampelten Slayer und Afrika Bambaataa kollaborierte mit Johnny Rotten als Time Zone. Auch Labelgrenzen wurden aufgelöst, als Cro-Mags ihr einflussreiches Debüt »The Age Of Quarrel« (1986) auf Profile Records veröffentlichten, das sonst Run DMC und Eric B & Rakim herausbrachte.

***

Flashforward ins neue Jahrzehnt. Bands wie Body Count und Biohazard übertrugen eine Fusion von HipHop und Hardcore in den Mainstream und bildeten damit die Vorboten zu dem Dreck, der sich Ende der Neunziger bald als Nu-Metal verkaufen würde. Zwar gab es auch Kollateralschäden innerhalb von HipHop, aber das Genre selbst hatte sich mit Industrial als neuen Haupteinfluss bereits weiterentwickelt.

Wie Hardcore wird auch Industrial heute mehr als Sammelbegriff für eine gewisse musikalische Haltung als einen klar abzugrenzenden musikalischen Stil benutzt. In seinen Anfängen bezog es sich auf Dada- und Situationismus, und lärmte, weil es bewusst nicht gehört werden wollte. Jon Savage, der einflussreiche britische Musikjournalist, schrieb das dafür passende Manifesto und etablierte die Idee damit auch im Mainstream. Über die nächsten Jahrzehnte bildete sich daraus Anti-Rock und EBM, die die Ideologie behielten, aber in hörbare Musik umwandelten. 1988 nahmen Ministry »In The Land Of Rape And Honey« auf, gründeten damit Industrial Metal und schufen eine Verbindung zwischen beiden Genres, die bis zum heutigen Tage anhält.

Für HipHop war der Weg mit mehr Lehrstellen gefüllt. Gab es schon in den Achtzigern Künstler wie zum Beispiel The Beatnigs und Mark Stewart, die mit Industrial als Einfluss spielten, waren es Kollaborationen mit englischen Acts wie Techno Animal, deren (unglücklicherweise an 9/11 veröffentlichtes) Album »The Brotherhood Of The Bomb« mit u.a. Antipop Consortium, Vast Aire, El-P und dälek eine Feature-Liste stellt, die den experimentellen US HipHop in den kommenden Jahren definieren würde. Besonders El-P und dälek sind hier erwähnenswert, auch und besonders, wenn man über heutige Relevanz reden will.

Als Company Flow 1997 mit »Funcrusher Plus« die Szene betraten, war die Szene noch nicht bereit. Oft will man sich einreden, dass ein Produzent seinen Stil über die Jahre entwickelte; ein Ursprung zu den ersten Projekten deswegen rauer, umformulierter klingen muss, als die späteren Projekte. Im Falle von El-P stimmt dies, und dann auch wieder nicht. »Funcrusher Plus« war, was die Produktion anging, fest in seiner Zeit verankert, aber dennoch minimalistischer, zog Melodien aus den prominenten Basslines und ein, zwei Jazzlicks und dazwischen immer wieder Momente, in denen der Beat stillstand, und sich leichte Störgeräusche, Sirenen und SFX einmischten. Es kam zu einem Zeitpunkt, als HipHop von G-Funk und Gangsta Rap überschwemmt wurde, und sich ein neuer Hunger auf andere Takes bildete, den Labels wie Def Jux oder Anticon perfekt bespielen konnten.

Dies sollte auch auf den Soloalben (besonders »I’ll Sleep When You’re Dead«) das Markenzeichen bleiben. El-Ps Beats konnten deine Seele durch die Trümmer einer Zivilisation ziehen und dich dann wieder an sachten Melodien aufrichten. Diese Ästhetik erklärt auch, warum El-P zusammen mit Killer Mike als Run The Jewels ein Comeback hinlegen konnte, während viele seiner Zeitgenossen daran scheiterten. El-Ps Produktion eignete sich hervorragend als linke Protestmusik; im Sound zu nihilistisch und verwahrlost, um als moralisierend durchzugehen, aber gleichzeitig mit einer progressiven Energie, die dich daran glauben lässt, das Veränderung möglich wäre.

Als dälek (gesprochen: dia-a-lec) 2002 ihr zweites Album »From Filthy Tongues Of Gods and Griots« veröffentlichten, war der Sound um MC dälek, Oktopus (Produzent) und Still (Turntables) bereits etabliert. Die schabenden, bedrohlichen Synthieflächen und Gitarrenspuren wurden von Oktopus so arrangiert, dass sie nie gegen den klassischen BoomBap arbeiteten, sondern zusammenkamen. MC däleks monotoner, stoischer Flow fügte sich nahtlos in die Soundscape, die an den industriellen Verfall New Yorks in den Achtzigern erinnerte, sowie der Post-9/11-Paranoia, in die das Album veröffentlicht wurde. Um dieses Fundament herum spannten sich weitere Einflüsse: Post-Rock (»Forever Close My Eyes«), Glitch-Hop (»Black Smoke Rises«) und Samples, die mehr an Musique concrète erinnerten als an klassische HipHop-Samples. Auch über die nächsten Jahre hielten dälek den Dialog mit den Wurzeln des Genres, was zu schleichender Irrelevanz führte und durch das Comeback in 2016 noch deutlicher wurde: Das Genre hatte sich erneut weiterentwickelt und das, was vor einem Jahrzehnt Innovation war, ist heute Referenz.

Im Gegensatz zu dälek, sind Nachfolger wie B L A C K I E und clipping. weniger daran interessiert, die Brücke zu HipHop zu schlagen, als die Spannungen zwischen den Genres auszuloten. B L A C K I E spielt seine Live-Shows mit einer Wand aus Verstärkern, Rap ist hier energetischer Spoken Word in der Tradition von The Last Poets, während die Stimme von durchschneidenden, aggressiven Synthie-Fanfaren überschattet wird (»Revolutionary Party Pt.2«), oder Melodien über Melodien schachtelt, bis sie atonal ineinander fallen, sich wieder lösen, nur um erneut in Chaos unterzugehen (»Academy Academy«).

Wo B L A C K I E bewusst chaotisch ist, die Musik wie Jazz von der Improvisation lebt, spielen clipping. mit denselben Einflüssen, sind dabei aber methodischer. Der Chrorus von »Guns Up« besitzt eines der brutalsten Industrial-Sample, das ich jemals auf einem HipHop-Album gehört habe, eingebettet in einen Song, in dem Daveed Diggs das Leben seiner Protagonisten über minimalistisch angeglitchte, rumpelnde Beatstrukturen ausbreitet. Diggs, der durch den Broadway-Erfolg »Hamilton« und seine Karriere als Schauspieler weiter an Profil gewonnen hat, rappt oftmals acapella, gleichzeitig mit und gegen die Instrumentals, stellt mit seinem Flow oftmals das einzige melodische Element (»Wake Up«), das von stoischen Bassdrums, zirpenden Synthies, pochenden Bässen und den oben beschriebenen Noisekaskaden umzogen wird. clipping. wird zu einem Teil immer Experiment und Soundbühne bleiben. Oft zerbrechen die Alben an ihrer Ambition und es fehlt ihnen an Intensität und Direktheit, die essentiell für Hardcore ist. Aber das ist okay, dafür gibt es andere.

***

Wenn du Hardcore stur puristisch verstehst, wirst du an der heutigen Verknüpfung zwischen Hardcore und HipHop verzweifeln. Einige Bands wie Show Me The Body zitieren noch offen Old-School-Hardcore und kollaborieren dabei etwa mit Denzel Curry und Princess Nokia. Generell lässt sich die Szene aber in zwei Lager einteilen. Am häufigsten vertreten sind dabei Ästheten, die den Sound und die Fashion übernehmen, ohne sich ideell mit Hardcore auseinanderzusetzen. Heutzutage sind Moshpits auf HipHop Konzerten mehr die Regel als die Ausnahme, wurden von Lil Pump, Lil Uzi Vert, XXXTentacion, 6ix9ine und andere Soundcloud-Rappern längst etabliert, da er sich perfekt mit den abgewetzten, schweißgetriebenen Bassbangern verbinden lässt, die zum musikalischen Aushängezeichen geworden sind. Erwarte aber nicht, dass dir Publikum oder Künstler, die Geschichte von Mosh Pits erklären können. Das ist vollkommen okay, wurde aber von mancher Seite zu Größerem ausgerufen, als es sein kann oder will.

Black Lives Matter mit Punk-Ethos

Dagegen stehen Gruppen wie Ho99o9, die dieselben, intensiven Konzerte spielen, aber die Verbindung zu Hardcore auch politisch deuten. Wenn ich von »politisch« rede, meine ich weniger ausformulierte, durchdachte und differenzierte Statements, als den Willen die Energie einer Show oder einer Performance als Geste lesen zu können. Songs wie »U.S.H«, in denen der amerikanische Fahneneid in den von Ho99o9 kultivierten Deathcult umgedeutet wird, werden explizit dadurch, dass sie von zwei schwarzen Männern in 2017 performt werden, zu Statements. Horrorcore ist hier – neben all den Cliches – auch der Wille schwarzen Tod wieder aus weißen Händen zu reißen und in die eigene Narrative einzubauen. Die Videos von Ho99o9 sind dabei oft politisch explizierter als es die von vager Anarchie und kapitalistischen Klassenkampf durchzogenen Lyrics. »City Rejects« thematisiert die Kommerzialisierung von Black Suffering, »War Is Hell« bildet die Brücke zwischen den Krieg in Vietnam und Afghanistan und den niedergeschlagenen Protesten innerhalb der USA von den Sechzigern bis heute. Black Lives Matter mit Punk-Ethos, wenn du denn willst.

Keine Band hat die Spannung zwischen diesen beiden Polen besser kanalisiert als Death Grips. Death Grips haben sich innerhalb der letzten Jahre erfolgreich in ihr eigenes Meme verwandelt, was eine ernsthafte Auseinandersetzung mit ihnen wenn nicht verneint, so doch erheblich erschwert. Was bleibt, ist die Musik, und besonders das Doppelalbum »The Powers That B«, das die Band auf ihrem kreativen Höhepunkt trifft. MC Rides Stimme hat die Mitte zwischen seine durchreißenden Hardcore-Shouts und seinem disziplinierten Rap-Stil gefunden, der an die technisch strukturierten Zeit- und Flow-Pattern von Eastcoast-Rap erinnert, aber zu Soundbites verkürzt und mit kaum kontrollierter Wut erfüllt.

Auf der ersten Hälfte (»Niggas On The Moon«) wird Death Grips starker Industrial-Einfluss mit Samples von Björks Stimme vermischt, während die Aggressivität hinuntergefahren wird, bis die Songs in Ambient-Richtung driften. Die zweite Hälfte (»Jimmy Death«) sieht die Band sich selbst sampeln und am Ende in neuer Form, »Death Grips 2.0«, rebooten: Die mit Death Grips assoziierte klangliche Brutalität kehrt zurück, aber mit ironischem Augenzwinkern. »I Break Mirrors With My Face In The United States« ist ein großartig lächerlicher Song, in dem MC Ride den Titel solange und so oft schreit, dass er sein eigener Slogan wird. Der Song funktioniert auf einem energetischen Level und live, versteht aber auch wie leer er wirklich ist und macht dieses Fehlen klanglich zu seinem eigenen Thema. Das sind mindestens drei Stufen von Post-Something und noch etwas BA Philosophie zum abschmecken. Und man kann darin entweder alles sehen oder nichts.

In den letzten Jahren hatte die Verbindung aus HipHop mit Industrial in »Yeezus« ihren kommerziellen Durchbruch, aber abseits davon blieb es Randphänomen. Im Underground wird mit anderen Genres experimentiert, und HipHop weiter ausgeweitet. Es gab Comebacks (dälek) und Supergruppen wie Prophets of Rage, die alle zeigten, warum die Musik in den Händen Älterer an Aggressivität einbüßt. Und was früher politisch war, heute bevormundend und moralisierend klingt. Zu vermuten, wie sich der Sound darum in den nächsten Jahren entwickeln wird, oder welche Künstler durchbrechen werden oder nicht, ist wie im nadelverseuchten Heuhaufen suchen. Sicher ist, dass sich das Dreieck aus HipHop, Hardcore und Industrial halten beziehungsweise neu positionieren wird. Hoffen darf man, dass die Relevanz der Genres zueinander schneller erkannt und journalistisch aufgearbeitet werden, als es in den letzten Jahren oftmals der Fall war.