Kool Keith & Dan The Automator Dr. Octagon und der Rundfunkstaatsvertrag

Knapp 20 Jahre lang ließ die Frage, was ausgerechnet das Logo des Mitteldeutschen Rundfunks auf Kool Keith‘ und Dan the Automators Album »Dr. Octagon«zu suchen hat, Ralf Theil nicht schlafen. Bis jetzt. HipHop-Nerdismus vom Feinsten.

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Als 1996 »Dr. Octagon« erschien, war vieles daran verwunderlich. Das fing schon bei Titel und Interpret an, denn das Album, das erst mit späteren Releases den Namen »Dr. Octagonecologyst« bekam, wurde nicht ganz zu Recht als erstes Soloalbum von Kool Keith nach dem Ende der Ultramagnetic MCs gehandelt. Dabei stand der Künstlername Kool Keith nie auf dem Cover. Vielmehr war »Dr. Octagon« maßgeblich das gemeinsame Schaffen von Dan The Automator und Kool Keith, das Produkt eines Duos also. Und wenn du das hier wirklich liest, muss ich auch nicht erklären, wer Dan und Keith überhaupt sind.

Zu erklären, was inhaltlich und musikalisch an »Dr. Octagon« verwunderlich war, wie Kool Keith sich nach seinem Umzug nach Los Angeles als psychopathischer, zeitreisender Weltraum-Gynäkologe präsentierte, wie progressiv die Instrumentierung mit Analog-Synths und Violinen war und immer noch ist – nun, das heben wir uns vielleicht für einen anderen Artikel auf. (Zum Zwanzigsten sollte doch eine Essential-Review drin sein.)

Diese Geschichte dreht sich nur um ein ganz kleines Detail. Um genau zu sein: um ein, zwei Zentimeter auf der Rückseite des Covers. Noch genauer: auf der Rückseite des Covers der US-Vinyl-Pressung, die damals über Bulk Recordings erschien. (Die EU-Version von Mo Wax hat ein komplett anderes Artwork.) In der oberen linken Ecke prangte dort der Satz »Recorded exclusivly on ADAT Systems«, genau so falsch geschrieben, und darüber ein seltsam vertrautes Logo – das Signet des Mitteldeutschen Rundfunks, des MDR. Klein, aber ohne Zweifel. Zum Teufel. Was für eine absurde Verbindung konnte es ausgerechnet zwischen dieser öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt und den diabolischen Machenschaften von Keith und Dan geben? Völlige Ahnungslosigkeit.

Seit diesen Tagen tauchte das Mysterium des MDR-Logos immer wieder in meinem Hinterkopf auf, wenn es um Kool Keith oder »Dr. Octagon« ging. Die großen HipHop-Nerds erkannte ich verlässlich an dem Satz »Das habe ich mich auch schon gefragt.« Kollege Max Brandl förderte vor ein paar Tagen einen Thread aus der Newsgroup »de.alt.music.hiphop« zutage, in dem die Frage im Jahr 2001 diskutiert wurde. Eine Antwort hatte auch dort niemand, also blieb nur das Mutmaßen. Hin und wieder habe ich die Theorie diskutiert, dass es in irgendeiner Form um Kulturförderung gehen könnte. Immerhin, das wusste man ja, wurde auch der klassische HipHop-Film »Wild Style« Anfang der Achtziger mit finanzieller Hilfe internationaler Geldgeber produziert, darunter das Zweite Deutsche Fernsehen. Bei Film und Fernsehen war das ja auch nicht ganz unsinnig. Bei einem Album hingegen schon. Hätte sich der MDR die deutsche Radio-Erstausstrahlung von – ausgerechnet – »Dr. Octagon« durch Förderkohle sichern sollen? Den Wahnsinn fürs dritte Fernsehprogramm einkaufen? Es war keine besonders gute Theorie, lange aber die einzige.

Im Gespräch mit Marc Hype kam eine neue Idee auf: Es könnte etwas mit dem erwähnten ADAT-System zu tun haben. In den Neunzigern wurden immer wieder alte Geräte aus deutschen Rundfunkanstalten verscherbelt – Mischpulte, Bandmaschinen – vielleicht könnte so etwas aus MDR-Beständen in einem Studio an der Westküste gelandet sein? Vielleicht fand jemand die erschwingliche Digitaltechnik so toll und wichtig, dass er das MDR-Logo quasi als Made-in-Europe-Gütesiegel gleich mit auf der Platte haben wollte? Hm. ADAT war damals keine unübliche Mehrspur-Recording-Methode im Low-Budget-Bereich. Und low budget war das Studio namens »Glue Factory« ganz bestimmt, das sich im Keller von Automators Elternhaus in San Francisco befand, und in dem auch DJ Shadows »Endtroducing« aufgenommen wurde – übrigens tatsächlich auf einem ADAT-Recorder, wie DJ Shadow später zu Protokoll gab. Aber man hätte die Hardware nicht aus Deutschland importieren müssen.

Ein Blick auf die Rückseite einer CD-Version liefert übrigens weitere, äh, Erkenntnisse zur Aufnahmetechnik: »The music on this compact disc was originally recorded on a thermo nuclear 387-bit, non-linear tracking system, dithered down to 20-bit compact disc format because of its high resolution, however, limitations can be heard in the compact disc format.« Das ist ganz witzig, aber, technisch gesprochen, natürlich Mumpitz. Das MDR-Logo ist da auch nicht zu sehen. (Wobei das auch im Booklet gelandet sein kann – falls jemand die CD im Regal hat, freue ich mich ehrlich über mehr unnützes Wissen.)

Nach der Lektüre von »Check The Technique Vol. 2« von Brian Coleman poppte die ewige Frage letztes Jahr wieder in meinem Kopf auf. In dem fantastischen Buch gibt es zwar ein Kapitel über »Dr. Octagon«, aber weil Amerikanern tendenziell der Bezug zu deutschen Rundfunkanstalten fehlt, hatte sich die MDR-Frage wohl nicht aufgedrängt. Also musste ich mich aufdrängen. Mehrere Kontaktversuche über die Social-Media-Kanäle von Dan The Automator und über sein Management blieben ohne Antwort. Keiths Ruf als eher erratischer Zeitgenosse ließ ihn nie als idealen (oder auch nur erreichbaren) Gesprächspartner erscheinen. Aber Dan befand sich als Teil von Deltron 3030 tatsächlich gerade auf Europatour, und ich fand rechtzeitig heraus, dass DJ Mad für den Hamburg-Tourstopp ein Interview für seine Radiosendung, die »Soundfiles HipHop« bei N-Joy, geplant hatte. Mad, nicht gerade frei von Nerdtum, aber Besitzer der europäischen Version, wusste nichts vom MDR-Logo. Die Frage fand er super, eine Antwort schien zum ersten Mal in greifbarer Nähe. Gegen Ende einer zweistündigen Sendung kam es dann zu diesem Dialog:

DJ Mad: Eine letzte Frage von einem guten Freund. (…) Auf der Originalpressung (von »Dr. Octagon«) habt ihr das Logo einer deutschen Rundfunkanstalt, des Mitteldeutschen Rundfunk, und das hat ihn jahrelang verwirrt.

Dan The Automator: Genau das war unsere Absicht. Es sollte verwirrend sein. (lacht)

Ist das der einzige Grund?

Ja!

Und wieso ausgerechnet der MDR?

Ich hatte nur mit den Typen auf der Rück- und Vorderseite des Covers unmittelbar zu tun. Die Zeichnung vorne ist von einem Mann namens Pushead, der vor allem durch seine Arbeiten für Metallica bekannt ist. (…) Aber sonst wollte ich auf der Rückseite einfach nur völlig kaputtes Zeug haben.

Der Grafiker hat einfach zufällig dieses Logo benutzt?

Ja. Wir wollten eben Dinge machen, die nicht zwingend eine Verbindung von A bis B oder von A bis Z darstellen. Es sollte eher so sein wie … »find es doch selber heraus!«

Es gibt also keine tiefere Bedeutung?

Das ist die tiefere Bedeutung! Man soll das Album in seiner Gesamtheit betrachten anstatt es zu dekonstruieren. (…) Das Konzept der Collage hat viel zu diesem Album beigetragen.

Da haben wir es also. Der Mitteldeutsche Rundfunk hat höchstwahrscheinlich nichts, absolut nichts mit »Dr. Octagon« zu tun. Irgendwie ist das auch gar nicht frustrierend, sondern die beste und passendste Antwort, die man nach knapp zwei Jahrzehnten zu einem Album wie diesem bekommen kann: Sinn ist überschätzt. Hätte man wissen können. Das Album wurde übrigens gerade mit dem Original-Artwork (als 3D-Hologramm-Cover) nachgepresst, und das fragliche Logo steht immer noch in der oberen linken Ecke der Rückseite. Wenn das der MDR wüsste.