Reeperbahn Festival Alte Cowboys und neue Indieaner
Am vergangenen Wochenende war Reeperbahn Festival in Hamburg. Auch wenn es auf dem Zusammentreffen der Musikbranche relativ wenig HipHop zu sehen gab, wurde dort über HipHop gesprochen. ALL GOOD-Autor Ralf Theil war vor Ort.
Hamburg war vergangene Woche voller Reeperbahn Festival. Das Reeperbahn Festival ist eine Art Showcase-Festival, und das bedeutet: hoher Anteil von Branchenvolk, viel Networking, viel alkoholischer Sozialschmierstoff und sehr viele weitgehend unbekannte Acts, von denen jeder zweite irgendwie das nächste große Ding ist, sein soll oder zumindest sein könnte. Dort habe ich mich vier Tage lang herumgetrieben, viele Kilometer zurückgelegt und auch sehr viel Spaß gehabt. Hier soll es aber gar nicht um die wenig spannende Festival-Meta-Erzählung gehen, sondern um HipHop und das Geschäft damit.
Am Freitagnachmittag gab es im Rahmen des Festivals eine Diskussionsrunde unter dem Titel »Major is the new indie«, die im offiziellen Programm folgenden Untertitel hatte: »Wer sitzt am längeren Hebel im Urban/HipHop Markt?« Das Gespräch, das vom geschätzten Falk Schacht moderiert und inzwischen als Audio-Mitschnitt veröffentlicht wurde, behandelte diese Frage nur kurz, das wahre Thema war eher, wie ihr nachhören könnt und solltet, ob wir uns gerade in einer HipHop-Blase befinden, die bald wieder platzen wird. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, das auf einem Festival diskutieren zu lassen, auf dem bei rund 400 Konzerten vielleicht 15 HipHop-Acts im Programm auftauchen. Interessant finde ich die vorherige Fragestellung aber trotzdem: Wer sitzt denn nun am längeren Hebel?
Die Antwort ist vordergründig einfach, weil das Musikgeschäft auch nur ein Geschäft ist: Am längeren Hebel sitzt meist der mit der dickeren Brieftasche. Aber die Realität zeigt uns doch auch, dass die starre Unterscheidung zwischen Major und Indie 2014 ähnlich angestaubt ist wie der Ausdruck »Urban«. Nehmen wir zum Beispiel Kraftklub. Die waren letzte Woche mit einem Konvoi schwarzer Fahrzeuge unterwegs, spielten für insgesamt rund 23.000 Fans umsonst und draußen und gingen mit ihrem neuen Album prompt auf die Eins. Hinter der Aktion stehen mit dem Management Beat The Rich und der Booking-Agentur Landstreicher Konzerte zwei unabhängige Firmen mit reichlich Punkrock-Attitüde, mit Universal Music und Red Bull aber auch zwei riesige Konzerne mit ausreichend Geld. Das Ergebnis fühlt sich subversiv an – mit der Lieblingsband Internet-Schnitzeljagd spielen und in einer spontan errichteten Wagenburg feiern – ist aber in Wirklichkeit professionell durchgeplant, sehr geschickt gebrandet und behördlich genehmigt, wurde im öffentlich-rechtlichen Radio übertragen und war in der Produktion nicht gerade billig. So funktioniert gutes Marketing. Wie passt das aber in das alte Raster? Ist das jetzt Major?
Im Sommer hat der selbe Corporate Sponsor in Zusammenarbeit mit Chimperator den »Tag am See« veranstaltet, eine Open-Air-Aktion zum Release des Cro-Albums »Melodie«. Weil Cro bei einem Independent-Label ist, über den Independent-Vertrieb Groove Attack vertrieben wird und keiner der Major-Musikkonzerne Sony, Warner und Universal an der Sache beteiligt war, ist es per definitionem eine Indie-Aktion. Cro ist also mehr »independent« als Kraftklub. Das wirkt schon etwas absurd.
Es gibt zwei Dinge, die einem in der Musik immer die Tür öffnen werden: Erfolg und Geld. Vor vielen Jahren, als die Begriffe »Major« und »Indie« geprägt wurden, war Geld eine wichtige Voraussetzung für kommerziellen Erfolg, weil es nur wenige Wege vom Musiker zum Publikum gab: Radio, Fernsehen und die gedruckte Presse. Das Geld hatten die Großen, und damit hatten sie auch die Macht. Heute ist das etwas anders, die Kommunikationsstrukturen sind weniger eindimensional als früher. Zwar ist das Internet keine Garantie für irgendwas, aber es hat die Machtposition des Endverbrauchers immerhin so sehr gestärkt, dass er heute weniger von dem abhängig ist, was ihm aus traditionellen, hierarchischen Strukturen vorgesetzt wird. Nur so war Cro möglich, und nur so konnte sich eine größere Vielfalt von Geschäftsmodellen entwickeln, die erfolgreich agieren können. Die Rolle, die heute Getränkehersteller oder Elektronikkonzerne auf dem Musikmarkt spielen können, illustriert das ähnlich schön wie die Tatsache, dass bei Major-Labels endlich erfahrene, HipHop-sozialisierte Menschen in entscheidenden Positionen sitzen. Mit Geldbündeln schmeißen kann jeder große Player, egal ob Musik sein Kerngeschäft ist oder nicht. Woher das Geld kommt, ist also zweitrangig. Kreativ und sensibel damit umzugehen ist das neue Indie.
Ach ja. Beim Reeperbahn Festival habe ich auch Musik gehört, und die – neben Olson – beste Dreiviertelstunde Rap, der ich beiwohnen konnte, kam von einem Kerl, den man immer noch nicht auf Amazon oder Spotify findet: Credibil erfindet nichts neu, macht aber nicht nur auf der Bühne alles richtig. Charisma, Skills, Inhalte und sogar Humor. Das ist ziemlich HipHop. Und sehr Indie. Nur Little Simz – auch so ein nächstes großes Ding – habe ich leider verpasst, da musste ich networken.