Ice Spice Ultra smooth und mühelos
An Ice Spice, der wohl meistdiskutierten Rap-Newcommerin der Stunde, kann man mehr ablesen, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Ein Portrait von Lennart Brauwers.

Am Ende geht’s natürlich um die Musik, klar. Das einzig Wichtige ist sie aber absolut nicht. Schon gar nicht heutzutage, auch klar. Ice Spice weiß sich jedenfalls so zu verkaufen, dass sie damit möglichst viele Zielgruppen ansprechen kann. Ganz geschickt macht sie das, wenn auch höchstwahrscheinlich unbewusst, durch vermeintliche Gegensätze: Zu ihren Lieblingshobbys gehöre das Tanzen an ihrem stripper pole, sagt die Rapperin im Interview mit dem britischen Popmagazin NME, und spricht – im Kontrast dazu – woanders über das kultige Hipster-Filmstudio A24, das man ja jetzt nicht unbedingt mit ihr verbinden würde. Auf dem Weg zur Schule habe sie eine Zeit lang nur Kendrick Lamars geradezu intellektuelles Meisterwerk »To Pimp a Butterfly« gehört, ist selbst aber vor allem für die Erfindung des eher nicht so intellektuellen Slang-Wortes Munch bekannt. (Hat wohl irgendwas mit Männern zu tun, die lediglich für Oralsex zu gebrauchen sind. Und generell damit, ein loser oder hater zu sein. Irgendwie so.)
Zumindest teilweise geht es bei Ice Spice also um Kontraste, die sich logischerweise nicht gegenseitig ausschließen müssen, trotzdem aber auffällig sind. Die 23-Jährige wirkt nahbarer als andere Rapperinnen ihrer Sorte – den viral gegangenen Hit »Munch (Feelin‘ U)« nahm sie innerhalb kürzester Zeit in ihrem Schlafzimmer auf; im dazugehörigen Musikvideo sieht man sie ganz zwanglos mit Freunden im Park abhängen/abgehen –, hat aber gleichzeitig auch dieses unverkennbare Star-Charisma. Und diesen Blick, der aussagt, dass ihr Erfolg früher oder später sowieso gekommen wäre. Ihr Aussehen generell: Diese bereits ikonischen Haare eh, aber eben auch dieses ultra-körperbetonte Auftreten, kombiniert mit der Natürlichkeit einer Lauryn Hill (»Pretty bitch like Lauryn with a big ass butt«).
Womit wir dann wohl zur Musik kommen dürften. Auf den ersten Blick sind die ausnahmslos kurzen, fast schon skizzenartigen Songs auf ihrer Debüt-EP »Like..?« ziemlich typisch für die Drill-Stilrichtung – also voll mit spezifisch synkopierten Hi-Hats und dröhnenden Wummerbässen –, jedoch poppiger und weniger aggressiv als die meisten Tracks von typischeren Künstlern des Genres – und anders als davor erschienene Singles wie »No Clarity«, die in ihrer wütenderen Attitüde noch etwas mehr an Pop Smoke & Co. erinnerten. Auch hier wieder Kontraste: Das Brachiale des Drill vermischt Ice Spice bzw. RIOTUSA, ihr engster Kollaborateur und zumindest bisher noch einziger Produzent, mit ebenso zuckersüßen wie ungewöhnlichen Samples, wie dem ätherischen Frauengesang im Hintergrund der ansonsten sehr wuchtigen Single »Euphoric« oder den SpongeBob-esquen Gitarren in »Bikini Bottom«. Ratet, was ihre Lieblingsserie ist. Alles ist so verdammt sympathisch an Ice Spice.
Ihre Stimme ist drückend, erinnert ganz deutlich an die von Cardi B, und ihre Vortragsweise strotzt vor Selbstgewissheit – eine Selbstgewissheit, die Ice Spice mit einer beinahe zurückhaltenden smoothness kombiniert und sich dadurch eben doch von angestrengt klingenden Rapperinnen wie Cardi B unterscheidet. »Got a place we can stay for the night, but I’m too shy to invite you«, rappt sie in »Gangsta Boo« und klingt dabei ebenso entschlossen wie beherrscht, quasi zeitgleich. Allerspätestens jetzt sollte man hier ein Pattern erkannt haben.
Ultra-smooth, mühelos, so als wär’s das Leichteste auf der Welt: Klar, Ausnahmen bestätigen die Regel, aber das ist ja alles ziemlich typisch für HipHop-Acts aus New York City, wo Isis Gaston (so ihr eigentlicher Name) am 1.1.2000 als Tochter einer dominikanischen Mutter und eines nigerianischen Vaters geboren wurde. Ihr Vater war früher ebenfalls Rapper, wenn auch eher unter dem Radar, und nahm sie als älteste von fünf Geschwistern schon früh mit ins Studio. Doch die endgültige Entscheidung zur eigenen Rap-Karriere traf Ice Spice – ein Pseudonym, das sie von einem alten Instagram-Benutzernamen aus ihrer Jugend übernahm – erst verhältnismäßig spät.
»Bully Freestyle«, ihre 2021 erschienene Debütsingle, war tatsächlich auch einer der ersten Songs, den sie überhaupt professionell aufnahm, und als Ice Spice 2022 vor zigtausenden Menschen beim Rolling Loud Festival auftrat, war das einer ihrer allerersten Bühnenmomente. Innerhalb kürzester Zeit ist Ice Spice explodiert: Auf diversen Social-Media-Plattformen ging sie viral; die New York Times bezeichneten sie als »Rap’s New Princess«; Drake entpuppte sich als Fan – und dreimal dürft ihr raten, als was sich Lil Nas X im letzten Jahr an Halloween verkleidet hat.
Dass man dann in gewissen Ecken des Internets (ja, du bist gemeint, Twitter) alles andere als ernst genommen wird, ist wahrscheinlich unvermeidbar. So, als hätte sie lediglich Glück gehabt, wird Ice Spice von vielen dargestellt, aber das ist bei viral gehenden Popphänomenen ja häufig so. Immer wieder wurde die extrem ironisch gemeinte Aussage getroffen, dass »Like..?« besser sei als »Illmatic« von Nas, die womöglich gefeiertste HipHop-Platte aller Zeiten. Ein anderes Meme, in dem Ice Spice humorvoller Weise als «this generation’s Princess Diana« bezeichnet wurde, griff die Musikerin auf und schrieb darauf basierend den Song »Princess Diana«, das größte Highlight ihrer »Like..?«-EP. Und mit dem eigenen Dasein als Meme zu spielen, ist so ziemlich das Cleverste, was man heutzutage als aufstrebende*r Rapper*in machen kann.
Das Ganze könnte kurzlebig bleiben, vor allem im Hinblick auf Ice Spice‘ eher schmale Bandbreite an Thematiken – hauptsächlich geht’s um ihren Erfolg (»I got two milli‘ for usin‘ a mic, bitch!«), den Neid von anderen (»If I was bitches, I’d hate me a lot.«) und ihren Körper (»Ass too fat, can’t fit in no jeans.«). Letztendlich wird es also darauf ankommen, wie ihre Musik sich weiterentwickelt: In diversen Interviews hat Ice Spice bereits davon gesprochen, dass sie möglicherweise auch ihre Spanisch- Kenntnisse in zukünftige Songs integrieren und nicht ewig beim Drill bleiben will; ihre neue Kollaboration mit PinkPantheress, »Boy’s a liar Pt. 2«, deutet jedenfalls schon auf andere Stilrichtungen hin. Ein Album soll wohl noch bis Ende des Jahres erscheinen, bis dahin werde ich noch geschätzte siebenhundert Mal »Like..?« hören. Ich freue mich drauf. Also auf beides.