BRKN Trauerspiel und Hoffnungsschimmer

Akt I, Szene I, Auftritt BRKN. »Drama« ist eine One-Man-Show, verortet in der nicht enden wollenden Gefühlswelt des Kreuzbergers. Zwischen innerer Zerrissenheit, Ignoranz und Depression überlebt ein Quäntchen Optimismus.

BRKN

Es fängt seicht an, das neue Album von BRKN. Sanfte Schläge aufs Piano glitchen plötzlich weg, es fügt sich ein ruhiger Beat hinzu, dann das Saxophon, BRKN spielt es selbst. Im Flüsterton erklingt seine Stimme: »›Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.‹ – Hermann Hesse«. Das Zitat, Schüler:innen und Lehrer:innen wohlbekannt, stammt aus dem Gedicht »Stufen«, es bündelt den optimistischen Geist eines Neuanfangs. BRKN startet mit »Drama« in einen neuen Lebensabschnitt. Einen Lebensabschnitt, der Gefühlen ihren Raum lassen und die Hoffnung nie aus den Augen lassen soll.

2017 veröffentlichte BRKN sein letztes Album, »Einzimmervilla«. Da singt er: »Ein Zimmer ist alles, was ich habe / Doch glaub mir, Baby, ich schaff es eines Tages«. Und auch sonst sah damals die Zukunft rosig aus: BRKN wird irgendwann Batzen bündeln, irgendwann ein Geburtstagsgeschenk kaufen, irgendwann ein Star. Es folgen haufenweise Liveshows, ein Auftritt auf der Hauptbühne des splash! Festivals, Features mit Joy Denalane und dem großen Herbert Grönemeyer. »2018 war vorbei, ohne dass ich es gemerkt habe. Ich hatte keinen Job mehr, hatte ständig Termine und habe viel mehr Geld verdient als je zuvor«, sagt BRKN selbst über diese Zeit. Gerade scheint es der Kreuzberger geschafft zu haben, als die Beziehung mit seiner Jugendliebe zerbricht und die Trennung BRKN in ein depressives Loch schubst, aus dem er sich kaum befreien kann. »Mitte 2019 habe ich alle Songs, die ich bis dahin gemacht hatte, weggeschmissen.«

Der sympathische Sunnyboy BRKN war in einer gar nicht so sonnigen Phase gefangen. Und es fiel ihm schwer, sich diesen Zustand ehrlich einzugestehen. »Ich habe immer gesagt: ›Eigentlich müsste ich auch mal in Therapie.‹ Ich habe schon gecheckt, dass es mir schlecht geht. Das habe ich sogar als Ausrede benutzt: Wenn ich mich scheiße verhalten habe, hab ich es auf meinen Gemütszustand geschoben. Mir musste es erst besser gehen, damit ich verstehe, wie schlecht es mir davor ging. Da habe ich erst gemerkt, wie ungesund meine Gedanken eigentlich waren.« Auf den Festivals habe er täglich getrunken, es sei die optimale Umgebung, um sich selbst zu zerstören. Er war sich selbst egal. Nur die Musik, die blieb wichtig. Also musste er weiter machen.

»Ich spiele alle Rollen in diesem Drama«, heißt es auf dem Titelsong seines neuen Albums. Und ein Drama ist es. Eines, bei dem man nicht immer weiß, was gerade passiert, weil BRKN Assoziationen und Gefühlslagen ineinander verschwimmen lässt. Das Gefühl, auf den Boden zuzufliegen, mischt sich mit Ignoranz und dem unbedingten Willen zum Erfolg. »Hades« ist so ein Song, in dem sich die Zerrissenheit des Künstlers zeigt. Jede Zeile schneidet ein neues Thema an, kurz spricht er über Suizidgedanken, dann über den Mord am Beat. »Outfit clean, fresh und depressiv«, BRKN redet über den Alltag zwischen Olymp und Hades. »In der Musik findet Kopfkrieg statt. Sehr viel Hin- und Hergerissenheit. Nicht wissen, wie man mit Situationen umgehen soll. Gegen die eigenen Gedanken ankämpfen. Es ist ein Kampf mit mir selbst. Ich versuche, die innere Zerrissenheit zu fassen.«, sagt er im Interview.

BRKN erzählt auf »Drama« nur wenige Geschichten, kaum ein Thema wird umfassend behandelt. Was zählt, ist der Gesamteindruck. »Drama« verkörpert die Gleichzeitig all seiner Gedanken und Empfindungen. Etwa, wenn er auf »1991« rappt: »Faible für schnellen Umsatz / Gebe für immer Hundert / Gebete für Ferhat Unvar«. Ein eher unorthodoxer Weg, um an die Opfer des rechtsextremen Terroranschlags in Hanau zu erinnern. Denn in Deutschland muss Gedenken zumeist gigantisch und spektakulär sein, um als angemessen zu gelten – bundesweite Schweigeminuten, die Einheitswippe, ein riesiges Stelenfeld oder wenigstens ein achtminütiger Benefiz-Song. Stattdessen räumt BRKN dem Thema eine Zeile ein, die dafür umso härter trifft, so beiläufig sie auch fällt. Die Selbstverständlichkeit, mit der er sein Gedenken ausspricht, offenbart nicht nur eine grundsolide Haltung. »So ist der Alltag. In einer Sekunde denke ich über mein Outfit nach und im nächsten Moment an die Opfer des Terroranschlags in Hanau«, sagt er. Denn während Anna-Lena aus dem Prenzlauer Berg sich aktiv entscheiden kann, ob sie sich mit Rassismus auseinandersetzen will, lässt die deutsche Gesellschaft dem Kreuzberger Deutsch-Türken BRKN keine Wahl. »Während ich in meinem Leben bin, Umsatz jage und Schuhe shoppe, ist Rassismus trotzdem durchgehend präsent. Die Angst vor der Polizei und vor Nazis begleitet mich in jedem Moment. Die Namen von Hanau trage ich immer mit mir. Egal, ob ich gerade auf einer Demonstration bin oder ein Konzert spiele.«

Machen einige Songs den Eindruck, als könnte BRKN das Rattern des eigenen Kopfes nicht abstellen, so erzählt er doch immer wieder detailliert und nuanciert von den eigenen Erfahrungen. »Herz« beschreibt das Gefühl, den eigenen besten Freund ermordet zu haben. Und weil BRKN kein bekannter Gewaltstraftäter ist, sind Zeilen wie »Schieß dir in die Brust, keine Gnade« nicht ganz wörtlich zu nehmen. Der Song handelt von den Emotionen, die die Trennung von seiner Jugendliebe in BRKN ausgelöst hat. »Mir wird alles egal, jeden Tag ein bisschen mehr«, rappt er. Im Interview erklärt er: »Ich habe mich nach einer sehr, sehr langen Zeit von meiner Freundin getrennt. Dann musst du jemandem, den du sehr in dein Herz geschlossen hast, verletzen. Du merkst, die Beziehung funktioniert nicht mehr, aber du liebst diese Person trotzdem, auf eine familiäre Weise. Dieser Person musst du jetzt das Herz brechen. Ich habe das empfunden, als würde ich meinem besten Freund einfach die Knarre an den Kopf halten und abdrücken. Um das zu schaffen, musst du gegen all deine Gefühle ankämpfen.« Diese Erfahrung kann traumatisieren. BRKN ertrinkt in der Folge in Schuldgefühlen und absoluter Gleichgültigkeit. Er fragt sich, wie er nach so einer Tat noch Respekt vor sich selbst haben kann, wie er sich noch für irgendetwas interessieren kann, das auf der Welt passiert. Und hat vor allem Angst vor den Spätfolgen: »Ich hoffe, ich behalt mein Herz«.

Herz, Verstand, Seele, das sind Worte, die auf »Drama« immer wieder prägnant aufploppen. Worte, die so groß und abstrakt sind, dass sie die Ideengeschichte seit Jahrtausenden beschäftigen. Darüber hat sich BRKN keine Gedanken gemacht, sagt er. Was bleibt, ist die Überdramatisierung, die sein neues Album so ausdrucksstark macht. Er spricht nicht über Begebenheiten, sondern über Gefühle – das hat Intensität, das hat Drastik. Auf die Wortwahl angesprochen, sagt er: »Zum einen bin ich ein sehr emotionaler Mensch. Zum anderen mache ich Probleme in meinem Kopf größer, als sie sind. Wenn ich Schmerzen habe, schreibe ich Kleinigkeiten mehr Bedeutung zu, als ich sollte. Wahrscheinlich mache ich mir den Kopf mehr kaputt als nötig.« Eine gute Frage für das Interview wäre gewesen, wie es ihm gehe. Wahrscheinlich ganz gut. Er hat gelernt, sich besser zu behandeln. Die eigenen Erfolge nicht mehr kleinzureden, sich nicht ständig zu vergleichen. Nicht die eigenen Fähigkeiten untergraben, Selbstzweifel nicht die Oberhand gewinnen lassen. Negative Gefühle staut BRKN nicht mehr an, er lässt sie heraus und los.

Einen besonderen Platz nimmt daher »Zu Ende« ein. Der letzte Song auf »Drama« ist offen, ehrlich und schmerzhaft. Wie zu Beginn ist das Piano seicht, dazu kommen überlagernde Gesangsharmonien im Hintergrund. Der Sänger erzählt von seinen Gefühlen seit der Trennung, davon dass er vor ein paar Minuten noch geheult und geschrien habe. Davon, dass er sich kaum selbst lieben kann, davon, dass er hofft, es ginge ihr jetzt besser. »Ich wollte einen richtigen Song für dich schreiben, doch ich trau mich nicht«, heißt es, und »Zu Ende« will kaum enden, bis das Instrumentaloutro einsetzt und eine Frauenstimme fast schreit: »Und alles wird okay«. Das Lied fühlt sich an wie ein Abend, an dem man unter Tränen stundenlang das Herz ausschüttet und schließlich das erste Mal seit Wochen ruhig schläft. »Bittersüß« nennt BRKN dieses Album, traurig und emotional, aber immer mit Hoffnungsschimmer. BRKN schließt Frieden mit der Vergangenheit und sich selbst. Seine Zukunft fängt gerade erst an.