Maeckes Topographie eines Albums
Das neue Album des Künstlers Maeckes, »POOL«, ist mit Sicherheit ein Pool. Aber was ist das überhaupt, ein Pool? Um herauszufinden, wo oben und unten ist, muss ALL GOOD-Autor Till Wilhelm tauchen.

Pool, der: »(auf einem Privatgrundstück befindliches) Schwimmbecken innerhalb oder außerhalb eines Gebäudes«. So steht es im Duden, so ist es häufig. Im Cambridge Dictionary: »a small area of usually still water«. Den Pool als Ort weitergedacht: Eine Oberfläche, verbunden mit Reflektion der Außenwelt. Klar eingrenzende Beckenränder. Einen Grund in undefinierter Tiefe. Eine Füllung, meistens Wasser. Steril ist der Pool, glatt und häufig gefliest. Ein leichtes Plätschern, ein leises Surren. Die Funktion des Pools: Ort der Entspannung, der Auszeit. Schwimmen, Erkunden des Wassers. Statussymbol, Privileg, Abschottung. Und immer eine Sammlung, auch im abstrakten Gebrauch des Wortes – ein Carpool, ein Moneypool, ein Ideenpool. »POOL«, so heißt das neue Album von Maeckes. »In der einfachsten Art ist dieses Album ein Pool an Songs. Zehn Songs, keine fortlaufende Geschichte«, sagt der Künstler selbst.
Und doch, natürlich, wenn die Songs dort alle im Becken sind, fließen sie ineinander und formen sich zu einer Einheit, einem spezifischen Ort. »POOL« ist natürlich artifiziell entstanden, »kein Meer, kein See«, wie Maeckes sagt. Gefüllt ist er mit Ideen, Erfahrungen und Einflüssen in Form von zehn Liedern. Und dieses Album, denn es ist eines, in Größe und Geschlossenheit, lässt sich vielleicht nur dann wirklich ergründen, wenn man die Form erforscht: den Pool. Dabei beginnt Maeckes neues Album an einem anderen, vielleicht benachbarten Ort: dem Haus. Es gehört stets dazu, ist aber im ersten Lied des Werks, »Mauern«, nie vollständig, nie ein Zuhause. Nie ist es fertig, die titelgebenden Bauwerke stürzen immer wieder ein, ein Dach gibt es schon gar nicht. Akustikgitarre vermischt sich im Instrumental mit anschwellenden Rave-Einflüssen. Es ist die Flucht aus einem Konstrukt, das noch lange kein Leben ist. Vielleicht ist das der Moment, an dem sich Maeckes an den Beckenrand setzt. Vielleicht beginnt hier die Reflektion, nach dieser erschütternden Erkenntnis.
Jedenfalls taucht er dann schon hinein in die wilde und verworrene Beziehung von »Stoik & Grandezza«. Der Alltime-Klassiker »Da Da Da« von Trio wird nicht nur gesamplet, sondern auch auf den Kopf gestellt: »Du mich auch, ich dich auch«. Die Referenzen, sie sind ein großer Bestandteil von »POOL«. Hier Trio, später dann Nirvana, Caribou, Ashanti und Hitchcocks »Psycho«, unbeabsichtigt rutscht sogar Cluesos »Gewinner« (Cluesos Musikvideo spielt Unterwasser!) in den Song »Swimmingpoolaugen« hinein. Der Pool ist also auch gefüllt mit Popkultur, hier klar erkennbar, dort als Inspiration. Oder wie bei »1234«, als ewiges Thema der Kulturhistorie. Man denke nur an Cro, an Erobique, an die Jackson 5 und Plain White Ts. »(Ist einfach easy) Ist so simpel wie 1234«, heißt es, Maeckes referiert über die gesellschaftliche Sucht nach simplen Fakten und einfachen Antworten auf komplexe Fragestellungen. Und so tief der Text geht, so ambivalent die Geschichte der Radikalisierung im Musikvideo ist, so gut funktioniert »1234« auch einfach als Popsong. »Es könnten Pop-Phrasen sein, wenn man nur mit einem Ohr hinhört«, sagt Maeckes. »Wenn jemand meine Musik im Radio hört und die Melodie gut findet, ist alles cool mit mir.«
Und überhaupt, jeder Song auf diesem Album gestaltet sich als Pool: Wer tauchen will, kann sich stundenlang in einem Lied verlieren, wer nur die Melodien und Harmonien genießt, kann die Fußzehen ins Wasser baumeln lassen oder einfach auf der Liege bleiben und sich sonnen. »Ich hatte keine Lust mehr, nur noch Unterwassermusik zu machen.« Und damit überlässt er seiner Hörer:innenschaft viel mehr Freiraum. »Ich habe aufgegeben, meine Konstruktion und Lesart meiner Musik anderen aufzudrücken.« Der Bademeister schweigt, in seinem Pool darf sich die Kundschaft selbst aussuchen, wie tief sie taucht. Dabei kann es durchaus mal passieren, dass man die Reflektion des eigenen Gesichts in der Oberfläche des Schwimmbeckens entdeckt: »Musik ist eine Projektionsfläche. Da geht es nicht immer um die tiefste psychologische Ebene. Beim Hören ergibt sich eine neue Wahrheit.« Letztlich ist das neue Album von Maeckes vielleicht auch als Zufluchtsort für seine Fans geplant: »Ich wollte schon, dass es sich anfühlt wie ein Tag am Pool. Vielleicht wird der Himmel mal kurz grau und es ist kurz nervig, aber eigentlich chillt man da und fühlt sich wohl. Genau so einfach darf das auch funktionieren. Und erst, wenn man sich in den Pool hineinwirft, merkt man, dass da noch etwas anderes mitschwimmt.«
Maeckes »POOL« tut, was jede gute Metapher tut: Er wandelt sich. Ist der Pool mal die Form eines Songs, dann die Form des Albums, so gewinnt er mit jedem Lied neue Bedeutung. In »Am Pool« wird der Ort zum Privileg, sich nur mit sich selbst beschäftigen zu müssen. Urlaub machen, wo andere sterben. Und wenn die Drohne kurz hochfliegt, um das Weltgeschehen einzufangen, wird es sehr schnell sehr düster. In »Swimmingpoolaugen«, wird das ultrablaue Sehorgan des Rappers zum Schwimmbecken, in dem die Geliebte taucht, der Pool ist Ort der Intimität dieser naiven und eigensinnigen Beziehung. Und im überraschend rockigen »Zu sensibel« springt Maeckes in einen Pool von überreizenden und überfordenden Sinneseindrücken wie in blubbernde Lava. Und an dieser Stelle zurück zum Referenzbecken: Gesampelt ist hier in der Hook das legendäre »Heart Shaped Box« von Nirvana, frech und prominent platziert. Sample und Vocals greifen ineinander und schwellen überlebensgroß an. Obwohl man bei einem Titel wie »Zu sensibel« wohl eher an emotionale Gitarrenmusik gedacht hätte, wie sie Maeckes durchaus schon oft praktiziert hat. »Sensibilität ist nicht super soft zu sein, sondern dass alles viel zu krass ist. Man läuft durch die Welt und alles fühlt sich an wie Spitzen und Kreissägen, die sich durch einen durch fräsen«, sagt der Rapper selbst. Die Sensibilität ist hier nicht, wie häufig im Rahmen politische Debatten, eine feinfühlige Empfindsamkeit. Im Gegenteil: Wer zu sensibel ist, wird immer häufiger die Augen schließen.
Diesem Prozess wirkt Maeckes entgegen, seiner Aussage nach verläuft sein Sensibilisierungsprozess, als würde man »Zu sensibel« rückwärts abspielen. Er versucht, immer weiter anzukommen im eigenen Leben. Und fielen noch alle Mauern seines Heims im ersten Titel des Albums in sich zusammen, so schafft Maeckes es, im finalen »Calippo Vivaldi«, Gegensätze zu vereinen, in diesem Fall Sommer und Winter. Aber klar wird jedenfalls: Das Leben ist erst so richtig lebenswert, wenn man all die Widersprüche aushalten kann. »Man träumt immer von einem Paradies, wo immer alles gut ist. Wo man nichts machen muss, aber alles ist super. Das tragen wir alle als Wunsch. Man muss nicht arbeiten und hat immer genug Geld. So funktioniert das Leben nicht, das Leben funktioniert nur mit Schmerz und Arbeit, mit der Symbiose von Glück und Leid. Wenn man damit Frieden schließt, kommt man bisschen besser an.« Bezeichnend ist wohl, dass diese Glückseligkeit erst nach dem »Ende der Welt« eintritt, wie das vorangestellte Interlude betitelt ist. Im Video zu »Calippo Vivaldi« liegt Maeckes, bekleidet mit dem typischen wunderschönen Anzug, natürlich, im Pool. In den schillerndsten Farben gleitet er dahin. Der Pool, das ist auch eine Utopie, ein Nicht-Ort – Grüße an Foucault.
Und auch für mich ist es nun Zeit, einmal exemplarisch zu tauchen, denn nur so erschließt sich der »POOL«. Ich tauche in das Lied »Pik«, im Refrain legt Maeckes sich die Karten: Pik Ass bringt den Tod und den Neubeginn, mit dem Herz Ass verliert Maeckes die Häuslichkeit, mit der Herzdame geht er All in. Er selbst ist der Kreuzbube, die schlechteste Karte im Deck. Lassen sich diese Symbole auch Maeckes Biografie zuordnen, ist vielleicht das Lied »Kreuz« aus dem letzten Album »TILT« noch interessanter. Maeckes erzählt dort, wie seine große Liebe stirbt, heute steht er an ihrem Grab mit einer anderen Frau. »Dann wären wir jetzt mal in einen dunklen Teil meiner Vergangenheit gefahren«, singt er. Und vielleicht geht es noch tiefer: Maeckes sang auf »TILT« von verflossener Liebe noch unter Bemühung des Marie-Byrd-Lands, einem unbewohnten Teil der Antarktis, unter dessen Eisflächen Vulkane brodeln. Der Name des Gebiets, von einem Polarforscher nach dessen Frau benannt, erinnert sofort an Maeckes Fräulein Bird, dem er in der Vergangenheit gleich zwei Lieder widmete, eines im frischen Verliebtsein, eines im Gefühl der Stabilität der Beziehung. Verlust und Schmerz machen das Herz des Sängers zur endlosen Eistundra, und jetzt: »POOL«. Schwimmbecken beiseite, in eben diesem Marie-Byrd-Land steht unberührt, nie bestiegen oder besucht, der Berg Mount Pool. Nur einst überflogen wurde er, dadurch kartografiert. Und doch: Auch nach einiger Recherche zur Antarktisforschung und Maeckes musikalischem Katalog bleiben die Zusammenhänge undurchsichtig. Im »POOL« kann man tauchen, man kann die eigene Reflektion erblicken, man kann sich entspannen. Aber wirklich verstehen, das kann nur Maeckes selbst.