Isaiah Rashad Pieces Of A Kid
LED-Leuchten baumeln von der Decke der leerstehenden Lagerhalle. Im Hintergrund der schwarz-weißen Szenerie läuft der »Shook Ones«-Beat in Endlosschleife. In der Cypher stehen sich vier befreundete MCs gegenüber, die ihren Herrschaftsanspruch verteidigen. Das Publikum der BET-Awards wird Zeuge des Black-Hippy-Rituals, bei dem ein Unbekannter den inneren Kreis betritt: Ab-Soul übergibt brüderlich, dann scheint das Spotlight auf Isaiah Rashad.
Der 22-jährige College-Absolvent aus Chattanogga, Teneesse tourt zwar schon 2012 mit Juicy J und dem »Smoker’s Club« durch die Südstaaten, zum Zeitpunkt dieser Ausstrahlung existieren jedoch nur kurze Soundcloud-Skizzen, auf denen Isaiah über Doom-und FlyLo-Beats und Instrumentale der befreundeten Produzenten The Antydote und Astronote rappt.
Es ist #KendricksVerse, der die Cypher zum HipHop-Moment macht, aber Isaiah weiß seinen Schuss zu nutzen. Der studierte Soziologe, der als Sandwichkind unter vier Geschwistern aufwächst, katapultiert sich mit einem »Freestyle« ins öffentliche Bewusstsein und integriert sich bereits mit seinem ersten TDE-Projekt in das »Control System« der Kalifornier.
Als das Video zu »Shot You Down« über den hauseigenen Channel rotiert, hat Anthony »Top Dawg« Tiffith, der schon K.Dots Talent vor allen anderen erkannte, Rashad plus Entourage längst nach L.A. einfliegen lassen. In einem Haus im Kreativ-Umfeld des Camps in Los Angeles bringt er sie unter. Hier beginnt Isaiah jeden Morgen diszipliniert um sechs Uhr mit seiner Routine: Raucht und schreibt, macht zwischendurch ein Nickerchen und raucht und schreibt weiter.
Benannt nach dem 95er Honda Civic seiner Mutter, stellt er »Cilvia Demo« zusammen — seine bisherige Lebensgeschichte, die er, ähnlich wie Kendrick »Section.80«, explizit nicht als Debüt-Album beschreibt und die immer wieder um einen Themenkomplex kreist: das Verhältnis zu seinem Vater.
»I left my daddy round `97, he was lazy«, beginnt er zerrüttet auf »Soliloquoy«. Den Verlust der Vaterfigur kompensiert der gerade fünf Jahre alte traumatisierte Isaiah, indem er sich ein Fantasiegeflecht zusammen spinnt. Noch auf dem College, wo er den Ruf des Casanovas genießt, leidet er unter Psychosen, schmeißt sich verschiedenfarbige Pillen und hegt Selbstmordgedanken. Erst nach der Unterschrift bei Top Dawg Entertainment, kommt es zur Annäherung und Isaiah entwickelt ein emotionales Verhältnis zu seinem Vater.
Diese Versöhnung hört man seinem Demo an. Ebenso wie die Nähe zur Mutter, die als alleinerziehende Nachbarschafts-Aktivistin seine Musikalität früh unterstützt. Sie zieht ihn mit Lauryn Hill und Erykah Badu groß und lauert später Bootlegern des Sohnes in der Nachbarschaft auf. Die hinterlassenen Dead-Prez- und KRS-One-Platten des Vaters saugt Rashad ebenso auf wie die frühen Klassiker des Südens von Outkast und UGK, die sein Bruder hört. Als heranwachsender Junge mit Fernseher, fasziniert ihn aber, wie alle 90er-Kinder in den Südstaaten, ein Rapper besonders: Master P. und seine prunkvollen No-Limit-Soldaten.
Diese vermeintlichen Widersprüche vereint Rashad auf »Cilvia Demo«, mit dem das neue Signing das TDE-Jahr 2014 — für das sechs Großprojekte des Labels angekündigt sind — stark eröffnet. »R.I.P. Kevin Miller« gedenkt dem ermordeten Bruder von Master P. »Brad Jordan« bezieht sich auf die Biografie der Südstaaten-Legende Scarface. »Heavenly Father« klingt wie ein Überbleibsel einer Dungeon-Family-Session. Neben dem Hamburger Babo Farhot, arbeitet er für die EP mit seinen In-House-Produzenten und beruft sich auf eine Sound-Ästhetik, die an die Ära der Soulquarians erinnert.
Die Parallelen zu Kendrick sind deutlich: das Wechselspiel aus gediegenen Produktionen und aggressiven Wutausbrüchen, der variable Flow, die positive Delivery und optische Ähnlichkeit. Und doch entgeht Rashad mit einem zeitlosen Stück Rap-Musik dem übergroßen Schatten Lamars. Georgia feiert ihn als neuen Südstaaten-Lyriker, dem kalifornischen Power-House fügt er eine weitere interessante Künstler-Facette hinzu. Als das Rampenlicht der BET-Cypher auf ihn fällt, rappt er: »I think I found a second home«. Ein halbes Jahr später ist Isaiah Rashad angekommen, in Kalifornien und der Black-Hippy-Kommune und im Rap-Geschäft.