Mädness Nur zur Erinnerung

»Das hier soll mich erinnern, wenn ich nicht dran denke«, rappt der Wahlberliner Mädness auf seinem neuen Album. »Mäd Löve« ist eine Gedächtnisstütze für ihn selbst. Und für alle, die sich darin wiederfinden.

Mädness

Wenn der zweite Song einsetzt, »Endlich wieder«, dann ist Mädness schon an seinem Happy Place angelangt. Ein treibender Beat, Bläser wie Fanfaren und soulige Background Vocals machen den Beat sonnig, der Darmstädter selbst rappt über neu gewonnene Freiheit, über frische Nüchternheit und Zufriedenheit. Geschrieben hat er das Lied in einer Laube in Brandenburg, erzählt er. »Mir ging es in dem Moment so gut, dass ich diesen Text einfach runtergeschrieben habe. So ging es mit dem ganzen Album: Das war keine Aufgabe, sondern hat sich so ergeben. Dann habe ich die Gefühle festhalten können.« Auf eine 15-jährige Karriere im Rapgeschäft kann Marco Döll, wie Mädness mit bürgerlichem Namen heißt, zurückblicken. Und so langsam kommt er bei sich selbst an. Musikalisch, aber auch persönlich. Noch nie war Mädness so im Reinen mit sich selbst wie heute.

Völlig naturgemäß lief nicht alles glatt auf diesem Weg. Mädness hatte seine Karriere schon beinahe an den Nagel gehängt, als er mit seinem Bruder Fabian Döll auf dem renommierten Cover der »Juice« landete. Er kämpfte mit einem Hang zur Rauschmittelsucht, verlor schon jung seinen Vater. Er widmete dem Rapgame mehr Aufmerksamkeit als der Liebe, weshalb das Zwischenmenschliche häufig scheiterte. Er gründete einst eine Biermarke, im geschäftlichen wie persönlichen Streit trennte er sich wenig später von dem Unternehmen. Dieser jahrelange Zwist scheint heute verziehen: »Und meine alte GmbH, lange kein Thema, Grüsse gehen raus«, rappt er auf dem Opener »2 Cent«.

Und wo »Endlich wieder« den Moment der Genesung festhält, bildet der Song eine Klammer mit »Klar«. Letzterer spiegelt den absoluten Exzess, den Rückfall in die Sucht. Mädness rappt aus dem Rausch heraus: »Ich bin leider nicht zum Spaß hier / trinkt ihr Amateure mal ‚n paar Bier«. Auch das ist keine Abhandlung über Merkmale von Alkoholismus, sondern eine Momentaufnahme: »Ich möchte Alkoholismus nicht zelebrieren, aber ich möchte aufzeigen, welche Gefühle in diesem Exzess entstehen.« Die Selbstüberhöhung der Trunkenheit, die Isolation unter Leuten und die Hoffnung zu vergessen, stehen der Selbstreflektion und -liebe auf »Endlich wieder« diametral gegenüber. Dabei klingt der Beat von »Klar« nach Club, nach Turnup. Den Moment des Rausches auf diese Weise festzuhalten, hatte auch Kendrick Lamar 2013 mit »Swimming Pools (Drank)« versucht. Dieser eigentlich düstere Song über Alkoholsucht avancierte damals zum Partyhit.

Auch »Klar« soll ein Reminder an Mädness selbst sein, eine abschreckende Mahnung. »Mäd Löve« sei ein Album über Beziehungen, verrät der Pressetext. Zumeist handelt es allerdings um Mädness Beziehung zu sich selbst. »Das Album ist ein Teil des Prozesses, sich komplett mit sich wohlzufühlen. Deswegen gibt es einen Song wie »Mantra«, der mir auch zukünftig sagen soll, was ich tun und lassen sollte.« Hier wiederholt der Musiker die Grundsätze zum schönen und gerechten Leben drei Mal, bis die Vocals langsam ausbleichen. »Sei ein guter Mensch, was du auch anpackst« lautet die prägnanteste Zeile des Mantras, in dem sich die Ohren beim Hören schnell verlieren. Dass sich Mädness an schlechten Tagen seine eigene Musik anhört, bleibt eine unrealistische Vorstellung. Der Reminder wirkt schon allein dadurch, dass er all diese Gedanken ausformuliert und veröffentlicht hat. Und wenn es eines Tages wieder Liveshows geben wird, kann Mädness sich an jedem Konzertabend an die eigenen Höhen und Tiefen erinnern.

»Mäd Löve« ist das wohl egozentrischste Album von Mädness. Gerappt wird hier nicht für das Game, nicht für die Fans, nicht für die Gesellschaft, sondern für den eigenen Seelenfrieden. Und das gilt auch für die drei Lieder des Projekts, die sich um eine romantische Beziehung drehen. Denn nachdem »Was hab ich getan?« den Grundkonflikt der Beziehung darstellt und »Boot« mit Mine die gescheiterte Kommunikation ergründet, erreicht Mädness in »Es tut gar nicht so weh« endlich die Erkenntnis, dass er selbst das Problem in der Beziehung war. Und kann dann nicht nur mit dem Verlust abschließen, sondern auch wieder damit aufhören, bei jedem Abendessen den unnützen zweiten Teller auf den Tisch zu stellen. Die Beziehungen zu anderen, zur Sucht und zur Gesellschaft speisen sich bei Mädness aus der Beziehung zu sich selbst. Der Rapper möchte sich sensibilisieren, »Mäd Löve« strotzt vor Achtsamkeit.

»Was hab ich getan?« verhandelt dabei vor allem das Gefühl, die romantische Partnerin ungenügend zu behandeln. Nicht nur mit seinem Soulsample und dem thematischen Schwerpunkt erinnert der Song an den österreichischen Rapper Kamp, auf dessen legendären Album »Versager Ohne Zukunft« fand sich nämlich auch ein Song namens »Was hab ich grad gemacht?«. Laut eigener Aussage hatte Mädness die Referenz beim Schreiben nicht im Kopf, erkennt aber den Einfluss des Wieners an: »Kamp war sehr seiner Zeit voraus, weil er emotionale Themen angesprochen hat. Das war zu dieser Zeit überhaupt nicht en vogue. Kamp hat die weiche Seite eines Rappers salonfähig gemacht, die Schwäche zur Stärke.« Mädness selbst hat Probleme, für die Beziehung da zu sein, wenn die musikalische Berufung doch schon jeden Gedanken einnimmt. Und hofft, dass sich diese Gewichtung irgendwann ändert: »Das Ziel ist, der Zwischenmenschlichkeit genügend Raum und Priorität beizumessen.«

Dass die Arbeit großen Raum im Leben des Rappers einnimmt, ist auch Thema auf »Handbremse«. Noch so ein Song, der klar als Reminder für Mädness selbst geschrieben ist. »Das hier soll mich erinnern, wenn ich nicht dran denke«, heißt es sogar in der Hook. Das Problem: Mädness kann nicht abschalten, führt ein Leben zwischen Workaholism und Burnout. Dagegen anzukämpfen, heißt auch, im Alltag auf die kleinen Dinge zu achten: »Ich versuche, wieder mehr zu lesen. Das klingt komisch, aber für solche Dinge hat mir lange die Ruhe gefehlt. Ich taste mich langsam daran, einfach eine Sache zu einer Zeit zu tun. Ein Album zu hören, ohne aufs Handy zu schauen.«

Grown-Man-Rap, so nennt Mädness sein Genre. Dahinter steckt vor allem Achtsamkeit anderen und sich selbst gegenüber. Aber auch: Ehrlichkeit. Und klare Kommunikation. Dafür steht ganz besonders der letzte Track von »Mäd Löve«. »Mittelfinger« ist der politischste, wenn nicht sogar der einzig wirklich politische Song des Albums. »Beide Mittelfinger« erhebt er dort gegen Rassisten, Nationalisten, Sexisten, Chauvinisten, Antisemiten und Faschisten, in dieser Reihenfolge. Ein Song, der eigentlich nur die Basics abdeckt – und trotzdem gut tut. »Einfache Statements zu treffen, ist nichts Schlechtes«, sagt Mädness. »Umso mehr Gutes verbreitet wird, desto besser.«

Auch an sich selbst richtet er dabei Zeilen: »Lass‘ falsch liegen, Positionen überdenken.« Und: »Fühlt sich an, als hätte ich nicht genug getan / Wie der Staat bei dem NSU-Verfahr’n«. Mädness erkennt öffentlich seine Privilegien und Defizite an und macht seiner Community klar, dass Menschenfeindlichkeit dort fehl am Platz ist. »Wogegen ich da ankämpfe, findet natürlich auch in meinem Kopf statt. Wir haben diese menschenverachtenden Strukturen erfahren und sind so sozialisiert. Da muss man sich selbst immer wieder korrigieren. Das ist ein Prozess.«

Es ist alter Wein in neuen Schläuchen. Aber wenn sich all die Rap-Kolleg:innen auch nur einmal so positionieren würden, wäre schon ein riesiger Fortschritt getan. Denn viel zu oft gehen Medien und Fans davon aus, Rap sei immer irgendwie progressiv. Bis der nächste Conscious-Rapper auf einer Querdenker-Demo auftaucht. Mädness beobachtet menschenfeindliche Tendenzen auch in seiner Zielgruppe: »Nur weil einer nach dem Abi kifft und das T-Shirt mit Che Guevara trägt, weiß man nicht, was in dessen Kopf abgeht«, sagt er. »Genau deshalb ist es wichtig, sich klar und deutlich zu positionieren.« Eine weitere Erinnerungsstütze für Mädness und seine Hörer:innen.