Natascha P. Nonkonformismus und Kartoffelbrei
Der neuen EP »Liebhaber des Halbschattens« von Natascha P. sollte man sich nicht wie einer gewöhnlichen Rap-Platte nähern. Mit Streaming-Playlist-Konsens hat die Musik der Hamburgerin wenig zu tun. Und jetzt? Ein Porträt von Tobias Wilhelm.
Wer ist Natascha P.? Nach einer ausführlichen Online-Recherche ist man zunächst um folgende Informationen reicher: Hamburg, Putzfrauentochter, Kunsthochschule, irgendwann ist ihr mal das Studio abgebrannt. Dies passt alles zunächst gut ins Klangbild ihrer ersten beiden, über Soundcloud veröffentlichten EPs, auf denen sich eine Mischung aus Crystal-Castles-artigem Aggro-Elektro (der auch mal ruhigere Momente hat) und DIY-Gesang, der nicht jeden Ton treffen will, findet.
»Alle wollen ein Stück vom Kuchen, aber niemand hat eine Gabel dabei/ Ich mag keine Dinge, die nicht knusprig sind/ Hm, wart mal, manchmal gönn ich mir Kartoffelbrei«
So Kunsthochschule, so Hamburg, so abgebranntes Studio irgendwie, aber so gar nicht HipHop. Schon mehr HipHop dann hingegen ihre Selbstinszenierung. Auf Pressefotos sitzt sie mit ihrer One-Mother-Schwester Preach in einem Auto, guckt grimmig wie kurz vor dem Drive-By aus dem heruntergekurbelten Fenster. Im Video zu »Jylie« kuschelt sie, vor einer auf Hochglanz polierten Blechkarosse, mit einem Dobermann und in Interviews ist sie scheinbar schon immer gerne etwas großmäuliger. Dem »Missy Magazine« erzählt sie beispielsweise, dass sie jeden Morgen aufstehe und sich überlege, wie sie die Gesellschaft denn nun wieder »in den Arsch ficken« könne.
»Was schaust du mich so an, ja?/ Hast du noch nie einen Menschen gesehn?« (»Liebhaber des Halbschattens«)
Nur folgerichtig also, dass Natascha P. auf ihrer aktuellen EP »Liebhaber des Halbschattens« auch rappt. Ja, bis auf einen Remix (»Schlaglöcherherz«) aus ihrer »Muay Thai EP« eigentlich nur rappt. Und das ist auch verdammt gut so. Denn ihre Art zu reimen – schnell zwischen verschiedenen Themen hin und her zu springen, dabei ziemlich melodiös, irgendwie politisch, aber auch sehr lustig – fällt in einer immer gleichförmiger anmutenden Rap-Szene stark auf. Dazu kommen ihre selbst produzierten Beats, die immer noch elektroid, aber ruhiger, sphärischer, minimalistischer daherkommen als auf ihren vorigen Werken und so einen angenehmen Gegenpol zu ihren assoziativ anmutenden Satz-Stakkatos bilden, die einem pausenlos im Schleudergang um die Ohren fliegen.
Doch irgendwann ist dann leider doch der Punkt erreicht, an dem man (zwischen Deine-Mutter-Witz-Persiflagen, Bezügen zur #metoo-Debatte, Anmerkungen zu asiatischem Essen oder Kartoffelbrei, aggressiven Ansagen gegen Alltags-Rassismus, der Angst vor dem alt und spießig werden,…) dann doch den Überblick verliert und auf der Suche nach einem rettenden roten Faden schon hoffnungslos untergegangen ist.
»Ich bin jung, brutal, linksradikal. Auch mit Mitte, Ende Zwanzig/ Ich bin jung, brutal, linksradikal. Auch mit Mitte, Ende Dreißig/ Ich seh die Angst in deinen Augen, aber glaub mir, sie ist unberechtigt/ Die Zukunft gehört ohnehin Natascha/ Ich weiß, diese Zeilen klingen verdächtig« (»Haus mit Garten«)
Vielleicht sollte man sich »Liebhaber des Halbschattens« auch nicht wie einer gewöhnlichen Rap-Platte annähern. Mal einfach kurz nicht nachdenken, nichts verstehen und einordnen wollen. Sich stattdessen blind fallen lassen in den zum Einstieg dargebotenen hypnotischen Gedanken-Strudel aus Hedonismus, Empowerment, Nonkonformismus und einer Mittelfinger gebenden Jetzt-erst-Recht Attitüde. W-Fragen stellt man sich dann kaum noch, erfreut sich stattdessen an diesem avantgardistischen Sound- und Textentwurf, empfindet die zuvor als quälend lang erlebten 20 Minuten Spielzeit gar plötzlich als erfrischend kurzweilig.
Doch während man noch den letzten Klängen dieses musikalischen Kleinods nachlauscht, klopfen auch schon wieder die Zweifel an. Fehlt da nicht doch etwas Tiefgang, bei aller Sprunghaftigkeit ein bisschen Stringenz? Oder ginge dann eben das Besondere verloren, wie wenn die Sonne ganz vom Halbschatten Besitz ergreift, ihn auffrisst und seine Existenz vernichtet? Antworten auf diese Fragen will man keine geben, sie einfach im Raum stehen lassen und darauf warten, welche Unstimmigkeiten Natascha P. mit ihrem nächsten Release liefert. Denn spannender als das auf Spotify-Playlisten-Konsens schielende Gros der Rapszene ist diese junge Musikerin allemal.