Danger Dan Momente der Zärtlichkeit
Das unerwartete Klavieralbum von Antilopen Gang-Member Danger Dan erschließt Systemkritik aus Biografie und findet dann wieder zurück zu den kleinen Ausbrüchen aus dem Immergleichen. »Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt« bringt Dialektik und Seelenbalsam unter einen Hut.
Nach der Veröffentlichung seines Liedes »Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt« hagelte es Schlagzeilen über Danger Dan, den Rapper von der Antilopen Gang, der nun sein gleichnamiges Klavieralbum veröffentlicht. Der »Spiegel« wollte den Song nochmal erklärt bekommen, beinahe jede der 114 deutschen Tageszeitungen berichtete, die »dpa« fühlte sich sogar bemüßigt, eine Pressemitteilung herauszugeben, nach der Danger Dan beim Schreiben des Liedes seinen Bandkollegen Koljah nach grammatikalischem Beistand fragte. Spannend, oder? Das offizielle Musikvideo zum Song zählt heute über 2,6 Millionen Aufrufe auf Youtube, der Mitschnitt vom Auftritt im quotenstarken »Neo Magazin Royale« knapp über 1 Million. Das Lied ist satirische Provokation und wurde von der deutschen Medienlandschaft nun auch zur Genüge seziert und analysiert – nur der große Shitstorm blieb aus. Klar, es gab ein künstlerisch höchst interessantes Antwortvideo eines deutschen Polizisten, der seine Coverversion zur visuellen Gestaltung mit Bildern von zerstörten Polizeiautos fütterte, von denen einige nach eigens von der Polizei verschuldeten Unfällen entstanden waren – sehr zur Belustigung der Internetgemeinde. Es gab eine Antwort einer rechtsgerichteten Rapperin auf dem Youtube-Kanal des »Compact«-Magazins, ebenfalls dem rechtsextremen Spektrum zuzuordnen. Von Seiten der deutschen Leitkultur, auf die das Lied mit scharfer Kritik schießt, wurde die Empörung jedoch tunlichst vermieden. CDU-Kulturstaatsministerin Monika Grütters verteidigte laut der Zeitung »Neues Deutschland« sogar die staatliche Förderung des Rappers. Selbst Oliver Pocher, dem die Antilopen Gang noch letztes Jahr einen ganzen Disstrack widmete, verbreitet den Song auf seinem Instagram-Kanal. Anscheinend können sich in Deutschland plötzlich fast alle auf Danger Dan einigen. Das »Hamburger Abendblatt« freut sich darüber, dass Pop endlich politisch wird. Einen politischen Song, das hätte man ja kaum erwartet von einem Musiker, der sich mit seiner Crew bereits 2017 die »Atombombe auf Deutschland« wünschte. Wenigstens beweist die Single »Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt«, dass Danger Dan mit politischen Liedern breite Massen erreichen kann – musikalisch und visuell ist die Präsentation jedoch eher moderat.
Das Klavieralbum von Danger Dan ist musikalisch keine Sensation. Es referenziert eher die Tradition deutscher Liedermacherei, als Klaviermusik neu zu erfinden. Es ist ein Pop-Album, das neben der Semantik von der Liebe des Rappers zum wohlbekannten und wohltemperierten Tasteninstrument handelt. »Mein Verhältnis zum Klavier war eine On-Off-Beziehung«, sagt Danger Dan im Interview. Er fand einst als Kind ein Akkordeon auf dem Dachboden, vertiefte sich einen ganzen Tag in das Instrument und spielte seinen Eltern am Abend ein kleines Wohnzimmerkonzert. Daraufhin besorgte der Vater trotz eigener Geldsorgen ein Klavier, wollte das musikalische Talent des jungen Daniel Pongratz fördern. Später spielte er das Instrument für eine französische Agentur auf Touren karibischer Reggae-Musiker in Europa. ein Weg führte ihn nach Bordeaux, wo auch sein neues Album einsetzt. Auf seiner Debüt-EP »Coming Out« rappte er dann schon 2008: »HipHop ist keine Musik / HipHop füllt mich nicht aus / […] / HipHop unterfordert mich / Und wenn’s kein Klavier mehr gibt auf dieser Welt, bitte ermordet mich«. Schon lange hegte Danger Dan den Traum, Lieder für’s Klavier zu schreiben, ließ die Pläne dann aber immer wieder links liegen. »Im Nachhinein rede ich mir ein, dass dieses Album ein Lebenstraum ist«, sagt er heute.
Das Album entsteht nach der »Abbruch, Abbruch«-Tour, die im März 2020 zu Ende geht. Danger Dan muss sofort in zweiwöchige Quarantäne, darf seine Tochter nicht sehen. Er nimmt das Klavier aus dem Tourbus mit nach Hause. »Da habe ich angefangen, exzessiv viel zu spielen, mehrere Stunden am Tag. Das Klavierspielen tut mir sehr gut. Das hat etwas Kontemplatives, Meditatives.« Er schreibt ein Lied zur damaligen Situation, »Nudeln und Klopapier«. Es verbreitet sich schnell in den sozialen Medien. Danger Dan bemerkt, dass da draußen ein Interesse besteht an Liedern dieser Art. Und spielt weiter, schreibt Lieder, während er klimpert, jeder Laut muss sich der Melodie fügen. Jedes Wort erhält augenblicklich Gewicht. »Bei einem Raptext lösen sich die Zeilen so stark ab, dass du nicht so detailliert schreiben musst. Nach einer Zeile mit Pathos kommt direkt eine auflockernde. Wenn du Klavier spielst und dazu singst, wirkt das sofort kitschig.«
Der Gefahr des Pathos stellt Danger Dan biographische Zugänge entgegen. »Ich verprügelte die Sextouristen in Bangkok« erzählt von einer Reise nach Thailand, die im Text erwähnte Penélope Cruz ist seine Begleitung, die vor Ort regelmäßig mit der Oscar-Preisträgerin verwechselt wurde. »Sextouristen in Bangkok vermöbeln ist politisch gesehen auch nur Quark / aber schlimmer wird’s dadurch auch nicht, hat Penélope Cruz gesagt«, singt Danger Dan und stellt damit die Frage der Militanz. »Bei politischem Aktivismus ist es sowieso oft schade, dass man nur Symptome bekämpft. Aber es ist trotzdem okay, schlimmer wird’s dadurch nicht. Irgendetwas muss man der eigenen Ohnmacht entgegen stellen.« Jene Ohnmacht ist auch spürbar, wenn der 37-Jährige auf »Ingloria Victoria« von seiner Schulzeit in Aachen erzählt. Vom Direktor wird er vom Tag des Schulwechsels an ausgeschlossen, neun Monate später fliegt er auch schon wieder von diesem Gymnasium. Aus dieser Erfahrung heraus beschreibt er das Repressionssystem des Schulwesens: »Dieses Konzept funktioniert zwar nicht bei dem der exkludiert wird / Aber sorgt dafür, dass der, der die Bestrafung nur beobachtet / aus Angst zu einem pünktlichen und arbeitsamen, tugendhaften / im preußischen Sinne ähnlich einem Roboter der ›Ja und Amen‹ sagt / und die Vokabeln lernt und andere verpfeift so wie ein Hilfssheriff des Lehrkörpers / und insgesamt nie aufmüpfig wohl wird«.
Heruntergebetet wie eine politische Rede auf sprunghaften Tastenschlägen, erschließt sich Danger Dan erneut ein strukturelles Problem aus der eigenen Biografie und erinnert dabei in gewisser Weise an sein ebenfalls 2008 veröffentlichtes Lied »Gesiebte Luft«. Jenes handelte von der Wirkweise des Gefängnis. Danger Dan befand: »Knast ist für die Leute die sich immer an die Regeln halten«. Beide Lieder verweisen auf Gedanken Foucaults: Dass nämlich der Staat in seinen noch so unterschiedlichen Institutionen ähnliche Repressionssysteme verwendet. »Ich bin mit Foucault-Bildern an der Wand aufgewachsen«, gibt Danger Dan zu und erläutert weiterhin: »Früher hat man den Kindern auf die Finger gehauen, heute wird die Exklusion als Abschreckungsmechanismus genutzt. Ähnlich wie man eben Gefängnisse am Stadtrand gebaut hat. Die Leute sind aus der Gesellschaft ausgeschlossen und alle haben Angst, in den Knast zu kommen. Das Anliegen des Knastes ist es nicht, den Insassen zu helfen. Sondern die in Zaum zu halten, die nicht im Knast sitzen. So ähnlich sind auch Strafsysteme in Schulen aufgebaut.« Aus der Erfahrung des Rappers leitet sich systemische Kritik ab. Und die Konsequenz? Gemeinschaftliche Organisation zum Widerstand: »Schüler und Schülerinnen, nicht nur dieses Hauses / Besprecht das Lied hier mal in eurer nächsten Pause«. Im großen Falschen findet Danger Dan einen Moment der Solidarität, eine kleine Möglichkeit abseits des Immergleichen.
So ähnlich ist das auch auf »Lauf Davon«, dem Opener des Albums. Da erzählt Danger Dan, wie er in Bordeaux über den Zaun springt, um sich ein Konzert der Rock-Legende Lou Reed anzusehen, wie die Polizei ihn und seine Kumpanen verprügelt und er wegen des Pfeffersprays weinen muss. Und, wie ihm daraufhin ein Wildfremder einen Kuss gibt. Erneut ein Moment der Zärtlichkeit inmitten allem Chaos. Danger Dan findet zurück zu etwas Schönem, oder, wie er selbst sagt: »dem Grund, warum man die nächste Reise auch machen sollte.« Im Song »Trotzdem« verhandelt Danger Dan die eigenen Defizite mit Blick auf das Glück, trotzdem von seiner Partnerin geliebt zu werden und auf dem durchaus humorvollen Stück »Topf und Deckel« entdeckt er sogar die gesellschaftliche Dimension des Wunders der Liebe. Er erklärt sorgfältig, wieso der Bundeswehrsoldat und die Kinderhelferin, wieso die Gewaltstraftäterin und der Sachbearbeiter der Agentur für Arbeit gut und gerne zusammen alt werden könnten. Der zuvor erwähnte Kitsch des Klavieralbums ist insgesamt mal mehr, mal weniger präsent. Dem Sujet geschuldet bleibt das Gefühl von Pathos auf der »Ode an den Mord« beinahe völlig aus, während »Lauf Davon« mit viel Emotion den Ausbruch aus dem bürgerlichen Leben romantisiert. Ganz schmalzig wird es mit »Eine gute Nachricht«: Die Welt wird irgendwann untergehen, aber bis dahin haben wir noch genug Zeit zu zweit, so der Grundtenor. Die Idee nicht ganz neu, Weltschmerz und Romantik haben auch Ton Steine Scherben schon zusammengebracht, etwa auf »Komm Schlaf Bei Mir«. Immer wieder erinnert dieses Album in Haltung, Attitüde und Thema an die rebellierende deutsche Musik der 70er bis 90er. Rührend und zugänglich ist »Eine Gute Nachricht«, lebensbejahend im Angesicht der Ohnmacht. Auf Instagram beschreibt der Sänger dieses Stück als eine Art Zielpunkt des Albums, nach diesem hat er kein weiteres Klavierstück geschrieben. Die Haltung, die schon den zuvor erwähnten Augenblicken innewohnte, breitet sich hier auf 3:21 Minuten pure Schnulze aus.
Der letzte Song des Albums ist dementsprechend ein kleiner Befreiungsschlag für Danger Dan. Nachdem die Streicher des tiefgehenden »Tesafilm« verblassen, wird die Bühne dunkel, der Vorhang schließt, die Lichter im Zuschauerraum gehen an. Und das Pop-Publikum, das Danger Dan durch die schwergewichtigen Vorabsingles angezogen hat, applaudiert und fordert eine Zugabe. Also setzt sich der Künstler wieder ans Klavier und lacht schelmisch. Es folgen beinahe drei Minuten Kalendersprüche, Geschrei und ein schief gespieltes Piano, das nach und nach auch noch zerhauen wird. »Ich wollte die Stimmung des Albums zerstören, um sie abzuschließen. Damit negiere ich alles, was ich zuvor gemacht habe.« Es mag Dialektik sein, es mag fast ein bisschen zu platt sein, aber vor allem ist »Beginne jeden Tag mit einem Lächeln« ein würdiger Abschluss für dieses Projekt. Nun kann Danger Dan sich wieder dem Rap von Linksaußen widmen. Oder eben irgendeiner anderen Sache, die ihn gerade kickt, nur um sie dann wieder zu destruieren. »Das ist der Punk, den man aus mir nicht mehr rausbekommt.«